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Du bist traurig? Gut so!

Traurige, wütende, frustrierte Tage sind offenbar nicht mehr salonfähig. Eine Frechheit. Wer ehrlich zu sich selbst sein will, der darf auch mal miesgelaunt sein. Das macht glücklich.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

Während ich diese Zeilen tippe, ist mir eigentlich gar nicht nach Schreiben zumute. Ich bin grundlos miesgelaunt. Der Tag ist scheisse. Und die Tatsache, dass ich nicht weiss, wieso er so ist und ich so bin, auch.

Was mir auf die Nerven geht, ist der Trend, dass solche Tage scheinbar nicht mehr erlaubt sind. In Zeiten von Instagram, TikTok und Co. haut man natürlich nur dann wieder ein Foto oder Video in die gespielte Wirklichkeit, wenn man was Geiles erlebt. 

Apathisch tippe ich durch die Stories auf Insta. Offenbar liegt irgendein Sack unter meinen virtuellen Freund:innen immer an irgendeinem fucking Strand. In Nebel von Trockeneis eingehüllte Sushi-Rollen in der nächsten Story. Und natürlich ein traumhafter Sonnenuntergang, dazu ein Gläschen eiskalter Rosé und ein paar widerliche Hashtags: #grateful #lovingmylife #goldenhour #happy

Beh… heute bitte nicht. Das Problem: Der wichtigste Filter auf solchen Plattformen ist die Perfektion selbst. Geteilt wird nur, was das eigene Leben in luxuriösen Glanz rückt. Was andere neidisch machen könnte. Neidisch auf die #bestePizza in #Napoli. Dass vor der Pizzeria dort hingegen der Müll die Strassen nur so säumt: Nebensache. Neidisch auf den grandiosen #Gipfelblick. Dass man sich dafür stundenlang keuchend und tollpatschig hochgemüht hat: geschenkt. Neidisch auf den geilsten #Sound im #Club. Die 35 Franken Eintritt dafür und die Kotze auf dem Klo: egal.

Alles darf nur noch perfekt – der Mensch selbst nur noch glücklich und zufrieden – sein. Was oder wer diesen Ansprüchen nicht genügt, wird nicht geteilt. Und damit nicht zum Stück der zuckersüssen illusorischen Torte der sozialen Medien. Der «Steppenwolf» von Hesse fällt mir ein. «Schau, solche Affen sind wir! Schau so ist der Mensch! Und alle Berühmtheit, alle Gescheitheit, alle Errungenschaften des Geistes, alle Anläufe zur Erhabenheit, Grösse und Dauer im Menschlichen fielen zusammen und waren ein Affenspiel!»

Gegen diesen Zwang der Perfektion und des Glücks wettert die Autorin Juliane Marie Schreiber in ihrem Beststeller «Ich möchte lieber nicht». Schreiber zufolge nervt der Terror des Positiven. Er belastet. Er nimmt uns aber auch Empathie, Einfühlungsvermögen, Sinn für das Gemeinwohl.

Wer nur noch die Illusion des eigenen Glücks am Leben erhalten will und einem perfekten Moment nach dem anderen hinterherjagt, läuft mit rosaroten Scheuklappen durchs Leben und hat keine Augen mehr für seine Mitmenschen. Klammheimlich mutieren wir zu gefühllosen Ich-AGs beim Versuch das eigene Leben zwanghaft zu perfektionieren. 

Randnotiz: Parasitäre Nutzniesser dieses Phänomens sind die Life-Coaches, die Empowerer, die Personal-Development-Trainerinnen, Keynoter-Speaker und Mindset-Mentorinnen. Sektenähnlich versprechen die immer lächelnden Zufriedenheitsjünger den Weg zum vollkommenen Glück, persönlichen Wachstum und ewiger innerer Ruhe. Danke, aber nein danke.

Dabei ist Glück natürlich nicht per se schlecht, aber es funktioniert nur, wenn auch sein Gegenstück – das Unglück, die miese Laune, scheiss Tage eben – vorhanden ist. Nur wer auch mal hadert, weiss die zufriedenen Stunden zu schätzen. 

Schreiber zufolge hilft gegen diesen Zwang und Wahn des Glücks nur Rebellion. «Schimpfen ist Ausdruck gelebter Freiheit, ohne Schmerz gibt es keine Kunst, und Wut ist der Motor des Fortschritts. Denn die Welt wurde nicht von den Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen.» Vom berühmten slowenischen Philosophen Slavoj Žižek erhielt Schreiber für solche Aussagen ordentlich Lob. Dieser sagt: «Die Wahrheit tut weh, darum wird Schreibers Buch Sie nicht glücklich machen. Aber es wird Sie zum Denken bringen, und das ist das Einzige, was heute zählt.»

Mich hat das Buch zum Denken gebracht. Und zu der Einsicht, dass die Perfektion auf Dauer langweilig und öde wird. Wer sich immer im kuschlig-warmen Nest ausruht, der wird zum ewigen Siebenschläfer, ohne Bock auf die wirkliche Welt.

Also einfach mal wieder nicht perfekt sein. Einfach mal geschehen lassen. Das ist nicht nur spannender, sondern deutlich ehrlicher. Wie es schon bei Fightclub hiess: «May i never be complete, may i never be content, may i never be perfect.»

08. Juli 2022

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