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Die Grenzen der digitalen Solidarität

Warum politisch motivierte Hashtags und Visuals gerade in Krisenzeiten oft auch kontraproduktiv sind und was wir stattdessen tun können und sollten.

Von Joshua Amissah

Es brennt. Der plötzliche Angriff von Putin auf die gesamte Ukraine erschüttert seit Tagen nicht nur Europa, sondern auch Orte und Menschen noch weit über die Grenzen hinaus. Das Internet ist übersäht mit Videos der Betroffenen, einfahrenden Panzern, und von zerstörerischen Luftangriffen. Waffen überall. Die Segregation zwischen flüchtenden Black (or) People of Colour und weissen Ukrainer:innen an den Landesgrenzen sorgte in den letzten Stunden ebenfalls für internationale Aufruhr. Zwischen Kriegsangst und Sensibilisierung flackern auch immer wieder Erinnerungen an weitere Konflikte unter anderem in Jemen, Palästina, Syrien, Afghanistan, Somalia, Süd-Sudan durch. Offizielle Nachrichtenformate berichten fast nur noch ausschliesslich über den knallhart kalkulierenden Machtmenschen Wladimir Putin und das Ausmass seiner kapitalen Fehlentscheidungen.

Irgendwo dazwischen findet sich eine Vielzahl an geteilten Ressourcen, Spendenaufrufen und dargebotenen Hilfeleistungen aus der ganzen Welt. Nebst dieser überwältigenden Welle der Solidarität aus der Bevölkerung schmücken sich auch eine Vielzahl an Unternehmen und Berühmtheiten mit der offiziellen Nationalflagge der Ukraine. Ganze Benutzeroberflächen von Websites und Social-Media-Kanälen werden über Nacht in einen gelbblauen Farbtopf getaucht. Damit einhergehend: die Hashtags #stopwar #stopthewar #helpukraine #staywithukraine #standwithukraine #worldforukraine #stopputin und noch viele weitere.

Der eigentliche Zweck des Hashtags

Der Hashtag ist ein mit Doppelkreuz versehenes Schlagwort. Er dient ursprünglich dazu, Nachrichten mit sich überschneidenden Inhalten in sozialen Netzwerken auffindbar zu machen und sie kategorisch miteinander zu verbinden. Somit könnte der Hashtag bedürftige Menschen in Not mit gewissen Institutionen und helfenden Händen zusammenzubringen. Je mehr Leute und Institutionen gewisse Hashtags jedoch zweckentfremdet verwenden, desto weniger kann der eigentliche Zweck des Hashtags wirklich erfüllt werden. Eine digital geschaffene Community kann so innert Sekundenschnelle völlig auseinandergerissen werden. Urplötzlich finden sich die füreinander gedachten Akteur:innen zwischen bunten Herzchen und weissen Friedenstauben-Emojis gar nicht mehr.

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Ein Beitrag geteilt von Cara Delevingne (@caradelevingne)

Ein sehr ähnlicher Mechanismus liess sich bereits nach dem Tod von George Floyd im Jahre 2020 beobachten. Das aus dem Jahr 2013 stammende #BlackLivesMatter Movement hatte durch die Tragödie Floyd wieder unglaublich viel an Energie aufgenommen. Nicht nur die Medienberichte über diesen Fall häuften sich, sondern auch die Diskussionen über die unzählbaren weiteren Schicksale von Black (or) People of Colour und weiteren diskriminierten Gruppierungen. Abertausende an politisch motivierten Initiativen, Petitionen und Spendenaufrufe wurden geteilt. Was hat all diese wertvollen Ressourcen über mehrere Tage hinweg beinahe zum Ersticken gebracht? Das schwarze Quadrat, welches sich gemeinsam mit dem Hashtag #BlackLivesMatter wie ein niederschmetternder Zensurbalken über ganz Instagram gestülpt hat. Solidaritätsbekundend, aber gänzlich ziellos.

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Ein Beitrag geteilt von Bill Kaulitz (@billkaulitz)

Digitale Anteilnahme? Ja, aber bitte sinnvoll!

Die digitale Anteilnahme mit all ihren Formen zeugt vielleicht von Empathie, doch wem hilft sie wirklich? Gerade prominente Personen könnten ihre Reichweite sinnvoll nutzen, um Hilfsorganisationen zu promoten und damit Spendeneinnahmen voranzutreiben. Denn leider bringen die Herzchen und Worte der Aufmunterung auf einer nachhaltigen Ebene nicht sehr viel. Auch wenn dies in einer absoluten Krisensituation eigentlich logisch erscheinen sollte, so fällt eine grosse Anzahl von politisierenden Posts ziemlich enttäuschend aus. Oder vor allem: uneffektiv.

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Ein Beitrag geteilt von Nina Kraviz (@ninakraviz)

Ein weiteres Paradebeispiel ist wohl leider die mit Abstand bekannteste Techno-DJ aus Russland: Nina Kraviz. So hat sie sich doch wenige Tage nach Ausbruch des Konfliktes tatsächlich noch die Zeit genommen, das Wort «Frieden» auf ein Blatt Papier zu kritzeln. Was gibt es Besseres als eine der bestbezahlten DJ’s der Technomusik, welche ihre Reichweite von 1.8 Millionen Follower:innen nutzt, um mit einem Blatt Papier auf den Mahagoni-Tisch ihres Hotelzimmers aufmerksam zu machen? Schön, dass sie sogar noch für den Frieden betet. Das wird den bewaffneten Konflikt sicher schon bald in Luft auflösen lassen. Nur eines könnte diesen Unsinn an dieser Stelle noch übertrumpfen: Wenn es sich um eine gesponserte Produktplatzierung von «Montblanc» handeln würde. Bravo!

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Ein Beitrag geteilt von Madonna (@madonna)

Naja, wer auch immer sich dazu entschieden hat, die halbnackte Madonna aus 2005 mit Hitlerfiguren und blutigen Kriegsopfern in ein Kurzvideo zu packen, gehört eindeutig gefeuert. Aber immerhin hat es etwas gebracht. Denn auch wenn die Pop-Ikone kämpferische Kriegsszenen aus der Ukraine mit schillernder Selbstinszenierung verwebt, so erwähnt sie in ihrem Profil immerhin einen Link, der verschiedene Wege aufzeigt, wie man schnell aktiv werden kann. Fernab vom Handybildschirm.

Niemand macht es perfekt, auch ich nicht. Und was haben wir vor allem daraus gelernt? Empathie auf Knopfdruck funktioniert leider nicht. Auch Solidaritätsbekundung reicht nicht aus. Deswegen: Stop Scrolling. Start Acting.

Ukraine-Konflikt – wie wir helfen können.

02. März 2022

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