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Atheismus und Theismus – die Frage nach der Existenz Gottes

Die Frage nach der Existenz Gottes ist zweifelsohne eine der grössten Debatten überhaupt. Atheismus und Theismus stehen für diese gegensätzlichen Ansätze. Was verbirgt sich hinter diesen Glaubenssystemen? Wir haben uns mit drei Menschen unterhalten.

Von Vanessa Votta

Über Religionen und den Ursprung unseres Seins wird sich die Menschheit wohl nie einig werden. Woher kommen wir? Wer hat das Universum erschaffen? Gibt es überhaupt eine höhere Existenz?
Um die verschiedenen Glaubenssysteme zu verstehen, die in diesem Artikel thematisiert werden, folgt eine kurze Erklärung.

Theismus (von altgriechisch theos = Gott)

Als Theismus bezeichnet man den Glauben an einen Gott bzw. eine Göttin oder Gött:innen, man versteht die göttliche Instanz als Schöpfer:in und Lenker:in der Welt.

Atheismus (von altgriechisch atheos; a = ohne und theos = Gott; ohne Gott, gottlos)

Atheist:innen glauben, dass es keine Gött:innen gibt.

Agnostizismus (von altgriechisch a gnoein = nicht wissen)

Agnostiker:innen können die Frage, ob es Gött:innen gibt oder nicht, nicht beantworten, weil es aus ihrer Sicht nicht genügend Fakten gibt, die die eine oder andere Ansicht beweisen.

Theismus, Agnostizismus, Atheismus – all diese Glaubenssysteme beschäftigen sich traditionell, kritisch oder wissenschaftlich mit der Idee einer jenseits von Raum und Zeit angesiedelten Schöpferkraft, die für die Existenz des Universums und des Lebens verantwortlich ist.

Wir betrachten hier in erster Linie die konträren Bekenntnisse des Atheismus und Theismus. Zwei Glaubenssysteme, die sich auf den ersten Blick nur durch einen einfachen Buchstaben unterscheiden, jedoch grundlegend verschieden sind. Die Debatte, ob es nun Gött:innen gibt oder nicht, ist keine so einfache Angelegenheit.

Wir haben uns mit verschiedenen Menschen unterhalten, die sich auf der einen oder anderen Seite befinden, um mehr über die Glaubensrichtungen zu erfahren. 

Sumayah, ausgebildete Religionslehrerin, Islam

Beschreibe deinen Glauben in drei Worten.

Frieden, Rechtleitung, Zusammenhalt.

Was macht dich zu einer religiösen Person?

Ich versuche, nach den Vorschriften des Islam zu leben. Sie geben mir Rechtleitung, Sinn und Zweck. In diesem Rahmen fühle ich mich sicher und begleitet.

Was macht die höhere Existenz, an die du glaubst, aus?

Gott ist barmherzig und erhaben. Er gibt Leben und Unterhalt, er erschuf alles, was im Himmel und auf Erden ist, er ist gerecht und grosszügig, er ist der Schöpfer und der Allwissende. Diese sind einige der vielen Eigenschaften, die ihn beschreiben.

Was ist das Wichtigste, das du den Menschen mit deinem Glauben mitgibst?

Wir sind alle Teil der gleichen Welt und sollen füreinander da sein. Wir sollen Gott anbeten und allen Geschöpfen dienen – Menschen, Tieren und der Umwelt. Wir sind verantwortlich füreinander und sollen uns gegenseitig helfen.

Gibt es, was den Islam angeht, Missverständnisse?

Ja leider. Das wahre Gesicht des Islam ist vielen nicht bekannt. Der Islam wird immer wieder auf Dinge reduziert, die von Menschen falsch gehandhabt werden. Der Islam selbst ruft zur Liebe, zum Frieden, zum Dienst für andere Menschen und zu gutem Verhalten auf. Durch den Dienst für die Mitmenschen und andere Lebewesen schaffen wir die Anbetung Gottes.

Was hältst du von anderen Religionen und Glaubensrichtungen? 

Es ist wichtig, dass jede:r seinen/ihren Weg findet. Ich bin der Meinung, jede:r hat das Recht, seinem/ihrem Glauben zu folgen und die Freiheit, diesen auszuüben. Diese Freiheit und Offenheit soll jede:r aber auch Andersgläubigen geben.

Findest du, die Welt braucht Religionen?

