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«Visuelle Inhalte tragen zur Umgestaltung der Beziehung zwischen Menschen und deren Dingen bei» – Künstlerin Jill Winnie Moser im Interview

Unter Miteinbezug von popkulturellen Referenzen, Entfremdungsprozessen und einer feinen Gratwanderung zwischen Hochkultur und Kommerzialität erschafft die Wahlberlinerin Jill Winnie Moser künstlerische Werke, die sich oft mit multidimensionalen Spannungsverhältnissen auseinandersetzen.

Von Joshua Amissah

Ihre Bildwelten aus Öl hinterfragen den vielfach diskutierten Warenfetischismus und seine visuellen Manifestationen in den neuen Medien. Auf inhaltlicher Ebene kollidieren hier ein alteingesessenes Kritikverständnis der kapitalistischen Ökonomie auf Medientheorien, welche diverse Inhalte als Ausweitungen des menschlichen Körpers verstehen. Im übertragenen Sinne ein Tête-à-Tête mit Karl Marx und dem kanadischen Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan, dessen konstruktiver Austausch von Moser als stille Beobachterin ins heutige Zeitalter transferiert wird. Dabei beschäftigt sie sich nicht nur stark mit der Emotionalisierung von Markenerlebnissen, sondern auch mit sozialem Status und den damit einhergehenden Bedürfnissen. Objekte der Begierde werden in einen brodelnden Kessel geworfen und tauchen als dunkler Nebel aus Formen auf, die uns in eine höchst mystifizierte Welt locken. Eine Welt aus Rauch und Spiegeln, die so schnell wieder verschwinden kann, wie sie auch entstanden ist. Die von Softwares mit künstlicher Intelligenz erzeugten Bilder werden teilweise als Referenzmaterial verwendet, um nicht nur die Autor:innenschaft zu hinterfragen, sondern auch um Distanz zwischen der Künstlerin und dem Endprodukt zu schaffen.

Für weniger Distanz und mehr Annäherung haben wir uns mit der Künstlerin Jill Winnie Moser ausgetauscht.

Seit geraumer Zeit ist nun auch Berlin dein Zuhause – keine unübliche Destination für viele junge Künstler:innen. Was hat dich dorthin verschlagen?

Während der Organisation der Gruppenausstellung «Salon der Gegenwart» im Helmhaus Zürich musste ich aus meinem damaligen Atelier ausziehen. Der Auszug und der mir neuen Positionierung meiner Malerei im institutionellen Kontext brachten Zukunftsängste, Selbstzweifel und eine unabdingliche Transformation in mir hervor. Meine Erwartung an die Inhalte meiner Werke stieg rasant an, wobei mir die Befreiung aus der Repetition meiner, sich bisher als funktionsfähig bewiesenen, Prozessen schwer viel. Das Studieren und Thematisieren meines eigentlichen Interesses rückten in den Hintergrund.

Auch wurde ich mit dem Fakt konfrontiert, dass sich mein Schaffen in eine nicht-remote Praxis manifestiert hatte und ausserhalb meines Studios bislang kaum existierte. Inmitten der globalen Pandemie und ohne Atelierräumlichkeit versuchte ich mich dennoch meiner künstlerischen Praxis zu widmen. Ich studierte die Werke wichtiger Autor:innen wie Graw, Sillmann und Berger und holte längst nötige Theorie nach. Schrieb und las Texte, zeichnete auf Papier, hörte Audio-Books und fertigte Skulpturen aus gefundenem Material an. Folglich reifte ich mein Schaffen fern der Ölmalerei aus. Dies war wesentlich, um vollumfänglich zu verstehen, dass mein künstlerisches Werk über die Leinwand hinausgreift. Ich erlangte die nötige Selbstsicherheit, um den Wegzug aus der Schweiz zu wagen. Schliesslich lockte mich die potenzielle Möglichkeit, mich für eine Weile von internalisierten Erwartungen, abgeleitet von meinen bisherigen, ortsgebundenen Erlebnissen, distanzieren zu können.

Weit weg von deinen ortsgebundenen Erlebnissen: Was symbolisiert die deutsche Hauptstadt für dich?

Berlin symbolisiert für mich die Erlaubnis zur Neufindung. Es weht ein frischer Wind, angetrieben von mir meist noch fremden Künstler:innen und Akteur:innen und es fühlte sich für meine heranreifende Praxis nach dem passendsten Ort an.

Bread and Butter, Whips and Chains, oil on canvas 110 x 80 cm, 2022
(photo: Diana Gabrielli)

Eines deiner neuesten Gemälde ist das Bild «Bread and Butter, Whips and Chains» – was sind die Hintergründe von diesem mythischen Traumszenario?

