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Weg vom puren Schmerz und Fremdbestimmung – so funktioniert Orgasmic Birth

Ich bin 29, nicht schwanger und hab auch keine Eile. Trotzdem schreibe ich über das Thema Geburt, obwohl es mich «bis es mal so weit ist» gar nicht interessieren müsste. Tut es aber. Und ich denke, dass die frühzeitige Beschäftigung damit – lange vor dem tatsächlichen Kinderwunsch – jeder Frau helfen kann, eine selbstbestimmte, positive und sogar orgasmische Geburt zu erleben, «wenn es dann mal so weit ist».

Von Janine Friedrich

Schon Diana Korte und Roberta M. Scaer, Autorinnen des Buchs «A Good Birth, A Safe Birth», brachten es vor Jahrzehnten mit ihrem bekannten Zitat auf den Punkt: «Wenn du deine Optionen nicht kennst, dann hast du keine.». Die Botschaft, die dahinter steckt, ist eine überaus positive: Sie will Frauen dazu ermutigen, sich früh genug Gedanken zu ihren ganz eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen bezüglich der Geburt zu machen. Dazu gehört das eigenständige Informieren über die zur Verfügung stehenden Optionen und die offene Kommunikation der persönlichen Wünsche. Denn, wenn eine Frau neben ihrem Vertrauen auch das Gefühl der Kontrolle in der Situation hat – und das hat sie mit mehr Wissen über Alternativen sowie einer bewussten Vorbereitung – dann ist das für sie wünschenswerteste Geburtsszenario auch sehr viel greifbarer. Es gibt sogar Studien, die diese Art der Selbstbestimmung als entscheidenden Faktor sehen, wenn es darum geht, ob eine Frau die Geburt als traumatisierend und negativ oder eben als ekstatisch und positiv erlebte.

Natürlich – und das möchte ich an dieser Stelle einwerfen – es gibt immer Risiken und unvorhersehbare Dinge, die während einer Geburt passieren können. Es ist mir bewusst, dass nicht alles nur schwarz oder weiss ist. Deshalb, klar, ich könnte jetzt auf solche Sachen eingehen und die Ängste, die sowieso schon in vielen von uns stecken, weiter füttern. Ich könnte mich auch über die steigenden Kaiserschnitt-Raten aufregen oder die medizinische Notwendigkeit bestimmter Behandlungen auf wissenschaftlich fundierter Basis in Frage stellen und mehr Transparenz verlangen. Ich könnte darüber schreiben, wie viele Frauen heutzutage noch immer (auch in der Schweiz) informellen Zwang während der Geburt erleben. Könnte – mach ich aber nicht, obwohl das alles Themen sind, die definitiv beleuchtet werden sollten oder gar eine Debatte auf gesellschaftlicher Ebene erfordern. Es gibt genügend Artikel über all solche Negativfakten und -beispiele, da braucht es nicht noch einen weiteren. Jedenfalls nicht von mir. Ich weiss, dass wir immer die Wahl haben, worauf wir unsere Energie richten. Deshalb sollte dieser Artikel hier von Anfang an einer werden, der den Optimismus für eine selbstbestimmte und schöne Geburtserfahrung weckt, anstatt Ängste zu schüren.

Die Aufklärung rund um die Themen Schwangerschaft und Geburt ist so facettenreich, dass es kein Wunder ist, dass so viele Bücher dazu existieren. Das Positive Birth Movement hat zudem einen sehr grossen Anteil daran, dass ganzheitliche Ansätze für die Geburt immer beliebter werden und einen ganz klaren Trend anzeigen:

Weg von der Geburt als medizinischen und sogar wirtschaftlich profitablen Eingriff und zurück zu der Geburt als natürliches, intimes Ereignis. Weg von den angst- und effizienzgeprägten Massnahmen, die allzu oft nicht sein müssen, und zurück zu einer möglichst interventionsfreien und holistischen Geburtshilfe. Weg von der unphysiologischen und ungünstigen Rückenlage und zurück zu einer von der Frau frei gewählten, natürlichen Gebärstellung. Weg von jeglichen Tabus rund um die Geburt und hin zur Offenheit. Weg von «So hat man das bisher halt gemacht» und hin zu «Jetzt wissen wir es besser, jetzt machen wir es anders.» Weg von einer Geburt, in der die Frau die Macht abgibt, und hin zu einer, in der die Selbstbestimmung der Frau den Weg ebnet. Weg von einer Geburt, in der Lust keinen Platz hat und hin zu einer, in der möglicherweise nicht nur das Kind kommt. Und so weiter.

