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Drogen: Der Alkohol und die Frauen

Erfolgreiche, emanzipierte Frauen trinken – und zwar so viel, wie noch nie. Tendenz steigend. Das ist nicht nur Grund zur Sorge, sondern vor allem Grund zur Hinterfragung. Genau das hat die deutsche Journalistin Eva Biringer in ihrem Buch «Unabhängig: Vom Trinken und Loslassen» gemacht.

Von Leila Alder

Alkohol ist seit tausenden von Jahren Teil unserer Gesellschaft. Es macht manchmal lustig, manchmal locker, manchmal aggressiv, manchmal traurig aber vor allem eines: sehr schnell abhängig. Und Abhängigkeit macht keinen Halt vor dem Geschlecht. Ein hübsches Glas Rosé in der Insta-Story, einen Dry Martini als classy Afterwork-Drink – Frauen und Alkohol machen gemeinsam eine gute Figur. Aber nicht nur das; Wir nutzen ihn auch als Instrument der Selbstbestimmung. Ein nicht ganz ungefährliches Spiel. Denn Alkohol ist die einzige psychoaktive, süchtig machende Substanz, die keinen einheitlichen Regeln unterliegt und gleichzeitig die, die am meisten Menschen das Leben kostet. Während der übermässige Alkoholkonsum bei Männern in den letzten Jahren abgenommen hat, bleibt er bei Frauen gleich oder steigt sogar. Ein Bild, das sich dabei klar abzeichnet: Umso erfolgreicher, emanzipierter und gebildeter die Frauen sind, desto mehr übernehmen sie auch den ungesunden Alkoholkonsum, den man oftmals und seit jeher bei Männern beobachtet.

Eva Biringer ist jung, erfolgreich, intelligent und hatte ein Alkoholproblem. Nun hat sich die Food-Journalistin intensiv mit dem gefährlichen Phänomen befasst und ein Buch über die Gründe geschrieben. Wir haben uns mit ihr darüber unterhalten.

Statistiken beweisen: Je emanzipierter die Frauen in einem Land sind, desto mehr trinken sie. Warum greifen besonders beruflich erfolgreiche Frauen, die oftmals auf einen «healthy Lifestyle» setzen, häufiger zum Glas?

Eva: Einerseits weil Alkohol eine leichte Art ist, um sich kurzzeitig aus dem Stress auszuklinken, der es bedeutet, eine solche Frau zu sein. In allen Bereichen sollen und wollen wir perfekt sein, im Beruf, als Partnerin, Freundin, Mutter. Nicht zu vergessen der perfekte Körper. Trinken bringt erst mal die dringend nötige Entspannung und ein bisschen Me-Time. Natürlich ist es einfacher, sich am Ende eines langen Arbeitstages, kurz bevor man sich der Care-Arbeit zuwendet, ein Glas Wein einzuschenken, als eine Diskussion mit dem Partner anzufangen oder sich beim Chef über den Workload zu beschweren. Andererseits wird uns das Trinken als Emanzipation verkauft. Scheinbar gehört es zu einem gelungenen Leben dazu. Wenn du arbeiten und leben kannst wie ein Mann, warum dann nicht auch saufen wie einer? Man muss nur mal bei Instagram schauen, wie viele schöne, junge Frauen sich mit einem Glas Champagner oder Rosé fotografieren lassen. 

Sind die Gründe fürs Trinken geschlechtsabhängig? Warum trinken Frauen, warum Männer? 

Es gibt Tendenzen: Frauen trinken eher, um sich zu betäuben und, zumindest wenn sie dies  in problematischem Masse tun, eher zu Hause beziehungsweise allein, weil übermässiges weibliches Trinken schambehaftet ist. Männer hingegen trinken eher im öffentlichen Raum und richten ihre Affekte nach aussen statt innen. Das sind aber wie gesagt nur Tendenzen, es gibt auch jede Menge Gegenbeispiele.

