Logo Akutmag
Icon Suche

Specific armour for protective solitude

Die Oberflächen in Lucas Skulpturen, bestehen aus meist gefundenen Materialien, sie tragen Geschichten von verschiedenen Zeiten und Orten sowie eine Situiertheit in der kontemporären Popkultur in sich. Indem die Objekte in neue Beziehungen eingebunden werden, wird ein scheinbar lebendiger Organismus geschaffen.Ein Einblick in die Arbeit von Luca Süss.

Von akutmag

Text von Luca Süss

Luca Süss (they/them) ist eine kunstschaffende Person aus Zürich.
Zur Zeit setzt Luca sich mit «queer armour», sowie den Informationen, welche second-hand Materialien in sich tragen, auseinander. Gefundene und gesammelte Einzigartigkeit in ihrer Austauschbarkeit. Ein neues Dazwischen. Ausgestellt wie Jagdtrophäen auf Wänden und Sockeln.

Diese Arbeiten setzen sich sowohl mit der kulturanthropologischen Frage nach dem Einfluss von Spielzeug auf die Bildung von Geschlechtsidentitäten bei Kindern, den Theorien, welche eine Queer Ecology umfassen, sowie dem Phänomen von Rüstungen bzw. «armour» als Schutz und Verteidigung von queeren Personen in einer kapitalistischen Gesellschaft auseinander. 

In ihrer Form erinnern die Skulpturen an seltsame, gepanzerte Lebensformen. Lebensformen, die Ausserhalb des dualen Weltbilds existieren. Kreaturen einer «Queer-logic». Einer Logik, die die Natur nicht nur in hetero-normativen Begriffen wie «natürlich – unnatürlich», «lebendig – nicht lebendig» oder «menschlich – nicht menschlich» betrachtet. Die Natur existiert in einem kontinuierlichen Zustand und die Vorstellung von «natürlich» ergibt sich nur aus den menschlichen Perspektiven auf das, was wir Natur nennen, nicht aus der «Natur» selbst. Durch die Linse der Queer-Ecology werden alle Lebewesen miteinander verbunden und aufeinander bezogen betrachtet, während Kinder in eine Welt hineingeboren werden, die bereits in geschlechtsspezifischer und heterosexistischer Weise organisiert ist.

Spiky hearts flickering in impatient obviousness, 2L8 2 W8, 2023, Stuffed toy, Shoes, faux fur, metal, 60 x 35 x 15 cm

Nach der Geburt durchlaufen wir einen Sozialisierungsprozess, der meist durch heteronormative Muster bestimmt ist. Spielzeug ist dabei ein grosser Bestandteil dieser Sozialisierung, denn es kann als Text betrachtet werden, der unter anderem Botschaften zu Geschlecht und Sexualität vermittelt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, liegt der Schluss nahe, dass Spielzeug eine wichtige Rolle bei der Bildung von Geschlecht und Sexualität, sowie bei der Konstruktion von geschlechtlichen und sexuellen Identitäten spielt. Doch im Allgemeinen vermitteln heutige Spielzeuge lediglich heteronormativ definierte Botschaften zu Geschlecht und Sexualität, und es gibt nur wenige geschlechtsneutrale oder nicht geschlechtsspezifische Spielzeuge. Die Spielzeuge unterscheiden sich sehr wahrscheinlich je nachdem, ob die Kinder als «Mädchen» oder «Jungen» sozialisiert werden. In diesem Sinne ist das Spielzeug, das Kindern oftmals gegeben wird, im Allgemeinen darauf ausgerichtet, gesellschaftlich geschaffene, heteronormative, geschlechtsspezifische Eigenschaften und Stereotypen zu reproduzieren.

Denn wenn man Kindern unterschiedliche Arten von Spielzeug, basierend auf einer konstruierten Geschlechtsidentität, zur Verfügung stellt, entwickeln sie unter Umständen unterschiedliche geschlechtsspezifische Eigenschaften. Ausserdem wird den Kindern dadurch vermittelt, dass einige Spielzeuge für «Mädchen» und andere für «Jungen» bestimmt sind, was wiederum dazu führen kann, dass Kinder schon in ihrem Spiel klare symbolische Grenzen zwischen «männlich» und «weiblich» ziehen. 

