«Wow, hier sind ja ganz viele Frauen mit so Haaren wie ich», war der spontane Ausruf einer erfreuten Tochter, die ihre eigene Mutter vor wenigen Monaten nicht nur am Set besuchte, sondern auch selbst wenig später vor deren Kamera stehen sollte. Doch nicht nur sie allein, sondern ein ganzes Arsenal an vielfältigen Talenten sollen an diesem Tag Teil einer grösseren Mission werden: das Füllen einer Lücke in der Repräsentation von Schwarzen Frauen mit ihrer natürlichen Haarpracht. Die Rede ist von dem Foto- und Filmprojekt «My Hair, My Crown» einer weissen Mutter, die es sich zum Ziel gesetzt hat ihre beiden Schwarzen Töchter dabei zu unterstützen, ihr Kopfhaar, welche einen wichtigen Teil ihrer Identität ausmachen, zu lieben.
Die Politisierung der natürlichen Haarpracht von Schwarzen Frauen aus der afro-diasporischen Community ist eine langjährige Debatte, die sich auf die Diskriminierung und den Rassismus bezieht, denen Schwarze Frauen aufgrund ihrer natürlichen Haarstruktur ausgesetzt sind. Rückblickend auf bis heute andauernde Schönheitsstandards mit kolonialer Vergangenheit entscheiden sich nach wie vor eine Vielzahl an Frauen für die Ablehnung ihres natürlichen Haars und unterwerfen sich somit oft – bewusst oder unbewusst – einem Attraktivitäts-Ideal der Mehrheitsgesellschaft. Die Bewegung zur Akzeptanz von natürlichen Haaren, die oft als «Natural Hair Movement» bezeichnet wird, entstand als eine Möglichkeit, diese Ungleichheit zu bekämpfen. Schwarze Frauen fordern damit das Recht in und um kulturelle Zugehörigkeit ein, ihre Haare in ihrer natürlichen Form zu tragen, ohne dafür diskriminiert zu werden.
Mit Engagement, Ermächtigung und Empowerment beschloss die Regisseurin und Künstlerin Brigitte Fässler zu dieser internationalen Debatte beizutragen. Sie erschafft mit Leidenschaft fantastische und spielerische Bildwelten sowie fiktive Universen durch die Verbindung von Realität und Vorstellungskraft. Dabei bedient sie sich häufig einer Mischung aus analogen und digitalen Techniken, um ihre visuelle Poesie umzusetzen. Fässler scheint stets bestrebt, ihre Kunstwerke auf das nächste Level zu bringen und arbeitet hierfür gerne mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen, um etwas zu schaffen, das nicht nur für die Pluralität von Perspektiven steht, sondern in diesem Falle auch eine stärkende Vorbildfunktion zum Leben erweckt.
Wir haben uns mit Brigitte Fässler über Repräsentation, Mutterliebe, Identitätsfindung, Unsicherheiten und auch über den ganzen Prozess hinter «My Hair, My Crown» ausgetauscht.
Wie kamst du auf die Idee zu diesem Projekt und was war deine Motivation dahinter?
Brigitte: Der Auslöser und Antrieb, das Projekt zu machen, war die Unzufriedenheit meiner Töchter mit ihren Haaren. Ich wollte sie darin unterstützen, ihre Haare, die einen wichtigen Teil ihrer Identität ausmachen, zu lieben. Ich bin Filmemacherin, Fotografin und Künstlerin und meine Sprache, um mich auszudrücken und die ich am besten beherrsche, sind Bilder. So entstand die Idee für das Foto- und Videoprojekt.
Wie haben deine Töchter auf das Projekt reagiert und was hat es für sie bedeutet?
Zu Beginn haben sie gar nicht so stark darauf reagiert. Der Shooting-Tag an und für sich war sicher das Highlight. «Wow, hier sind ja ganz viele Frauen mit so Haaren wie ich», war der spontane Ausruf einer meiner Töchter, als sie das Studio betrat. Das war ein wunderbarer Moment. Aber auch ein Moment, in dem mir nochmals stärker bewusst wurde, wie wichtig es ist, Vorbilder zu haben und dass das für meine Töchter gar nicht selbstverständlich ist. Natürlich waren sie auch stolz, als sie das Endresultat im Video sahen – in einem Video zu sein, zusammen mit ihren Gottis und weiteren, tollen und starken Frauen, finden sie extrem cool.
Was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Projekts?
