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Ecoanxiety: Angst vor dem Ungewissen

Dass die Klimakrise eine riesige Bedrohung für unseren Planeten darstellt, ist heute hoffentlich allen bewusst. Doch nebst dem ansteigenden Meeresspiegel und den steigenden Waldbränden, Dürren und Co., nimmt auch etwas anderes zu: die Klimaangst, besonders bei jungen Menschen. Wir haben uns dazu mit der Psychologin und Psychotherapeutin Bianca Rodenstein unterhalten.

Von Michelle Müller

Meine Generation ist bekannt für lachende Gesichter im Internet und glänzt gleichzeitig in diversen Statistiken mit einer hohen Zahl an mentalen Erkrankungen. Bei der Diskussion rund um die mentale Gesundheit von jungen Menschen fällt in den letzten Jahren vermehrt der Begriff «Klimaangst». Das Zusammenspiel zwischen der mentalen Gesundheit von jungen Menschen und dem Klimawandel wollte ich in diesem Artikel einmal genauer unter die Lupe nehmen, und habe mich dazu mit der Psychologin und Psychotherapeutin Bianca Rodenstein von «Psychologists for Future» unterhalten. Psychologist for Future ist eine überparteiliche Gruppierung von psychologischen Fachpersonen, die ihr Wissen im Umgang mit der Klimakrise einbringen und sich hinter die Forderungen der Fridays-for-Future Bewegung stellen.

Der Begriff Klimaangst

Studien zeigen auf, dass die Klimakrise nicht nur einen immensen Einfluss auf die Gesundheit der Erde hat, sondern auch auf unsere mentale. Der Klimawandel schädigt einerseits die mentale Gesundheit von Menschen, die von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind. Andererseits kann die Krise bei auch bei nicht direkt betroffenen Menschen eine grosse Furcht auslösen. Dieses Phänomen nennt sich Klimaangst oder im Englischen auch climate anxiety. Damit wird, laut der American Psychological Association, die chronische Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels auf das eigene Leben oder die Zukunft beschrieben. «Betroffene erleben nebst klimabezogenen Sorgen und Ängsten oft Gefühle wie Wut, Ärger, Hilflosigkeit, Trauer und Empörung», erzählt mir Bianca Rodenstein. Klimaangst ist an sich keine diagnostizierbare mentale Erkrankung, allerdings kann die Angst vor der Klimakrise so schwer ausgeprägt sein, dass selten die Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllt werden.

Klimaangst und junge Menschen

Die Klimaangst scheint vor allem keinen Halt vor jungen Menschen zu machen. In einer Studie der Universität Bath wurden 10’000 junge Menschen weltweit zu ihrer Klimaangst befragt. Fast die Hälfte der Befragten gaben an, dass ihre Gefühle bezüglich des Klimawandels ihr Leben negativ beeinflussen. 77% beschreiben die Zukunft sogar als «frightening», sprich angsteinflössend. Bianca Rodenstein erklärt mir, dass es verschiedene Gründe gibt, warum Klimaangst bei Jugendlichen und Kindern öfters vorkommt.

Junge Menschen seien noch vulnerabler. Einige Resilienzfaktoren sind genetisch bedingt, andere werden im Laufe der Biografie erworben. Kinder haben somit noch nicht die gleichen Strategien zur Bewältigung, wie Erwachsene. Zudem stehen junge Menschen ganz am Anfang ihres Lebens und haben noch ihre gesamte Zukunft vor sich. Viele machen ausserdem die Erfahrung, dass ihre Bedürfnisse in der Politik nachrangig behandelt werden und ältere Generationen an der Urne über ihre Köpfe, Interessen und Zukunft hinweg ab- respektive bestimmen.

Die Klimakrise ist nicht eine Krise von vielen auf der Bühne des Lebens, sondern sie bedroht die Bühne an sich. Das ist für Kinder und Jugendliche, die den großen Teil ihres Lebens auf dieser Bühne noch verbringen möchten, besonders bedrohlich.