Die gemalte Szenerie erinnert an Illustrationen von unheimlichen, vermeintlich verhexten Zauberwäldern oder ausserirdischen Fremdlandschaften wie man solche beispielsweise aus Zeichentrickfilmen der 1980er Jahre wie «Die Schlümpfe» oder «Captain Future» kennt. Die im Vordergrund positionierte Hand nimmt dabei die Rolle eines mutigen Hauptcharakters ein. Eine brennende Kerze in Form eines Dollarzeichens verschwimmt zu einer orphischen Acht, eine optische Verwandlung vom Währungs- zum Unendlichkeitssymbol. Ihr Wachs zerfliesst und fusioniert mit dem Zeigefinger des auskundschaftenden Helden. Beleuchtet wird eine schimmernde Autofelge. Das Fahrzeug, so unbeschmutzt platziert in dieser düsteren Sumpflandschaft, erscheint einem fehl am Platz. Es entsteht eine Neugierde diesem gefundenem Objekt gegenüber und kreiert Interpretationsspielraum für dessen mögliche magische, übernatürliche Fähigkeiten.

Greift die Titelsetzung nicht auch Redewendungen und popkulturelle Bezüge auf?

Die Definition der Redewendung «Bread and Butter» lautet im Cambridge Dictionary «a job or activity that provides you with the money you need to live». Zwei Nahrungsmittel versinnbildlichen hier das Erlangen von notwendigem Kapital. Der zweite Teil des Titels, «Whips and Chains», zählt zwei Objekte auf welche vorwiegend im Sadomasochismus ihre Verwendung finden. Durch Rihanna’s Lied «S&M» gewann die sexuelle Konnotation dieser Gegenstände ausserhalb der Fetisch-Szene Integration im popkulturellen Kontext.

Auch das englische Wort «Bread» wird bis heute umgangssprachlich beispielsweise in der Rapmusik von ikonischen Künstlern wie Kendrick Lamar, Nas und Drake dem Bargeld zugeschrieben. Durch das Zusammenführen dieser zwei Phrasen entsteht ein direkter Vergleich zwischen vergegenständlichtem, symbolisiertem Kapital und einer von klaren Machtverhältnissen geprägten sexuellen Praktik. Der Titel zersetzt massgeblich das Wort «Warenfetisch», verfehlt aber bewusst die von Karl Marx beschriebene Bedeutung des Begriffes.

Die neu entstandenen Bildwelten scheinen sich farblich, wie auch technisch von den älteren Werken zu unterscheiden. Irgendwie wirken sie stimmiger, harmonischer und die Verschmelzungen von den einzelnen Objekten ist fliessender. Wie hast du dich technisch als Ölmalerin in den letzten Monaten weiterentwickelt?

Schaut man sich ältere Arbeiten von mir an, zum Beispiel Werke meiner ersten Solo Ausstellung «The Glow-Up» aus dem Jahre 2020, so weisen diese eine klare Verbindung zur Pop-Kunst und dem Fotorealismus auf. Ähnlich wie die Pop-Künstler:innen und Fotorealist:innen schätzte ich die bewusste, vorhergehende Planung als bedeutendster Teil meines Prozesses. Im Gegensatz zum Fotorealismus zielte ich jedoch durch das Aufgreifen von Objekten welche Freizeit- und Populär-Kultur widerspiegelten, die Kritik an die Massen- und Konsumkultur in einem sozialpolitischen Kontext spezifisch an. Ich positionierte mich inhaltlich näher an der Pop-Kunst.

Meine damalige Gemeinsamkeit zum Fotorealismus bestand hauptsächlich darin, dass ich nicht davor zögerte, die Abhängigkeit von der Fotografie für meinen künstlerischen Prozess zu thematisieren. Der grösste Teil meiner Autonomie, Autor:innenschaft und Intuition als Künstlerin floss in die digitale Sammlung, Zusammenstellung, Verarbeitung und dem Collagieren meines gefundenen Bildmaterials ein. Gemalt wurde erst, was fast vollumfänglich durchgeplant war.

Gab es während dieser intensiven Transformation auch eine Art Verlagerung der eigenen Interessensfelder?

Entfernt habe ich mich von meinem einstigen Arbeitsprozess, was in einer Verlagerung meiner Interessen resultierte. Weg von der aufwendigen, digitalen Vorbereitung und der präzisen Abbildung meiner visuellen Referenzen, und hin zur Theorie der Ölmalerei als klassisches, politisches Medium und der direkten expressiven Auseinandersetzung der mir wichtigen Thematiken. Die malerische Gestik bekommt einen höheren Stellenwert, die Virtuosität der Abbildung verliert an Materie. Das rohe, visuelle Referenzmaterial dient nurmehr als Anlehnung.