Bei der Planung dieser Produktion hatte ich mir zum Ziel gesetzt, ein Team aus talentierten und engagierten Frauen zusammenzustellen. Ich hatte zuvor oft in Teams mit vielen Männern gearbeitet und ich war neugierig darauf, wie sich die Zusammenarbeit in einem reinen Frauenteam gestalten würde. Gerade der Filmbereich ist ein immer noch stark von Männern geprägtes Metier und es war mir wichtig, meinen Töchtern und anderen Mädchen auch in diesem Kontext Vorbilder zu zeigen. Es war dann aber gar nicht so einfach, für alle Positionen jemanden zu finden. Schliesslich haben wir es aber (fast) geschafft. Es war eine sehr schöne Erfahrung am Set zu sein, mit all diesen tollen Powerfrauen. An dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an alle Beteiligten.
Eine Herausforderung, mit der ich gar nicht gerechnet hatte, war der Prozess, den es bei mir selbst ausgelöst hat. Mir wurde nochmals deutlich, dass meine Töchter in unserer Gesellschaft anders wahrgenommen werden als ich. Das hilft mir, die Fragen und Unsicherheiten meiner Kinder besser zu verstehen und gemeinsam als Familie Lösungswege zu entwickeln. So bewirkte die Arbeit am Projekt nicht nur Empowerment meiner Töchter, sondern auch von mir.
Was war das Besondere an den Tagen der Produktion?
Es war eine unglaublich schöne und unterstützende Atmosphäre am Shooting. Die Stimmung empfand ich als sehr warm und herzlich und es war besonders schön, da allen Beteiligten das Thema persönlich am Herzen lag oder sie das Vorhaben unterstützen wollten. Und obwohl es auch einige Herausforderungen gab und das Shooting sowie der Aufbau sehr intensiv waren, war die Stimmung durchgehend positiv. Und dies auch in hektischen Momenten oder dann, wenn etwas nicht nach Plan lief.
Welche Rolle spielt – nach deiner Erfahrung als Mutter von zwei Schwarzen Töchtern – das Thema der eigenen Haarpracht in der Identitätsfindung von jungen Menschen?
Lange dachte ich, dass es ja einfach normal ist, dass man als Kind und Heranwachsende ab und zu gerne anders wäre, oder eben auch andere Haare hätte. So wünsche ich mir als Kind auch, dass ich andere Haare hätte. In den Gesprächen mit meinem Lebensgefährten und Vater der Kinder wurde mir bewusst, dass die Liebe zu den eigenen Haaren für unsere Kinder nochmals eine andere Bedeutung und grössere Wichtigkeit hat. Und dass mehr damit verbunden ist oder sein kann, als einfach nur der Wunsch nach anderen Haaren. Denn als Schwarze Mädchen machen meine Töchter andere Erfahrungen als diejenigen, die ich als weisses Mädchen gemacht habe. Und obwohl ich versuche, ihnen ein Vorbild zu sein und sie auf ihrem Lebensweg zu unterstützen, kann ich mich doch nur bis zu einem gewissen Grad in sie, und ihre Lebensrealität in unserer Gesellschaft, hineinversetzen. Sie darin zu unterstützen, ihre Haare zu lieben, bedeutet für mich deshalb auch, sie in ihrer Identitätsfindung zu unterstützen und zu stärken.
Planst du auch das Projekt in Zukunft fortzuführen oder weiterzuentwickeln?
Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Repräsentation und meiner damit einhergehenden Sensibilität, ist mir in Bezug auf Filme und Bücher nochmals stärker bewusst geworden, dass ein grosser Teil der Hauptfiguren und Held:innen, gerade auch in Kinderfilmen und Geschichten, weiss sind. Wie wichtig es ist, gerade auch für Kinder, sich mit den Hauptfiguren identifizieren zu können, stelle ich in gemeinsamen Gesprächen und anhand der Reaktionen auf Filme und Geschichten bei meinen Töchtern fest. Die Reaktionen von Schwarzen Kindern (und Erwachsenen) auf die neue Arielle Verfilmung hat das für mich nochmals unterstrichen. Daraus motiviert ist bei mir und meinem Lebenspartner der Wunsch entstanden, eine Superheldinnen Geschichte mit starken, Schwarzen Protagonistinnen zu entwickeln, in der sich unsere Kinder widerspiegeln und identifizieren können. Aktuell arbeiten wir an der Entwicklung des Projekts. Es könnte ein Kurzfilm, eine Webserie oder gar etwas Interaktives werden.
Hair-Styling: Curl-ish, Tina Berner, Hanna von Allmen, Sara Krappe
Make-up: Nimica-artistry
Make-up touch ups: Alexandra Bertschi DOP: Biby Jacob
Director & Editor: Brigitte Fässler 1.AC: Deborah Rhyner
Clothing: Tara Mabiala
Styling: Giulia Santos
Vocals: Anouchka Gwen
Music: Alexia Thomas
Sound effects, Mixing: Stereotyp GmbH
Behind Photo & Video, Typo: Nora Steffen