Logo Akutmag
Icon Suche

Jung, frei und unbeschwert? – Ilona Hartmann im Interview

Was, wenn all die grossen Erwartungen an eine wilde Jugend nicht ganz so erfüllt werden, wie man sich das erträumt hat? Darum geht es in «Klarkommen», dem neuen Buch von Ilona Hartmann. Wir haben uns mit der Autorin unterhalten.

Von Marie Duchêne

Das Leben ging einfach weiter und schleifte einen zur Not hinterher.

S.54

In ihrem zweiten Buch «Klarkommen» schreibt die Autorin Ilona Hartmann von drei jungen Menschen, die von der Kleinstadt in die Grossstadt ziehen. Die Protagonistin verspricht sich ein Ende der Langeweile, viel Partys, viel Action – doch die Realität sieht anders aus. Denn irgendwie passiert doch gar nicht so viel, wie sie sich das erhofft hatte, und wo fängt man eigentlich an in dieser Überflut an Möglichkeiten? Mit ihrer feinen Beobachtungsgabe, ihrem Witz und dem Vermögen, die Dinge ohne grosse Umschweife auf den Punkt zu bringen, schafft es Ilona Hartmann, dass man das Buch an einem Stück verschlingt – auch wenn die Erzählerin eigentlich schmerzlich wenig erlebt. 

Wir haben Ilona ein paar Fragen zum Buch gestellt.

Schreiben ist schon lange dein Beruf, 2020 hast du dein erstes Buch veröffentlicht, «Klarkommen» ist dein zweites. Fällt das zweite Buch leichter als das erste? 

Ilona: Ja! Entgegen den ganzen Mitleidsbekundungen ist mir das zweite Buch viel leichter gefallen, weil ich auf viele Erfahrungen zurückgreifen konnte und schon ungefähr wusste, was mir leicht fällt und wo ich eventuell mehr Zeit einplanen muss.

Die Protagonistin zieht von der Kleinstadt in die Grossstadt, mit riesigen Erwartungen, die dann erstmal enttäuscht werden. Du bist ja aus dem schwäbischen Backnang erst nach Leipzig und dann nach Berlin gezogen, wo du nach wie vor lebst. Warst du dort zunächst ähnlich überfordert? 

Auf jeden Fall. Mittlerweile glaube ich aber, ich wäre damals auch vom Umzug von Backnang nach Maubach (das sind zwei Kilometer) überfordert gewesen. Ausziehen ist krass, auf eigenen Beinen stehen ist krass, zum ersten Mal komplett eigenverantwortlich leben ist krass – völlig wild, dass ich damals dachte, das würde ohne Turbulenzen ablaufen.

Im Prolog des Buchs steht der Satz: «Ich wollte wirklich gerne meine Jugend verschwenden, aber doch nicht so.» Nachdem die Erzählerin umgezogen ist, muss sie feststellen, dass sich zwar ihre Umgebung geändert hat, ihr Leben aber ähnlich ereignislos und sie eigentlich auch dieselbe geblieben ist. Wie verschwendet man seine Zeit richtig? 

Erstens: Keine Ahnung. Und zweitens: Genau das ist ja das Problem. Was ist verschwendete Zeit? Das kommt mir alles erfunden vor, wie ein Vorwand, Leute dazu zu bringen, immer mehr Geld für Erlebnisse und scheinbar gut investierte Ablenkungen auszugeben. Zeit ist Zeit, und ob sie am Ende verschwendet oder sinnvoll eingesetzt wurde, ist ja eine nachträgliche, sehr subjektive Einschätzung. Vielleicht müssen wir uns einfach von dem Konzept verabschieden.

Als dann tatsächlich mal etwas passiert im Leben der drei Protagonist:innen, es soll die Party aller Partys steigen, muss die Erzählerin mit Grippe zu Hause bleiben – geplagt von übler FOMO. Glaubst du, ist FOMO erst ein Ding, seit es Social Media gibt, oder hat sie dadurch erst einen Namen bekommen? 

Der Begriff ist neu, das Gefühl nicht, denke ich. Ich bekomme viele Nachrichten von Leuten, die vor Social Media jung waren und die mir erzählen, dass sie das Gefühl genau kennen. FOMO entsteht aus einem Überangebot an Möglichkeiten und dem sozialen Vergleich, beides gibt es ja nicht erst seit Instagram. 

