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«Projekt Kombi»: Ein Weg aus der Isolation für abgewiesene Asylsuchende

Im März 2023 ging «Projekt Kombi» in die zweite Runde. Der gemeinnützige Verein Solinetz Zürich bringt hierfür Menschen, die von einem negativen Asylentscheid betroffen sind, und Freiwillige als Tandem-Paare zusammen. Nun, ein halbes Jahr später, fand der Abschlussabend im Gemeindezentrum Bachwiesen statt. Ein Recap.

Von Janine Friedrich

Für die einen ist das gemeinsame, sorgenfreie Zusammensein gewohnte Normalität, für die anderen ein Ausbrechen aus der Perspektivlosigkeit und Isolation des Nothilfesystems: Die Menschen mit negativem Asylentscheid, die von der Schweiz als «nicht schutzbedürftig» eingestuft wurden, können aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Doch da sie hier auch nicht bleiben dürfen, sind sie gefangen in einem System, was ihnen jegliche Integrationsmassnahmen verwehrt. Mit Zwangsmassnahmen und Zermürbungstaktik will man die Betroffenen dennoch zur Ausreise zu bewegen; die Behörden versuchen ihnen das Leben in der Nothilfe so unangenehm wie möglich zu machen und verletzen dabei einfachste Grundrechte von Frauen, Männern und sogar Kindern. «Projekt Kombi» schafft es durch Gemeinschaft und Bildung der offiziellen politischen Praxis und der menschlichen Notlage aktiv entgegenzuwirken und das Auge der Öffentlichkeit zum Hinschauen zu bewegen. 

Dieses Jahr, so berichtet Hanna Gerig von der Solinetz-Geschäftsstelle, wurden genau 38 Kombipaare gematcht, wovon etwa 33 auch bis zum Schluss hielten. Im Interview vor Projektstart im Februar war sie sich noch nicht sicher, ob sich überhaupt 30 Freiwillige finden würden, die mit interessierten Nothilfe-Betroffenen zusammengebracht werden können. Doch nun waren es sogar mehr als erwartet, was die Projektleiterin sehr freut. Das Matching der 38 Kombipaare war dann eine Sache von etwa vier Stunden. Hanna und ihre Kolleginnen telefonierten vorab mit allen angemeldeten Personen. Diese äusserten bestimmte Kriterien und Wünsche: Manchen war es wichtig, mit Gleichaltrigen gematcht zu werden, andere gern mit einer ganzen Familie mit Kindern. Schliesslich wurden die Namens-Kärtchen aller Teilnehmer:innen im Büro so lange umhergeschoben, bis die Kombi-Paare vom Gefühl her gut zusammengepasst haben. «Ob die gematchten Tandems auch tatsächlich matchen, zeigt sich manchmal schon beim ersten Treffen oder eben mit der Zeit. Dieses Jahr war es aber wirklich so, als haben sich viele der Kombi-Paare einfach gefunden», erzählt Hanna Gerig. Die vergangenen sechs Monate bestanden dann aus individuellen Kombitreffen, wo sich die gematchten Paare gemeinsam überlegen, wie oft sie sich treffen und was sie unternehmen. Einmal im Monat gab es zudem vom Solinetz organisierte Gruppenabende für alle Kombi-Paare: Hier konnten sich die Teilnehmenden über bisherige Erfahrungen austauschen, leckeres Essen geniessen und dank Vorträgen von Fachpersonen auch noch hilfreiches Wissen und praktische Infos für Wege aus der Nothilfe erwerben. Den krönenden Abschluss des diesjährigen Projekts bildete schliesslich der sechste Kombiabend Ende August, wo alle gemeinsam feierten. Ich war dabei, habe mit einigen Kombi-Paaren gesprochen und möchte nun vier Geschichten von vielen teilen, um dadurch hoffentlich ebenso das Auge der Öffentlichkeit zum Hinschauen zu bewegen. 

*Die Namen der Nothilfe-Betroffenen im nachfolgenden Text wurden geändert.