Ja, das glaube ich, denn die Religion und der Glaube helfen uns, uns zu verbessern und das Beste zu geben für das Wohlbefinden aller Menschen. Die Religion hilft uns, Gutes anzustreben. Sie hilft uns auch dann, wenn wir Schwierigkeiten und Probleme haben. Wir wissen, dass Gott mit uns ist und dies gibt uns Kraft, Halt und die nötige Geduld, etwas durchzuziehen und vorwärts zu kommen.

Brigitte, ausgebildete Primar- und Religionslehrerin, Christentum

Beschreibe das Christentum in drei Worten.

Leben (nach dem) Vorbild Jesu.

Was macht dich zu einer religiösen Person?

Ich setze meine Fähigkeiten, Stärken und meine Zeit für unsere Gemeinschaft (Pfarrei) ein. Ich glaube an eine höhere Macht: Gott. Und ich pflege spirituelle Rituale – vom Empfang eines Sakramentes bis hin zu Gebet, Meditation und vielem mehr.

Was macht die höhere Existenz, an die du glaubst, aus?

Gott, wie ich die höhere Existenz nenne, wollte, dass es mich gibt, wie und wo ich heute bin. Er schenkte mir meine Talente und die Freiheit, mit diesen mein Leben zu gestalten, zu nutzen und mich in meiner Persönlichkeit weiterzuentwickeln. In irgendeiner Form begleitet er mich auf meinem Weg, stellt mich vor Herausforderungen, stärkt und beschützt mich aber auch in schwierigen Situationen. Gott schickt mir zum Beispiel im richtigen Moment einen anderen Menschen als Begleiter:in oder ein wichtiges Zeichen.

Was ist das Wichtigste, das du den Menschen mit deinem Glauben mitgibst?

Du, dein Leben und alles Lebendige um dich herum sind wertvoll, einmalig und schützenswert. Du bist nicht allein, aber du entscheidest, ob du das auch so fühlen willst. Sowohl Gott als auch die Gemeinschaft sind für dich da, wenn du es willst.

Gibt es, was das Christentum angeht, Missverständnisse?

Das Alte/Erste Testament wird leider immer noch von einigen Menschen wörtlich ausgelegt. Viele Texte der Bibel lassen sich nur im Zusammenhang und im historischen Kontext wirklich verstehen. Die «unbefleckte Empfängnis» wird meiner Meinung nach zu wörtlich ausgelegt.

Die Dreifaltigkeit ist schwer zu verstehen: Gott = Gott Vater und Mutter, Gott Sohn (Jesus) und der Heilige Geist. Hier kann der Film «Die Hütte. Ein Wochenende mit Gott» zum besseren Verständnis und auch zu vielen guten Diskussionen beitragen.

Es gibt viele Fragen nach dem «Warum», die wir im irdischen Leben nicht beantworten können. Zum Beispiel: Warum muss ein Kind sterben? Warum gibt es so viel Leid auf dieser Welt? Warum musste Jesus auf diese brutale Art «für uns» sterben?

Was hältst du von anderen Religionen und Glaubensrichtungen?

Es heisst «glauben», nicht «wissen». Somit versuche ich, allen Religionen und Glaubensrichtungen neutral zu begegnen. Auch ich weiss nicht, was richtig ist. Ich wurde in eine christliche Familie geboren und von meinen Eltern katholisch erzogen, in der Schule christlich gebildet. Das heisst aber nicht, dass deshalb unsere Religion die richtige ist.

Im Grunde wollen doch alle das Gute und stellen den Menschen die Liebe als höchstes Gut und Ziel in den Mittelpunkt. In allen Religionen, die ich kenne, geht es um das friedliche Miteinander einer Gemeinschaft. Schade, dass «Andersgläubige» automatisch nicht zur Gemeinschaft gehören und nicht eingebunden werden in diese Liebe.

Findest du, die Welt braucht Religionen?

Religionen vermitteln wichtige Werte in einer Gemeinschaft. Da heute vor allem der Individualismus gelebt und angestrebt wird, verlieren Religionsgemeinschaften ihre Mitglieder an für den Moment gewinnbringendere Vereinigungen oder Freizeitaktivitäten.

Die Fragen «Was bringt es mir, zum Gottesdienst zu gehen?» oder «Was bringt es mir, an diesem Pfarreianlass einen Einsatz zu leisten?» kann nur jemand stellen, der sich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft fühlt, sondern nur noch nach dem optimalen Wert einer Aufgabe oder eines Events für seine eigene Person sucht.