Bianca Rodenstein – Psychologists for Future

Chancen der Klimaangst

Wichtig ist, dass Klimaangst nicht direkt etwas Negatives bedeutet. «Angst kann eine gesunde Reaktion auf die Klimakrise sein, denn die Entstehung von Gefühlen ist vor allem adaptiv und auch angemessen», erzählt mir Bianca Rodenstein. Und führt weiter aus: «Das Zulassen der Gefühle, die das Wissen um die Klimakrise hervorruft, ist wichtig und die Voraussetzung für ein Engagement dagegen. Nur wenn wir bereit sind die Emotionen zu spüren und sie nicht sofort zu verdrängen/verleugnen, können sie uns ins Handeln bringen.»

Gefühle sind Bedürfnisanzeiger, die uns etwas mitteilen möchten, unerfüllte Bedürfnisse aufzeigen und gleichzeitig Motor für unser Handeln sein können. Individuelle Veränderungen beispielsweise im Lebensstil sind dabei wichtig, allerdings nicht ausreichend. Sie haben natürlich ihre Berechtigung, seien aber, laut Bianca Rodenstein, vom Impact her, im Vergleich zu all den «Big Playern», im CO2-Ausstoss Game zu klein. Damit Veränderungen stattfinden können, darf nicht eine Verantwortungsverschiebung auf die Lebensgestaltung von einzelnen Individuen geschehen, sondern die grossen Veränderungen müssen an Orten wie in der Politik und Industrie wahrgenommen werden

Das Hilft bei Klimaangst

Doch wenn wir Angst empfinden, sehen wir dies im Umkehrschluss oftmals nicht als Motor oder Motivator zum Handeln, sondern Ängste können uns in unserem Tun und Sein lähmen. So kann es auch die Klimaangst tun und Gedanken von Hilflosigkeit oder sogar Fatalität wie; «Es hat eh alles keinen Sinn mehr» hervorrufen. Im Gespräch hat mir Bianca Rodenstein erzählt, was hier helfen kann. 

Wichtig ist die Bewusstmachung, dass dies nicht stimmt und der Kampf gegen die Klimakrise niemals vergeblich ist. Jede Handlung, welche den sogenannten ökologischen Handabdruck vergrössert, also Dinge, die wir gegen die Klimakrise tun, bilden einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise. Denn schlussendlich zählt jedes zehntel Grad. Weiter hilft die Zusammenschliessung mit Gleichgesinnten, wie beispielsweise das Engagement in einer klimaengagierten Gruppe. Die letzten Jahre sind Beweis genug, dass solche Gruppen viel erreichen können.

Wir wissen aus vielen Studien, dass es das Selbstwirksamkeitserleben erhöht, Teil einer Gruppe zu sein, die etwas bewegt und das wiederum schützt vor psychischer Belastung.

Bianca Rodenstein – Psychologin, Mitglied Psychologists for Future

Zuletzt darf die Selbstfürsorge niemals zu kurz kommen. Dazu gehören eine gesunde Ernährung, der Austausch und das Zusammensein mit geliebten Menschen, das Ausüben von Hobbys und Dingen, die Spass machen. Denn bekanntlich können wir uns auf lange Sicht vor allem dann für andere einsetzen, wenn wir uns primär bewusst um unsere eigene mentale, emotionale und körperliche Gesundheit kümmern. Dies gilt auch beim Engagement rund um die Klimakrise.

Kritik zum Begriff Klimaangst

In den letzten Monaten ist der Begriff Klimaangst auch immer wieder in Verruf geraten. Denn das Phänomen drohe den Fokus von der eigentlichen Klimakrise zu verdrängen. Die zu überwindende Angst darf nicht in den Fokus der Klimadebatte geraten, dadurch würde die eigentliche Krise individualisiert und damit nur die individuellen Anpassungsprobleme beschrieben werden. 

Vielmehr sollen diese Sorgen und Ängste eine Chance bieten, um sich zu vereinen und Worte in Taten umzusetzen. Die Klimaangst zeigt hoffentlich Entscheidungsträger:innen auf, dass nicht nur die Gesundheit unserer Welt, sondern auch unsere und vor allem die mentale Gesundheit unserer jüngsten Mitbewohner:innen auf diesem Planeten auf dem Spiel steht. 

22. Februar 2023

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