Ursula und Bilen*

Ursula aus Zürich und ihre Kombi-Partnerin Bilen, die mit ihren drei Töchtern aus Eritrea geflüchtet ist, waren sich von Anfang an sympathisch und haben sich spontan sehr gut verstanden. «Für uns ist es ein Glücksfall, dass es so gut matcht, wir haben uns extrem gern gegenseitig», sagt Ursula. Sie hat sogar die Kinder von Bilen, deren Asylgesuch bereits zum zweiten Mal abgelehnt wurde, kennenlernen dürfen und ist sehr beeindruckt davon, wie sie ihr Leben in solch einer ungewissen Situation in die Hände nimmt. «Bilen und ihre Töchter sind vier grossartige Persönlichkeiten», fügt Ursula hinzu. Die Kinder sind sehr gut integriert, gehen zur Schule. Bilen ist sehr aktiv, selbstständig und sehr sozial, kümmert sich viel um andere und kennt auch viele Leute. «Jetzt gerade bin ich sehr glücklich darüber, dass ich und meine Töchter einen Platz in der Containeranlage in Zürich bekommen haben. Jetzt haben wir zwei Zimmer zur Verfügung und die Umstände sind etwas besser», berichtet Bilen und ist deutlich erleichtert darüber. Sie erzählt, dass sie vorher der Notunterkunft in Adliswil zugeteilt wurden, wo sie sich zu viert ein Zimmer und das Bad noch mit fremden Menschen teilen mussten. Dort war es immer laut, oft gab es Polizeirazzien ganz früh am Morgen, Privatsphäre Fehlanzeige. Für die Platzierung von abgewiesenen Asylsuchenden ist das Kantonale Sozialamt zuständig, oftmals entscheiden Glücksfaktoren darüber, in welche Unterkunft es für die Betroffenen geht. Bilen hat aufgrund der zwei negativen Asylentscheide nun ein Härtefallgesuch gestellt. Die Freiplatzaktion Zürich (FPA) – ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Rechte von asylsuchenden und migrierten Menschen einsetzt – ist ihr hierbei eine grosse Hilfe. Der Entscheid hängt momentan in der Luft, da der Deutschtest noch bevorsteht. Bilen spricht gut Deutsch, dreimal pro Woche besucht sie einen Deutschkurs vom Solinetz Zürich. Obwohl die dreifache Mutter erst in der Schweiz Lesen und Schreiben gelernt hat, macht sie schnell Fortschritte. Ihre Kombi-Partnerin Ursula sagt, es helfe beim Kommunizieren viel zu wiederholen. Selbstverständlich brauche es auch Geduld und Verständnis. Referenzschreiben hat die gebürtige Eritreerin auch viele, was schon einmal sehr positiv ist in Bezug auf das Härtefallgesuch. Dieses würde – im Falle des Erfolgs – ihr und ihren Töchtern einen Weg aus der Nothilfe ermöglichen. «Es gibt sehr viel amtlichen Papierkram zu erledigen. Ich habe gemerkt, dass es hilfreich ist, wenn die Ämter merken, dass noch eine Schweizer Person mit an ihrer Seite ist», sagt Ursula. Das System sei bereits für Schweizer sehr kompliziert zum Verstehen. Oft gibt es Dinge, die man gar nicht wissen kann oder auch Sonderfälle. Dafür sind die Gruppenabende wichtig, wo Anwälte und Fachpersonen genau darüber aufklären und für Fragen zur Verfügung stehen. Eines ist klar: Für Ursula und Bilen war die Teilnahme am Projekt eine neue und vor allem sehr gute Erfahrung, sodass ausser Frage steht, dass der Kontakt auch jetzt nach Ende der sechs Monate weitergeht. «Ach, ich dachte, wir löschen heute unsere Nummern», sagt Bilen scherzhaft zur Ursula und beide lachen. Das sei genau das, warum sie als Kombipaar so gut zusammen passen. Sie lachen sehr viel zusammen, auch ihr Humor ist ein Match.

Nicole und Tahmina*

Seit sechs Jahren ist Tahmina aus dem Iran bereits in der Schweiz, ebenfalls gefangen im Nothilfesystem. Durch «Projekt Kombi» lernte sie Nicole, die ursprünglich aus dem Berner Oberland ist, kennen. Für beide ist es von Beginn an ein interessantes Erlebnis, sie haben viel Kontakt miteinander. «Ich konnte ihr bei der Wohnungssuche helfen und habe sie an ein Frauenhaus vermittelt, wo sie zum Interview eingeladen wurde. Tahmina hat die Chance direkt gepackt und am Ende auch den Platz bekommen», erzählt Nicole. Im Frauenhaus darf Tahmina bis Mitte Dezember wohnen, dann werden die beiden jungen Frauen gemeinsam nach einer neuen Lösung schauen. Zurück in die Nothilfeunterkunft im Kanton Schwyz zu gehen, wo sie sehr eingeschränkt und isoliert wird, ist für die gebürtige Iranerin keine Option. Selbst als sie dort platziert wurde, konnte sie glücklicherweise oft bei ihrer Schwester, die schon länger in Zürich lebt, wohnen. Eine Dauerlösung sei das natürlich auch nicht. Vor allem, weil Tahmina als Person mit negativem Asylentscheid, selbst wenn sie woanders wohnen kann, regelmässig zum Unterschreiben in die zugewiesene Nothilfeunterkunft muss, um ihre Anwesenheit zu bestätigen. «Momentan warte ich auf eine Rückmeldung, da es einen Rekurs gab, weil mein zweiter Negativbescheid scheinbar nicht ganz gültig ist. Jetzt muss ich meinen N-Ausweis alle vier Monate neu beantragen», erklärt sie mir. Dieser Ausweis ist keine Aufenthaltsbewilligung, sondern lediglich eine Bestätigung für die betreffende Person, dass sie in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hat und auf einen (erneuten) Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) wartet. «Ich darf nicht arbeiten, werde in meiner Freiheit eingeschränkt und isoliert, aber ich bin stark und gehe trotzdem raus, versuche das Beste daraus zu machen», sagt Tahmina mit einem Lächeln. Selbst in dieser unsicheren Situation bleibt sie stets optimistisch und versucht ihr Leben so gut es geht zu geniessen. Auch dieses Kombi-Paar ist sich sicher, dass der Kontakt weiter bestehen bleibt, denn die zwei haben trotz der Steine, die Tahmina für ein normales Leben in der Schweiz in den Weg gelegt werden, sehr viel Spass zusammen.