Portrait von Luca Süss

Diese Arbeiten stellen sich dem entgegen. Durch das in-sich-Aufnehmen dieser normativen Spielzeuge geben die Skulpturen diesen einen neuen Kontext und machen sie zur Substanz eines Queer-Objects. So ist zum Beispiel der allgegenwärtige Einsatz von Haaren, die in ihrer Dichte sogar an Fell erinnern, eine sehr eindeutige Anspielung auf Körperdysmorphie von gender-queeren Personen, sowie auch eine Situiertheit in der Popkultur und der kontemporären Mode. Diese Situiertheit lässt sich auch in der Art feststellen, wie die Materialien beschafft werden; In gezielten Missionen werden diese Objekte in Second Hand Läden gejagt, gefunden und erlegt. Diese «Umschlagplätze» für gebrauchtes und verbrauchtes Material sind nicht nur ein nicht wegzudenkender Teil unserer kapitalistischen Gesellschaft, sondern auch eine Art Bahnhof für all die Objekte, die dort landen. Manche müssen nur ein paar Stunden, vielleicht sogar nur Minuten warten bis sie mitgenommen werden, doch andere werden nie wider das Tageslicht sehen. 

rejected sadness flagship, out and about the reasons for reasonable hugs, 2022, Asics shoes, fabric, toys, paris-
souvenir 85 x 45 x 25 cm

Einmal gefunden, werden die Objekte auf brachiale Weise in ihre verwertbaren Einzelteile zerlegt, um dann sogleich weiterverarbeitet zu werden. Sie werden geschmolzen, abgegossen, vernäht, zerbrochen, bemalt, verbogen und verleimt. Dies geschieht nicht willkürlich, eine minuziöse Auswahl muss getroffen werden, um zu entscheiden, welche Elemente der Skulptur das geben, was sie braucht. So sind die Turnschuhfragmente, die in beinahe allen Werken auftauchen, eine weitere Anlehnung an unsere heutige über stilisierte Welt, in der ein solches Paar Schuhe identitätsstiftend sein können. 

Die Rüstungselemente, in der Materialität der Oberfläche, spielt indes unter anderem auf einen Essay des Philosophen Paul B. Preciado mit dem Titel «Who defends the queer child» an. Preciado sagt, es sei unmöglich für ein Kind, sich politisch gegen den Diskurs der Erwachsenen aufzulehnen: «Das Kind ist immer ein Körper, dessen Recht auf Selbstverwaltung nicht anerkannt wird. Wer verteidigt die Rechte des schwulen Kindes? Des intersexuellen Kindes? Des Trans-Kindes? Die Rechte des kleinen Jungen, der es liebt, rosa zu tragen? Des kleinen Mädchens, das das davon träumt, seine beste Freundin zu küssen, die zufällig weiblich ist? Die Rechte des andersartigen Kindes? Die Rechte des nicht-binären Kindes? Wer verteidigt die Rechte von Kindern, das Geschlecht zu ändern, wenn sie das wollen? Die Rechte des Kindes auf freie Selbstbestimmung von Geschlecht und Sexualität? Wer verteidigt die Rechte des Kindes auf ein Aufwachsen in einer Welt ohne sexuelle oder geschlechtliche Gewalt?»

Rüstung bzw. «armour» ist ein allgegenwärtiger Bestandteil im Leben von queeren Personen, sie ist mehr als nur ein Schutz, oft ist es durch sie überhaupt erst möglich, eine Identität aufrechtzuerhalten. Kleidung wird zur Rüstung, Make-up wird zum Helm und High Heels werden zu Stahlkappen. Doch diese Art der «Alltagsrüstung» wird vor allem gebraucht, um sich lebendig, und wie ein Mensch fühlen zu können. Leider vermögen es diese Rüstungen nicht, einen wahrhaftigen Schutz zu bieten, wie ihn Preciado fordert – mehr noch, sie können unter Umständen sogar als Angriffsfläche wirken. 

Anknüpfend an dieses Paradox steht die Diskrepanz zwischen den harten, gepanzerten- und den weichen, haarigen Stoffelementen in den Arbeiten. Eine Diskrepanz, der eine Spannung zugrunde liegt und die darauf abzielt, den ambivalenten Charakter dieser Objekte zu versinnbildlichen. Denn die Skulpturen sind tatsächlich «defender», sie sind «armour» – aber nicht für den Kampf, sondern um sich vor diesem zu schützen. 

encountered counter-convincer, the thing you h8 and the one that’s qr8, 2022, Asics shoes, fabric, toys 40 x 44
x 25 cm

Sie werden scheinbar von Sehnsucht zusammengehalten, und bei der disparaten Beschaffenheit ihrer Oberflächen geht es darum, viele Spannungen auszuhalten, zu umarmen und hervorzuheben. Diese Oberfläche, welche aus meist gefundenen Materialien besteht, trägt Geschichten von verschiedenen Zeiten und Orten sowie eine Situiertheit in der kontemporären Popkultur. Indem die Objekte in neue Beziehungen eingebunden werden, ohne ihre frühere Stimme aufzugeben (Diskontinuität), veranschaulicht das situierte Material die Vielzahl kontingenter Begegnungen, temporärer Teilverbindungen und schafft überhaupt erst einen scheinbar lebendigen Organismus. 

Hast auch du eine kreative Arbeit, die gesehen werden muss? Wir bieten dir bei akut eine Plattform, um genau diese zu publizieren. Sende uns deine Arbeit, eine kurze Beschreibung zu dir und deinem Projekt inkl. Credits an redaktion@akutmag.ch und vielleicht wird auch bald dein Werk bei uns zu sehen sein.

24. Februar 2023

Support us!

Damit wir noch besser werden