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Say my Name – weiblich gelesene Statuen in Zürich

«Die 10 besten Monumente und Statuen in Zürich 2024» eine Liste auf TripAdvisor. Sie umfasst neun bekleidete, ehrenvoll positionierte Männer und eine weibliche nackte Engelsfigur mit überdimensionalen Brüsten. Es ist Zeit, das zu ändern.

Von Lorena Lucek

weibliche Statue in Zürich

Die Bedeutung, die Zwingli, Escher und Co. für die Stadt Zürich haben, und dass sie mitverantwortlich sind für das heutige Zürich, möchten wir ihnen nicht absprechen. Obwohl in den vergangenen Jahren die Legitimität einiger zu Recht ins Wanken geraten ist, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sie Zürich auf die eine oder andere Weise historisch geprägt haben. Doch wo steht die Statue von Johanna Spyri? Als wohl bekannteste Schweizer Autorin und Verfasserin von «Heidi» hat sie buchstäblich Geschichte geschrieben. Oder Elisabeth von Wetzikon, die Äbtissin, wird nicht umsonst auch die grosse Frau von Zürich genannt.

Die weiblichen Statuen, denen man bei einem Spaziergang durch die Stadt begegnet, sind vor allem eins: nackt und namenlos. Keine Gedenktafel verweist, wie bei den männlichen Versionen, auf historische Leistungen hin und stellt somit auch nicht sicher, dass ihre Geschichte für zukünftige Generationen festgehalten wird. Ihre Existenz dient mehr so der Dekoration?

In einem Jahrzehnt, in dem die Gesellschaft sich mehr denn je der Bedeutung von Repräsentation bewusst ist, verleihen wir vier Zürcher Statuen ein notwendiges Repurpose. Dafür werden sie am feministischen Kampftag eingekleidet und mit einer Gedenktafel ergänzt. Jeden Freitag des Monats wird der Artikel mit Text über eine historische Frau und einer ihr zugeschriebenen weiblich gelesenen Statue von einer Schweizer Journalistin ergänzt. Denn Frauen haben Geschichte geschrieben und schreiben sie fortwährend.

Bekime

Sie backt und nur wenn sie backt ist es leise um sie herum. Ihre Gedanken steckt sie in den Teig, ihre Augen verlieren sich irgendwo in der Vergangenheit und mit ihren Händen knetet sie die Zukunft ihrer Töchter.


Sie steckt Kraft, Mut und Hoffnung hinein. «Esst», sagt sie zu ihnen, und zaubert aus dem Nichts alles für sie herbei. In diesen Momenten ist sie wach, bis sie wieder den Besen in die Hand nimmt und nicht mehr aufhört zu putzen, zu ordnen, zu waschen. Zu vergessen.


Und wenn sie einer von diesen Tagen hat, an denen der stechende Schmerz in ihren Fingern, Tränen aus ihren starken Augen reisst, sagt sie zu sich selbst: Es wäre dumm jetzt aufzugeben.


Denn jetzt suchen ihre Töchter abends vor dem Fernseher immer noch Zuflucht in ihrem Schoss. Ein kleiner Kopf ruht auf jedem ihrer Knie, während ihre brüchigen Hände sanft durch das Haar ihrer Kinder streichen. In diesen Momenten verblasst ihre Müdigkeit. Die Wärme ihrer Nähe erinnert sie daran, warum es sich lohnt, jeden Tag mit demütiger Hingabe durch diese gottverlassene Fabrikhalle zu wandern.

Text von Arzije Asani

Johanna Spyri

«Author, feminist, mother» stände in Johanna Spyris Social-Media-Profilen, hätte sie zu unserer Zeit gelebt. Die Zürcherin, die Schicksalsschlag nach Schicksalsschlag überleben musste, schrieb die wohl bekannteste Schweizer Geschichte: «Heidi». Johanna Spyri, die erfolgreichste Autorin der Schweiz, verschwindet hinter einer erfundenen Figur.

Am 12. Juni 1827 als Tochter eines Arztes und einer Dichterin geboren, lebte Johanna Spyri bis zu ihrem 25. Lebensjahr im Zürcher Vorort Hirzel. Nach der Eheschliessung mit Johann Bernhard Spyri, dem späteren Stadtschreiber Zürichs, zog sie in die schnell wachsende und im Umschwung stehende Stadt.

Mit 44 Jahren, als Mutter und Familienfrau, beginnt Spyri zu schreiben – und dies äusserst erfolgreich. Kurz nach ihrem Debüt veröffentlicht sie «Heidi», eine Geschichte, die in 70 Sprachen übersetzt und unter anderem in Japan und den USA verfilmt wurde. Über 50 Millionen verkaufte Exemplare verhelfen ihr zum Titel der erfolgreichsten Autorin der Schweiz. 

Doch ihr Leben war nicht immer so hoffnungsvoll und idyllisch, wie es ihre Bücher vermeinen lassen. Ihr einziger Sohn verstarb im Alter von 28 Jahren, kurz darauf auch ihr Ehemann. Doch Spyri schrieb weiter, veröffentlichte bis zu ihrem Tod zahlreiche Werke und engagierte sich für eine bessere Bildung für Frauen. 

Ihr Erbe lebt weiter, in Form eines Mädchens namens «Heidi» und darüber hinaus in Form von ermutigten Menschen weit und breit; selbst wenn die Anerkennung weiterhin fehlt. 