Neben der genannten thematischen Weiterentwicklung übe ich mich zeitgleich in der Herstellung eigener Ölfarben, unüblichen Techniken des Farbauftrags und dem Materialisieren meiner Kontexte in Form kleineren Skulpturen sowie Installationen. Ebenso wichtig ist mir das Studieren von Texten über die Malerei, welche mir viel über deren Stofflichkeit, Zeitgeist und Politik lehren.

New Arrivals, oil on canvas 140 x 120 cm, 2022
(photo: Diana Gabrielli)

Wie können wir uns den Arbeitsprozess hinter einem Bild vorstellen?

Mein momentaner Arbeitsprozess wurde stark geprägt von meiner Befreiung vom Scham gegenüber meiner bodenständigen, alles andere als intellektuellen Kinderstube. Ich heile gerade vom jahrelangen Versuch, durch malerisch-akademische Fähigkeiten von den für mich einst als banal empfundenen Thematiken abzulenken. Auch wenn die Begriffe der hohen und niedrigen Kultur sich heute nur noch selten finden, so besteht dennoch ein schmerzlich spürbares, wechselseitiges Spannungsverhältnis zwischen der Hochkultur und der Populärkultur, welche sich an der Unterhaltung, und dem Kommerz des Beliebten richtet. Die ästhetisch sowie politischen, moralischen Kriterien, welche oftmals gebraucht werden, um Kunst in genannte Gattungen zu bewerten sind meist mit soziologischer Klassifizierung und sozialer Einschätzung verbunden. Sowohl mein Arbeitsprozess als auch meine Werke selbst fokussieren sich stark darauf, diese Ideologie und Differenzierung als obsolet zu beweisen. Durch das vertiefte Befassen meiner vermeintlich trivialen Eindrücke meiner Jugend lerne ich fortlaufend einen intellektuellen Diskurs darüber zu pflegen, und auch zu verteidigen. Ich entschloss mich, diese Auseinandersetzung transparent in meinen Arbeitsprozess einzubeziehen.

Ich zähle beispielsweise die, mir verinnerlichte, visuelle Sprache von populären Musikvideos aus den 1990-2010er Jahre und meine emotionale Bindung zu den damaligen klischeehaften Fernseh- und Radiowerbungen als wichtige Inspiration und Referenzmaterial meiner Werke. Meinen Arbeitsprozess kann man sich als ein Sammeln und Recherchieren von Kontexten der populären Unterhaltung- Marketing- und Massenkultur, von meiner Kindheit bis ins Jetzt, vorstellen. Der zentrale Fokus liegt dabei auf der Art und Weise, wie Waren visuell kommuniziert werden und unsere Beziehung diesen gegenüber. Der Akt des Kreierens im Atelier, mitunter die Malerei, ist dann die weiterführende materielle Manifestation genannter Vertiefung.

In deinem Portfolio erwähnst du auch die Verwendung von Künstlicher Intelligenz zur Erstellung von neuem Bildmaterial. Woher stammt das Interesse für diese Technik?

Mit der Veröffentlichung neuer Generationen von Open Source KI-Softwares wie «Dall-e 2» und «LensaAI» wurde der Debatte bezüglich der Urheberschaft an kreativem Eigentum erneut Dringlichkeit zugeschrieben. Das kläffende Informationsvakuum der genauen Lernfunktion solcher Maschinen sowie die definitorische Unschärfe des Intelligenzbegriffs wird momentan mit den Gefühlen von involvierten menschlichen Akteur:innen gefüllt. Entfacht wurde mein Interesse durch die weitverbreitete Empörung Privilegierter bezüglich ihrer offenbar gefährdeten Urheberschaft und dem Zuschreiben von schöpferischer Mystik der Software.

Meine Arbeiten nehmen diese Künstliche Intelligenz weder als genialer Erschaffer wahr, noch streiten sie dies ab. Sie versuchen sich der Software lediglich als Werkzeug zu bedienen. Ich lasse mir beispielsweise Fotografien von bis anhin nicht-existierender Objektkonstellationen generieren und taste mich an eine, falls überhaupt möglich, isolierte Instrumentalisierung der algorithmisierten Ästhetik heran. Je mehr ich mich jedoch mit solchen KI’s auseinandersetzte desto eher zweifle ich an der Existenz einer unproblematischen Verwendung.

Was hältst du von der gegenwärtig polarisierenden Frage der nicht ganz so transparenten Autor:innenschaft bei Bildern, die von AI-Softwares generiert wurden?

