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Ich muss dir was sagen: Mich durchflammt der Mut!

Wenn Schiller auf dem Spielplan des Schauspielhaus steht, schlagen nicht unbedingt alle Herzen höher. Wenn Leonie Böhm nach Zürich kommt, sollten sie das. «Johanna» – ein Abend vom Scheitern, Aufstehen, ganz vielen Gefühlen und Heldinnenhaftigkeit. 

Von akutmag

Text von Gastautor Leonard Haverkamp

Längst hat sich der Wahn in den Augen von Wiebke Mollenhauer breitgemacht. Sie werde sie alle «NIEDERMÄÄÄHEENN». Während sie dem Publikum erklärt, wie sie der einen Hälfte die Augenlider entfernen werde, damit diese zusehen muss, wie sie aus der anderen Hälfte eine riesige Rösti aus Menschenfleisch zubereitet, können sich die wenigsten auf ihren Plätzen halten. Diese improvisierte Revangefantasie (in der Werkfassung steht jedenfalls nichts von der Menschen-Rösti) ist einfach zu komisch. Während sich die kampflustige Seite der Johanna ihren Splatterfantasien hingibt, kommen ihre beiden besseren Drittel aus dem Backstage und flöten Avemaria.

Zu dritt sind sie «Johanna»: Die mythenumwobene Jean d’Arc, die im Hundertjährigen Krieg die Engländer:innen in die Flucht schlug – Schillers «Jungfrau von Orleans». Regisseurin Leonie Böhm und ihr Team schauen hinter den viel adaptierten Heldinnenmythos, auf eine Frau mit vielen Gesichtern. Die Zürcher Premiere im Schauspielhaus (eine Kooperation mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg) bietet in einer immer krisengeplagteren Welt allen Obdach, die mitfühlen wollen.

Vor einem mondsilbrigen, tentakeligen Baumstumpf, der so auch in einem liebevoll gemachten Knetfigurenfilm stehen könnte (Bühnenbild von Zahava Rodrigo), spielen Josefine Israel, Wiebke Mollenhauer und Maja Beckmann Heldin. Mal kindlich, wie wenn sie sich ihre Schlachtrösser herbeifantasieren (das von Josefine Israel wäre ganz klein). Mal kriegerisch – trotzdem muss man «AUF IN DIE SCHLACHT!» ja jetzt nicht unbedingt so laut schreien (die Johannas sind sich längst nicht immer einig in der Auslegung ihrer Heldin). Die Differenzen lösen sie aber stets vorbildlich. Nach Mollenhauers Splatterfantasie wird beispielsweise kurz mit den Flöten gefochten und sich dann lange umarmt. In ihren Eigenheiten fächern die Spielerinnen die Ambivalenzen der viel gedeuteten Heldinnenfigur auf. Erst strebt sie nach vorne – «Ich muss dir was sagen: Mich durchflammt der Mut!» – dann hat sie Angst vor der eigenen Courage und will doch lieber morgen in die Schlacht ziehen.

Begleitet werden die drei Johannas von Fritzi Ernst. Mal auf einem kleinen viersaitigen Zupfinstrument, das aussieht, als hätte sie es selbst zusammengeschraubt. Dann auf einem selbst zusammengeschraubten mobilen Soundtisch. Mit eigenen Zeilen oder eben denen Schillers; aber immer sehr harmonisch. Wenn sie «Alarm Alarm» singt, weiss man, man darf sich schon noch mal umdrehen, wie wenn der Wecker samstags aus Versehen nicht abgestellt wurde. 

Obwohl die Inszenierung nah am Text von 1801 bleibt, klingt vieles erschreckend aktuell. Wie so oft seziert Böhm vor allem die Emotionen aus dem Klassiker, vernachlässigt dabei den längst vergessenen Krieg des 14. und 15. Jahrhunderts und lässt in Schillers Poesie umso mehr die Kriege und Krisen des Jetzt anklingen. Trotzdem braucht diese Vorstellung keine Triggerwarnung, denn obwohl die Inszenierung die Augen vor der Weltlage nicht verschliesst, geht man gestärkt aus dem Schauspielhaus.

Denn «es ist wissenschaftlich erwiesen, wenn Menschen zum Beispiel im Theater etwas sehr Schönes sehen (…) kann sich der Puls aller Menschen synchronisieren. Es gibt ganz viele kleine bumm-bumm-bumm und in dem schönen gemeinsamen Moment synchronisieren sich die vielen kleinen dann alle zu einem grossen bumm-bumm-bumm». So sieht’s aus.

Mehr Infos und Tickets für «Johanna» gibt’s hier.

24. Oktober 2023

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