Und somit schliesst sich der Kreis, erst lange nach ihrem Tod und weiterhin nicht genug, in unserer Ehrung der erfolgreichsten Autorin der Schweiz.

Text von Sina Schmidic


Sapphira

Erschöpft kommt sie zuhause an. Die Schicht war lang, der Nachhauseweg ist noch länger. Den gierigen Blicken, die ihr Männer immer wieder hinterherwerfen, und ihren lüsternen Pfiffen schenkt sie keine Beachtung. Sapphira hat früh gelernt, dass es durchaus erlaubt ist, sich unmöglich aufzuführen, wenn man nur das «richtige» Geschlecht hat. Mit wollüstigen Männern weiss sie umzugehen.

Aus irgendeinem Grund hat sie heute aber die Schnauze voll. Da ist eine Wut in ihr, die sich schon seit Jahren in jeder Zelle ihres Körpers breitmacht, und die jetzt hochkocht. Sie hat keinen Bock mehr darauf, dass sie, obwohl sie in der Schweiz aufgewachsen ist, ständig gefragt wird, ob sie Deutsch könne. Darauf, dass Menschen davon ausgehen, sie sei wegen ihres Jobs ungebildet, unfähig oder gar kriminell. Sie ist wütend. Weil es scheint, als würde sich an all dem nichts ändern – egal, wie viel Zeit verstreicht.

Es ist absurd, dass diejenigen, die Sexarbeiter:innen am meisten beanspruchen, auch die sind, die ihnen die meisten Steine in den Weg legen. Und dabei natürlich nicht checken, dass sie damit nur versuchen, ihrer gesellschaftsbedingten Scham und Angst aus dem Weg zu gehen.

Sapphira weiss, dass sie kein Objekt der Begierde ist. Dass sie keine weisse Leinwand ist, auf der alle ihre als «Präferenz» getarnten Fetische und Stereotypen projizieren können. Nein, ganz im Gegenteil. Sapphira ist selbstbestimmt. Sie ist Subjekt ihrer eigenen Geschichte, die nur ihr allein gehört. Und das kann ihr niemand nehmen.

Text von Gisèle Moro


Paulette Brupbacher 

Gäbe es eine jährliche Preisverleihung der «Bad Bitches», bei der Frauen geehrt würden, die nicht leicht zu vergessen sind, keineswegs einfach für den Verstand, mit Wut auf der Zunge und Eierstöcken aus geschmiedetem Stahl – die Arbeiterärztin Paulette Brupbacher stände ohne Zweifel auf der Nominiertenliste für den «Baddest Bitch Lifetime Award». 

weibliche Statue in Zürich

Als praktizierende Ärztin in Aussersihl der 1920er Jahre, dem damaligen Arbeiterquartier Zürichs, beschreibt Paulette Brupbacher die ungewollten Schwangerschaften ihrer Patientinnen als «unter allen Problemen des Frauenlebens, das Tragischste». Sie setzt sich für die Legalisierung von Abtreibungen ein und beginnt selbst Aufklärungsarbeit zu betreiben. Ihr Ziel: Frauen und Männern zu erklären, wie man erst gar nicht schwanger wird. 

weibliche Statue Zürich

Das zu einer Zeit, in der wir noch zirka 90 Jahre von der Fristenlösung entfernt sind und der eigene Sexualtrieb als unmoralisch angesehen wird. Wer keine Kinder möchte, soll enthaltsam leben, heisst es. Wer verhütet, der outet sich als Nymphomanin in Spé. 

So hält Paulette regelmässig Vorträge in grossen und kleinen Ortschaften in der Schweiz, bei denen sie im Detail unterschiedliche Verhütungsmethoden erklärt und anonyme Fragen aus dem Publikum beantwortet, wie beispielsweise: «Kann bei einem Geschlechtsverkehr die Frau auch befruchtet werden, wenn sie von dem Verkehr keinen Genuss hat?» – was zu einer Zeit, in der in Paulettes Worten «Menschen als sexuelle Analphabeten durchs Leben gehen», eine berechtigte Frage ist. 

weibliche Statue Zürich

In Solothurn erhält sie wegen ihrer Aufklärungsarbeit 1936 ein Redeverbot, das sogar das Bundesgericht bestätigt. Später verbietet ihr auch der Kanton Glarus das Auftreten. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wird in der Schweiz Werbung für Verhütungsmittel per Strafgesetz verboten. Der Paragraph wird erst 1989 aufgehoben. Doch von all dem lässt Paulette Brupbacher sich nicht bremsen. Sie macht weiter – für Aufklärung, das Selbstbestimmungsrecht der Frau und Sexualität, die nicht von Moral bestimmt ist. 

Langsam öffnet die vorjährige Preisträgerin, Mileva Marić, das Couvert: «… und die Bad Bitch, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird, ist … » Das Publikum schaut gespannt auf die Bühne, die Hände feucht vor Aufregung, jeder Atemzug ein Flüstern der Hoffnung. «Paulette Brupbacher! Herzliche Gratulation, Girl!»

Text von Simona Boscardin

Art Direction & Analog Photography: Lorena Lucek
Styling: Yanick Monteiro
Light: Lino Kalt
Lead Camera & Cut: Elay Leuthold
Camera & Cut: Anja Reichlin


06. März 2024

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