Die mittlerweile 82-jährige US-Amerikanerin Ina May Gaskin, die unter anderem das Buch «Spiritual Midwifery» schrieb, wird oft als bekannteste Hebamme der Welt bezeichnet und ist Verfechterin der authentischen, selbstbestimmten und natürlichen Geburtshilfe. Sie sieht die Geburt als Vollendung des sexuellen Aktes, durch den das Kind einst gezeugt wurde:

Over and over again, I’ve seen the best way to get a baby out is by cuddling and smooching with your husband. That loving, sexy vibe is what puts the baby in there, and it’s what gets it out, too.

Ina May Gaskin

Mit der Ansicht, dass die Geburt ebenso Ausdruck der weiblichen Sexualität ist, ist sie zudem nicht alleine. Auch Dr. Sarah Buckley, die unter anderem Verfasserin der Bücher «Undisturbed Birth: The Science and the Wisdom» und «Gentle Birth, Gentle Mothering» ist, teilt diese Meinung. Sie zählt neben Sex und Selbstbefriedigung auch den weiblichen Zyklus, die Schwangerschaft, die Entbindung und das Stillen zur Sexualität.

One of the best-kept secrets of easing pain and promoting relaxation in labor is clitoral stimulation.

Elizabeth Davis

Dass eine Geburt weiterhin das Potenzial hat lustvoll zu sein, wird im Buch «Orgasmic Birth» von Elizabeth Davis und Debra Pascali-Bonaro, welches ich in jedem Fall auch allen nicht-schwangeren Frauen mit bestem Gewissen weiterempfehlen kann, sehr deutlich. Viele Frauen berichten von orgasmischen Geburten, welche tatsächlich keine Seltenheit sind. Nur wird noch viel zu wenig darüber gesprochen. Ähnlich verhält es sich mit dem wunderbaren Fakt, dass die klitorale Stimulation während der Wehen sehr effektiv Schmerzen lindert und die Produktion von Oxytocin, welches sowieso schon ausgestossen wird, noch etwas mehr ankurbelt. Ich reisse das hier nur an, richtig informieren muss sich am Ende immer noch jede:r selbst. Ich hoffe einfach, mit solchen Ansätzen und Positivbeispielen den Optimismus bezüglich der Geburt zu wecken, sodass noch mehr Frauen schöne Erfahrungen machen.

Eines ist jedenfalls klar: Eine selbstbestimmte und interventionsarme Geburt ermöglicht allen eine erhöhte Zufriedenheit mit ihrer Geburtserfahrung. Deshalb, und ich wiederhole mich an dieser Stelle gern, legt die Selbstbestimmung der Frau den wichtigsten Grundstein für ein positives Geburtserlebnis. Weiterhin bin ich der Meinung, dass jede Frau lange vor der Schwangerschaft beginnen kann, diesen Grundstein zu legen. Denn der umfasst weitaus mehr als gedacht. Wir können also auf unterschiedlichste Weisen vorsorgen. Zum Beispiel, indem wir uns mit dem eigenen Zyklus in Einklang bringen. Indem wir unsere Sexualität frei ausleben. Indem wir lernen, auf unseren Körper und unsere Intuition zu hören. Indem wir lernen, unsere Bedürfnisse stets offen und klar zu kommunizieren. Indem wir Ängste konfrontieren und sie so gut es geht aus dem Weg räumen. Und natürlich, indem wir uns belesen und unseren Fokus auf die die positiven Gedanken richten und uns von den wundervollen Erfahrungen anderer bestärken lassen.

If we are to be entirely truthful, we have to agree that birth is a journey into the unknown, and every woman has to wing it with courage and insight.

Elizabeth Noble

Noch, jedenfalls, zähle ich Zyklustage statt Schwangerschaftswochen. Noch ist das biologische Uhrticken nicht zu hören und der gesellschaftliche Fortpflanzungsdruck meinem Uterus herzlich egal. «Ich weiss, dass ich keine Kinder wollen muss», wie Marie Krutmann so schön sagte. Doch sollte ich mich einmal dafür entscheiden, dann fühle ich mich «bis es mal so weit ist» – sei es in ein, zwei oder fünf Jahren – gut aufgehoben mit all dem Wissen über die Optionen und den ganzheitlichen Ansätzen. Auch habe ich vertrauen, dass ich eine selbstbestimmte, schöne und sogar lustvolle Geburt erleben kann, «wenn es dann mal so weit ist».

25. November 2022

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