Beate und Familie Rojvin*

Die kurdische Familie, mit der Beate gematcht wurde, ist heute beim Abschlussabend leider nicht dabei. Trotzdem erzählt sie ihre Geschichte. Der Grund, warum sie in die Schweiz geflüchtet sind, ist kein politischer, sondern ein familiärer. Das Paar, welches mittlerweile ein gemeinsames Kind hat, verliebte sich in jungen Jahren in ihrem Heimatland ineinander. Da sie verschiedenen Gesellschaftsschichten angehören, ist ihnen eine Liebesbeziehung aufgrund der Religion nicht erlaubt. Die Brüder der Frau haben die beiden zusammen gesehen. In dem Moment wusste Aram*, dass sie ihn umbringen werden. Die Flucht war seine Rettung. Dîlan* kam später nach, um einer Zwangsheirat mit einem viel älteren Mann zu entfliehen. Nun sind sie hier, zwar noch gefangen im Nothilfesystem, doch immerhin in der Liebe frei.

Luana und Tesfay*

Auch Luana, deren Kombi-Partner Tesfay aus Eritrea bedauerlicherweise nicht zum Abschlussabend kommen konnte, berichtet von seiner aktuellen Situation. Sein Härtefallgesuch wurde abgelehnt, weil er nicht beweisen kann, dass er aus Eritrea ist. Von der Eritreischen Botschaft bekommt er keinen Pass ausgestellt, weil die Eritreer, die dort arbeiten, regimetreu sind. Sie wollen die oppositionellen Eritreer, die aus dem eigenen Land flüchten und der Diktatur den Rücken zukehren, nicht unterstützen. Doch nicht nur das: Um Pässe auszustellen, stellt die eritreische Botschaft in Genf unzulässige und unzumutbare Bedingungen: Zum Beispiel, dass Eritreer:innen eine sogenannte «Reue-Erklärung» unterzeichnen müssen. Dadurch müssen sie sich selbst beschuldigen, den sogenannten «nationalen Pflichten» nicht nachgekommen zu sein, und die dafür verhängten Strafen akzeptieren. Auch müssen sie der Botschaft sensible Informationen über Angehörige, Freund:innen und Bekannte preisgeben, was Leib und Leben gefährdet. Bekommen die Geflüchteten jedoch keinen Pass ausgestellt, so weigern sich die Behörden ihr Gesuch zu behandeln, wie im Falle von Tesfay. Ein Teufelskreis. In Deutschland wurde bereits entschieden, dass Eritreer:innen nicht mehr gezwungen werden sollen, sich bei der Eritreischen Botschaft einen Pass zu besorgen. In der Schweiz gilt die Passbeschaffungspflicht für sie bisher leider weiterhin. Deshalb gibt es aktuell eine Petition, gerichtet an die Kantonalen Migrationsbehörden, die diese Praxis ändern können. Eine Chance für Tesfay. Seine rechtliche Aufenthaltssituation in der Schweiz ist momentan trotz abgelehntem Härtefallgesuch die gleiche wie vorher: Auch er ist in der Nothilfe gefangen. Wie Hanna Gerig im Interview vom 17. Februar 2023 treffend formulierte: «Sie sind also hier, sie werden hier bleiben, sie lernen Deutsch, sie wollen arbeiten, sie wollen Geld verdienen, doch sie dürfen einfach nicht. Damit ist niemandem gedient.» Selbst wenn Luana ihren Kombipartner so gut es geht unterstützt, merkt sie auch eine gewisse Machtlosigkeit in solch einer Situation. Doch füreinander da zu sein und die Hoffnung nicht aufzugeben, ist schon sehr viel wert.

Obwohl wenn die jeweiligen Situationen und Schicksale der Menschen mit negativem Asylentscheid sehr unterschiedlich sind, so haben sie alle etwas gemeinsam: Sie wollen ein normales, sicheres, menschenwürdiges Leben führen können – eines ohne Angst vor Folter, Unterdrückung, Tod oder Ähnlichem – eines, was für die meisten von uns selbstverständlich ist. Sie alle haben Gründe, warum sie trotz Ablehnung noch hier sind. Auch haben sie Glück, dass es Menschen gibt, die sich für sie interessieren; die ihnen zeigen, dass sie trotz der gewollten Isolation durch die Asylpolitik nicht allein sind; die für sie mitkämpfen um einfache Menschenrechte, die uns allen zustehen. 

Mehr zum Projekt Kombi unter: https://www.projektkombi.ch/

14. September 2023

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