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«Les Paradis de Diane» – Mutterschaft, Reue und Selbstbestimmung

Ein Liebespaar wälzt sich lustvoll im Bett. Eng umschlungen liebkosen sie einander. Liebevolle Blicke, Küsse, Streicheln. Schwerer Atem, der abrupt in ein schmerzerfülltes Stöhnen übergeht. Wir finden uns in der Geburtsstation eines Schweizer Krankenhauses wieder. Die Protagonistin Diane, die sich gerade noch im Bett vergnügte, gebärt jetzt ihr erstes Kind. Und sie bereut es.

Von Gisèle Moro

Das sind die ersten Minuten des französischsprachigen Films «Les Paradis de Diane» (2024), der an der diesjährigen Berlinale seine Premiere feierte. Autorin Carmen Jaquier und Regisseur Jan Gassmann trauten sich, eine Seite von Mutterschaft zu porträtieren, über die sonst nur unter der Hand geredet wird – wenn überhaupt. Das Phänomen trägt viele Namen: Regretting Motherhood, Postpartum Depression, Baby Blues. Was all das beschreiben soll: Eine Mutter, die die Geburt ihres Kindes bereut. Rau, subtil und doch unverblümt zeigen Jaquier und Gassman, wie diese Reue aussehen kann.

Diane, eine Frau Ende 30, bereut ihre Mutterschaft schon Stunden nach der Geburt. Als die Überforderung die Oberhand gewinnt, fasst sie einen radikalen Entschluss: Sie flieht. Eines Nachts schleicht sich aus der Entbindungsstation des Krankenhauses und lässt dabei ihre Familie und ihr Neugeborenes zurück. In einer ihr fremden Stadt trifft Diane auf neue Menschen und Perspektiven und findet sich – in einem Körper, der sie ständig an ihre Mutterschaft erinnert – neuen Herausforderungen ausgesetzt.

«There’s complexity in the topic»

– so Autorin und Regisseurin Carmen Jaquier. Und diese Komplexität muss berücksichtigt werden. Sie erzählt weiter: «Was Diane durchlebt, ist ihre eigene Erfahrung – keine universelle Darstellung von Regretting Motherhood oder wie man es auch nennen mag. Wir hatten nie den Anspruch, eine universelle Erfahrung darzustellen, weil es nun mal keine ist. Sie ist höchst individuell und persönlich, und das haben wir auch genau so zeigen wollen.»

In Vorbereitung auf den Film sprachen Jaquier und Gassmann mit 50 Frauen über ihre individuellen Mutterschafts-Erfahrungen. Dabei merkten sie, wie sehr sich die Geschichten der Frauen voneinander unterschieden. Jaquier und Gassmann entschlossen daher, dem, was Diane erlebt, keinen expliziten Namen zu geben. Hierzu meint Gassmann: «Diese Erfahrungen unter einem Begriff, wie beispielsweise Regretting Motherhood zusammenzufassen, würde dem Durchlebten nicht gerecht werden, sondern vielmehr einschränken.»

Emotionen in Kamera, Musik und Schauspiel

«Les Paradis de Diane» brilliert darin, Emotionen in Kameraführung, Musik und Schauspiel zu übersetzen, und spielt den gesamten Film hinweg clever mit der Verwendung von Motiven und Symbolen. Trotz intensiver Thematik und sehr starken Bildern ist es dennoch ein leiser Film, der nicht allzu viele Dialoge umfasst und überwiegend die Geräuschkulisse der Umwelt widerspiegelt. Der Film regt an – zum Nachdenken, zum Spüren, zum Verstehen, auch zum Nicht-Verstehen – ohne dabei zu aufdringlich oder wertend zu sein. Man fühlt allerdings immer wieder eine grosse Distanz zur Protagonistin, was weniger mit der Flucht an sich und mehr mit Dianes Handlungen auf der Flucht zusammenhängt. Die genauen Gründe für ihre Handlungen bleiben ungeklärt, was bedeutet, dass das Publikum sich diese selbst zusammenreimen muss. Und besonders bei einem Thema wie diesem ist das unbequem, teilweise gar unmöglich. Aber vielleicht ist das der Punkt?

«Je suis Diane»

Dies ist ein Satz, den Diane erst gute 30 Minuten nach Beginn des Films zum ersten Mal äussert. Bis zu dieser Stelle, kann man den Namen der Protagonistin sogar vergessen, obwohl er Teil des Titels ist. Doch ihre Flucht zwingt Diane, sich immer und immer wieder neu vorzustellen und dabei auch das Publikum daran zu erinnern, wer sie ist.

Die Gesellschaft erwartet von Frauen, Kinder zu gebären, und diese für den Rest ihres Lebens über sich selbst zu stellen. Mütter sind dazu aufgefordert, allein für ihre Kinder zu existieren, sich selbst aufzugeben. «Les Paradis de Diane» allerdings porträtiert eine Mutter, die sich dieser Selbstaufgabe widersetzt und rebelliert so gegen das traditionelle Mutterbild.

«Do you think I’m a monster»

Nie geht es in dem Film explizit um richtig oder falsch, nie um Recht oder Unrecht. Wir als Zuschauer:innen müssen dies Szene für Szene neu mit uns selbst und mit Diane aushandeln. In einer Szene spricht sie selbst es aus, indem sie eine Zufallsbekanntschaft fragt: «Do you think I’m a monster?» Eine Antwort bekommt sie nicht. Und auch als Zuschauerin fällt es in diesem Moment schwer, eine klare Antwort zu finden.

Mutterschaft und Reue – das sind keine Themen, die gern miteinander in Verbindung gebracht werden. Doch die Realität ist, dass diese beiden Dinge durchaus miteinander existieren können, auch wenn das zunächst ein unheimlicher Gedanke ist. «Les Paradis de Diane» erzählt eine Geschichte, die keine Scheu vor Unbehagen hat.

«Les Paradis de Diane» läuft ab dem 14.03.2024 in den Deutschschweizer Kinos. Hier könnt ihr 1×2 Tickets für die Vorpremiere in Zürich, Riffraff – Sonntag, 10. März, 21h00⁠ gewinnen oder für 1×2 Tickets für die Vorpremiere in Luzern, Bourbaki – Sonntag, 10. März, 18h00⁠

26. Februar 2024

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