Ich selbst trinke auch nicht gerade wenig – und mein ganzes weibliches Umfeld ist ziemlich trinkfreudig und macht sich darüber keine grossen Gedanken, so weit ich weiss. Wann wurde dir klar, dass du ein Alkoholproblem hast und wie lange hat es danach noch gedauert, bis du etwas unternommen hast? 

Schon relativ früh. Als Studentin sass ich beim Unipsychologen und habe gefragt, ob es ein Problem ist, dass ich jeden Tag zwei Gläser Wein trinke. Die Antwort hat mich gar nicht so sehr interessiert, ich wollte nur mal nachgefragt haben. Über die Jahre wurde es immer schlimmer und die Kontrolle ist mir immer mehr entglitten. Trotzdem hat es noch viele Jahre gedauert, bis ich den Absprung wirklich geschafft habe – mit knapp 31.

Wie hat der Entzug bzw. die Entwöhnungstherapie, da du ja rein psychisch abhängig warst, genau ausgesehen? 

Die Entwöhnungstherapie bestand aus einer Gruppensitzung und einer Einzelsitzung pro Woche, grösstenteils pandemiebedingt über Zoom. Im Einzelgespräch ging es um mich, in der Frauengruppe hingegen um jeweils ein oder zwei Themen pro Sitzung, welche die Teilnehmerinnen mitgebracht haben. Das war anstrengend, aber auch bereichernd, schon allein, weil dort so verschiedene Frauen mit ihren verschiedenen Süchten – nicht nur Alkohol – zusammenkamen.

Wie hat sich dein persönliches Bild einer Abhängigkeit durch deine Erfahrung verändert?

Ich hatte nie die Vorstellung einer Alkoholikerin, die morgens Wodka ins Müsli kippt. Abhängigkeit hat so viele Gesichter, genau wie das Spektrum sehr breit ist, von Missbrauch über psychischer Abhängigkeit bis hin zur körperlichen. Wenn jemand 30 Jahre lang jeden Tag nur ein Bier trinkt, ist das auch eine Form von Abhängigkeit, genauso wie jemand, der nur am Wochenende trinkt, aber immer wieder dabei die Kontrolle verliert. Für mich war das Trinken definitiv Teil meiner Identität, ich habe es zelebriert und lange Zeit gedacht, dass mich diese Haltung schützt. Heute ist es genau umgekehrt: Ich bin stolz auf meine Nüchternheit.

Wird deine Abstinenz heute häufiger kommentiert als dein übermässiger Alkoholkonsum früher? 

Ja, wobei das natürlich grösstenteils mit meinem Buch zu tun hat. Meinen Alkoholkonsum hat so gut wie nie jemand kommentiert, schon allein, weil ich als Foodjournalistin ja trinken musste. 

Fühlst du dich dir selbst näher, seit du nicht mehr trinkst?

Zu 100 Prozent. Ich weiss eher, was ich will, habe ein Gespür für meine Bedürfnisse und achte auf mich. Das fühlt sich wunderbar an.

Wie würdest du dir wünschen, dass in der Gesellschaft mit Alkohol umgegangen wird?

Ich wünsche mir ein reflektiertes und kritisches Verhältnis dazu. Alkohol wird nicht aus der Welt verschwinden, und das ist auch in Ordnung. Der Umgang damit muss allerdings viel stärker reglementiert werden. Wir brauchen strengere Gesetze, was Werbung und Verfügbarkeit betrifft, eine höhere Besteuerung, den Schutz Minderjähriger. Den Menschen muss klar sein, wie stark abhängig Alkohol macht und wie schnell die Schwelle zur Abhängigkeit überschritten ist. Mit diesem Wissen kann jeder und jede frei entscheiden, wie viel er oder sie trinken möchte.

Evas Buch «Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen» könnt ihr hier bestellen. Und wenn du selbst das Gefühl hast, ein Problem mit Alkohol zu haben, kannst du dich bei der Suchtfachstelle Zürich melden. Diese setzt sich für Menschen mit problematischem Konsum von Alkohol und anderen Substanzen ein.

04. Juli 2022

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