Wenn ältere Personen einen Schwank aus ihrer Jugend erzählen, hört sich das oft wild und frei an. Was meinst du: Waren die wirklich unbeschwerter oder beschönigen sie einfach alles im Nachhinein?

Schwer zu sagen, ich wünsche mir natürlich für alle, dass es so geil war, wie sie erzählen. Aber aus eigener Erfahrung würde ich sagen, eine gute Story besteht mindestens zu 50% aus der nachträglichen, kollektiven Berichterstattung inklusive leichter Übertreibungen, multiperspektivische Verdichtung und gezielt gesetzten Spotlights. Dass man die ganze Zeit bisschen Bauchweh vom Sekt hatte, muss ja niemand wissen.

Irgendwann im Laufe des Buchs stellen die Protagonistinnen fest, dass es eigentlich nur 36 Arten von Geschichten gibt, die in leicht abgeänderter Form immer wieder erzählt werden. In welche Kategorie fällt die von «Klarkommen»? 

Es ist am ehesten die Schublade «Held:innen gegen ein Hindernis», oder, um es mit modernerer Sprache zu formulieren, eine sehr unaufgeregte «fish out of water»-Story, bei der die drei in ein neues Umfeld geraten und die Anpassungsschwierigkeiten zum Zentrum der Handlung werden.

Manchmal wurde ich traurig, weil ich mit meinem fachwerkverkleideten Kleinstadtgehirn nie ganz würde erfassen können, was es bedeutete, in der großen Stadt zu leben.

S.105

«Klarkommen» liest sich ganz anders als herkömmliche Coming-of-Age-Bücher, in denen die jungen Protagonist:innen oft Held:innenreisen erleben. In deinem Roman passiert plottechnisch gar nicht mal so viel, trotzdem ist er extrem lesenswert und überhaupt nicht langweilig. Was macht Geschichten deiner Meinung nach erzählenswert? 

Obwohl ich lange darüber nachgedacht hab, fällt mir keine Geschichte ein, die ich nicht erzählenswert finde. Eigentlich ist das ja das Schöne am Erzählen. Es liegt allein an der erzählenden Person selbst, auszuwählen, was den Weg nach draussen findet.

Die Kapitel in «Klarkommen» werden den Leser:innen häppchenweise serviert, sie sind sehr kurz gehalten, manchmal umfassen sie nur ein paar Sätze oder sogar Wörter. Ist diese Entscheidung aus Twitter-Gewohnheiten entstanden? 

Eher daran, dass ich mir die schriftstellerische Freiheit herausnehmen konnte, die Kapitel so zu belassen, wie sie sich richtig anfühlen. Wenn nach einem Satz alles gesagt war, blieb das so. Wenn dafür mehrere Seiten nötig waren, auch.

Auf deiner Website schreibst du, das Buch solle eine Art «Entlastungsliteratur» sein – für alle, denen es nicht ganz so leicht fällt, frei und jung zu sein. Welche Botschaft soll ihnen dein Text mitgeben? 

Ich hoffe einfach, das Buch schenkt ein bisschen Ruhe und Akzeptanz. Es ist ein Versöhnungsangebot an die eigene Biografie, ganz egal, ob man noch mitten in der eigenen Jugend steckt oder ob sie schon 50 Jahre her ist. Alles, was nicht war, muss auch betrachtet werden, am besten mit einer Art liebevoller Ironie. 

Die Geschichte endet, als die Erzählerin etwa 20 ist – sie hat also noch mehr als genug Zeit, was zu erleben. Wie dürfen wir uns ihr Leben mit Ende zwanzig vorstellen? 

Ehrlich gesagt glaube ich, die Protagonistin ist nicht der Typ für radikale Brüche. Wahrscheinlich lebt sie immer noch zwischen den Stühlen, macht aber inzwischen interessantere, schönere oder wenigstens schnellere Fehler. 

«Klarkommen» von Ilona Hartmann ist 2024 bei Park x Ullstein erschienen.

Am 14. April 2024 liest sie im Exil in Zürich. 

Bestellt den Roman in eurer lokalen Buchhandlung, z.B. in der Paranoia City in Zürich.

02. April 2024

Support us!

Damit wir noch besser werden