Diese Maschinen weisen einprogrammierte Machtverhältnisse auf und ihre Systeme klassifizieren die Menschen immer invasiver. Auch ihr nicht zu unterschätzender Beitrag zur quantitativen Explosion an problematischem Bildmaterial und der eigentlichen Tragik, dass die Debatte erst durch unterstellt Rechtsverletzung für viele von Bedeutung wird, empfinde ich als eine viel dringlichere Problematik. Ob eine Software nun autonom und diebisch handeln kann und mich meines geistigen Eigentums bestiehlt, ist mir vorerst einmal gleichgültig. Ich beobachte genügend Empörung aus den falschen Gründen und möchte dazu momentan nicht weiter beitragen.

This Is Fine, oil on canvas
70 x 60 cm, 2022 (photo: Diana Gabrielli)

In älteren Interviews von dir liest sich, dass dich verschiedene Aspekte von Social Media und die damit einhergehende Künstlichkeit immer wieder aufs Neue fasziniert. Wie nutzt du die sozialen Medien für deine Arbeit?

Zuvor war es der vielversprechende Medieninhalt selbst und seine einhergehende, selbstverständliche Verkünstlichung welche mich so faszinierte. Neuerdings interessiert mich vermehrt die Rolle der sozialen Medien in der aktiven Visualisierung und Mystifizierung der Dinge und ihres eigenen Contents. Diese sollten nach Karl Marx‘ Definition nun einen Warencharakter zugeschrieben bekommen. Der Urheber oder die Urheberin solcher auf sich selbst bezogenen Inhalten wird zum Fetisch-Objekt. Wir vermarkten uns folglich selbst. Weiters könnte die rasant zunehmende Relevanzgewinnung der Visualität zu einem Bedeutungsverlust des Realen führen, was für mich als Ölmalerin von Wichtigkeit ist. Ich sehe die sozialen Medien und deren Inhalte also nicht mehr als Werkzeug zur Recherche, sondern als Phänomen, dass es als Ganzes zu untersuchen und hinterfragen gilt.

Was verstehst du unter Warenfetischismus?

In seinem Hauptwerk «Das Kapital» bezeichnet Karl Marx den Warenfetisch als «das quasi-religiöse, dingliche Verhältnis zu Produkten». Es gilt hier klar zwischen dem sexuellen Fetischismus-Begriff von Sigmund Freud und dem von mir mehrheitlich thematisierten Warenfetisch von Marx, zu unterscheiden. Zweitere Form des Fetischismus-Begriffs beinhaltet etymologisch gesehen eine Doppeldeutigkeit, wobei der Fetisch selbst diese auch in seiner Bedeutung durch einen Doppelcharakter verkörpert. Sieht man sich den portugiesischen Ursprung an so lautet dieser kurz «zauberlich», aus dem lateinischen jedoch «künstlich hergestellt».

Fetische sind menschlich geschaffene Arbeitsprodukte, welche die Unmittelbarkeit eines Mythos aufweisen. Sie scheinen rätselhafte und verborgene Kräfte zu haben, da sie so wirklich wie auch unwirklich zugleich sind. Durch diese Abwesenheit der Greifbarkeit entsteht Macht, Vorstellung und Interpretation.

Der interessanteste Aspekt, welcher ich mitunter in meinen Werken behandle, stellt für mich das Phänomen der Mystifikation, die künstliche Erhöhung des Tauschwertes durch ästhetische Fassaden und dem Beifügen von sozialem Status, symbolischer Bedeutung und falscher Bedürfnisse dar.

Operating at Pseudorandom, oil on canvas 150 x 130 cm, 2022
(photo: Diana Gabrielli)

Inwiefern beeinflussen die Visualisierungen des Warenfetischismus deine künstlerische Ausdrucksweise?

Visuelle Inhalte tragen zur Umgestaltung der Beziehung zwischen Menschen und deren Dingen bei. Die neuen Medien und die im Überfluss dort platzierte Werbung legitimiert die Wichtigkeit der symbolischen Konstitution von Waren, auch wenn die eigentlichen Bedürfnisse in jeder Gesellschaft sozial-relativ und rational sind.

Ich hinterfrage die visuelle Vermittlung von Produkten und erprobe die Reproduktion solcher Abbildungen ohne, zur Fetischisierung und/oder der Mystifizierung beizutragen. Unsere Dinge wurden zu Marken stilisiert und existieren teils nur noch als blosse emotionalisierte Hüllen, vertretend für ein versprochenes Erlebnis. Diese spuken gegenwärtig wie Gespenster in Einkaufsmeilen und Instagram-Feeds umher. Das Phänomen in einen brodelnden Hexentopf geworfen, findet Substanz seiner Mystik in den abgebildeten begehrten Objekten, der nebelig verrauchten Form und Farbigkeit. Der nur in der Vorstellung der Konsument:innen existierende Glaube widerspiegelt sich in den Gemälden.

Bread and Butter, Whips and Chains, oil on canvas 110 x 80 cm, 2022
(photo: Diana Gabrielli)

12. Januar 2023

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