Und stell dir vor, da wäre nichts mehr nach dem Tod. Alles endet an diesem einen Tag und all deine Bemühungen, dein Aushalten, deine Sorgen wären umsonst gewesen. Ich glaube daran, dass wir eine Aufgabe haben, diese so gut wie möglich zu erfüllen versuchen und am Ende belohnt werden. Belohnt mit einem neuen Leben mit neuen Aufgaben, die uns eine Stufe in der persönlichen Entwicklung weiterbringen. Ich stelle mir das wie eine Spirale vor – mit dem Ziel des ewigen Lichts.

Julia, Atheistin

Beschreibe den Atheismus in drei Worten.

Offen, spannend, komplex.

Was macht dich zu einer nicht-religiösen Person?

Ich lebe mein Leben, ohne an eine höhere Macht zu glauben, ob dies nun ein Gott oder sonst etwas ist. Die Welt ist komplex; mit dem Ungewissen umzugehen, ohne diese an eine höhere Macht zu binden, ist für mich eine spannende Herausforderung. Zudem nehme ich nicht an religiösen Ritualen oder Traditionen teil. Weihnachten wird bei uns zum Beispiel nicht mit der Verbindung zur Religion gefeiert, sondern mehr in Verbindung zur Geschichte und Kultur. Ich binde solche Traditionen eher an Erinnerungen.

Auf eine Art und Weise kann man den Atheismus auch als Glaube betiteln. Ich glaube, dass es keinen Gott gibt. Doch hier spielt auch eine Rolle, wie wir den Begriff Glauben definieren. Rational genommen ist es ja ein Gedankengut, das ein Mensch besitzt – eine Weltanschauung. Wenn wir es so sehen, dann glauben wir alle an etwas. Wenn wir den Glauben aber an Religion oder eine höhere Macht knüpfen, dann glaube ich nicht.

Was ist das Wichtigste, das du anderen Menschen über den Atheismus mitgibst?

Oft wird der Atheismus mit Gleichgültigkeit behaftet. Viele von uns verfolgen keine Religion mehr, doch meiner Erfahrung nach wird viel öfter darüber geredet, wenn jemand an eine höhere Existenz glaubt, als wenn es jemand nicht tut. Ich denke, hier dürfen wir generell ein wenig offener sein und auch mal mit Menschen über ihren Nicht-Glauben reden.

Gibt es eine höhere Macht oder ein Gefühl, das dich manchmal daran zweifeln lässt?

Eher Situationen. Bei Krankheiten oder Todesfällen, die Menschen aus dem Nichts treffen, wo ein grosses «Wieso?» auftaucht, erwische ich mich manchmal beim Gedanken an ein Schicksal. Früher habe ich an Schicksale geglaubt, aber heute lebe ich mit der Einstellung, dass das Leben komplex ist und der Mensch nicht für alles eine Erklärung haben kann, geschweige denn alles wissen muss. Fragen können gut auch einfach Fragen bleiben – dafür können wir ein bisschen offener sein.

Gibt es, was den Atheismus angeht, Missverständnisse?

Nur weil ich nicht glaube, heisst das nicht, dass ich jemanden verurteile, der/die glaubt. Und nur weil mir Religion persönlich nichts bedeutet, finde ich andere Religionen dennoch spannend und tausche mich gerne darüber aus.

Findest du, die Welt braucht Glauben bzw. Religionen?

Ich sage immer: Wenn es jemandem hilft, dann natürlich ja. Jede:r hat das Recht zu glauben. Für mich wird es dann schwierig, wenn Menschen anderen ihre Religion aufzwingen wollen und davon ausgehen, dass nur ihr Glaube richtig ist. Sobald man mit dem Tunnelblick durchs Leben geht und nicht offen für andere Ansichten ist, wird es gefährlich. Nicht die Religion an sich ist der Grund für Leid, Krieg und Unstimmigkeiten, sondern die mangelnde Offenheit.

Meinungen und Glaubensansichten sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und lassen sich auch nicht so einfach erklären. Wir durften einen Einblick in den Glauben oder Nicht-Glauben dreier Menschen erhalten. Der Glaube ist ein Spektrum, ein Zusammenschluss von Erlebnissen, Gefühlen und Lehren. Es gibt kein richtig oder falsch. Nebst der fundamentalen Frage, ob es nun einen Gott gibt, oder nicht, spielt auch die Frage eine grosse Rolle, was der Begriff überhaupt bedeutet. Wie können wir uns über die Existenz von etwas streiten, wenn wir uns über die Form dieser Existenz gar nicht sicher sind?

02. April 2024

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