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Denk nicht, was du denkst

Unser Geist ist ein beeindruckend mächtiges Werkzeug. Er hilft bei Planung, Vorstellung, Abwägung. Doch wer sich ständig in Gedanken verliert, verliert das eigentliche Leben schnell aus den Augen. Hier können Hollywood-Superstars und römische Kaiser weiterhelfen.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

Vor Kurzem habe ich einen Podcast für mich entdeckt. «Alles gesagt» heisst er, genial simpel gedacht von der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit». Der Name des Podcasts rührt daher, dass die Gespräche mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kunst oder Kultur gerne mal vier, fünf Stunden dauern, bis tatsächlich alles gesagt ist. Letztens lauschte ich hier den Worten eines meiner absoluten Lieblingsautoren: Ferdinand von Schirach. 

Irgendwann im Gespräch behauptet dieser, dass wir vor allem eines sind: Opfer unseres limbischen Systems. Getrieben von Emotionen und Gedanken, Hirngespinsten aus Angst, Frust, Wut. Wir bangen um die Zukunft, hadern mit der Vergangenheit. Und verlieren dabei das eigentliche Leben aus den Augen. «Es ist ja völlig richtig, dass Sie die Dinge beeinflussen wollen. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass Sie über viele Sachen schlichtweg keine Macht haben.» Von Schirach spricht damit ein Thema an, das sich seit Jahrhunderten durch die menschliche Geschichte zieht und philosophische Richtungen, gar Religionen beeinflusst hat. Stoizismus bei den weisen Griechen, Ausbruch aus dem Leid bei den Buddhisten, Consciousness in modern-hippen Achtsamkeits- und Meditationsapps. Et cetera pp. 

Ein ist auch ein Thema, das besonders häufig in meinem Alltag aufblitzt. Meistens inmitten tiefer Rabbit Holes aus Bildern auf Instagram und Youtube-Shorts. Da taucht Hollywood-Superstar Timothée Chalamet auf meinem Screen auf und spricht beneidenswert gelassen: «You can be the master of your fate and you can be the captain of your soul, but you have to realize that life is coming from you and not at you. And that takes time.» Da singt Fynn Kliemann auf meiner Playlist: «Mann, denk doch einmal nicht nach. Probleme werden später bequemer und danach egal.» Da sind Zitate von grossen Geistern der Vergangenheit. Senecas Briefe an Lucilius: «Sei nicht vor der Zeit unglücklich, da jene Dinge, die Dich […] mit Entsetzen erfüllt haben, vielleicht niemals eintreffen werden, gewiss aber noch nicht eingetroffen sind.» Geschmeidiger auf Englisch: «What I advise you to do is not to be unhappy before the crisis comes.» 

Apropos Antike. Besonders häufig nennt von Schirach Marc Aurel, ehemaliger römischer Kaiser und nebenbei einer der einflussreichsten Denker aller Zeiten. Massgeblich prägend für den Stoizismus. Zu meinen absoluten Lieblingssätzen von Marc Aurel gehört dieser: «Du hast die Herrschaft über deinen Geist – nicht über andere Dinge. Verstehe das und du findest Kraft.»

Es sind solche Überlegungen, die auch seit Jahrtausenden die buddhistische Lehre beeinflussen. Die dort lange Zeit schlummerten, ohne dass der Westen sich gross darum scherte. Bis der Philosoph Alan Watts auf den Plan trat und vor allem die Lehre des Zen-Buddhismus in unseren Breitengraden populär machte. Seine Idee: Unser alltägliches, alle Lebensbereiche durchdringende Wollen macht unglücklich. Vielmehr sollte man sich einlassen auf den «Fluss der Dinge» und akzeptieren, was zu ändern man vermag. Und was eben nicht. 

Hier fällt mir eine Szene aus dem grandiosen Dokumentarfilm «Minimalism – a documentary about the important things» ein. Dort erzählt ein ehemaliger Reporter von einem Gespräch mit einem buddhistischen Lehrmeister. Die geschilderte Ausgangslage: «Ich sitze im Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Es staut und wenn ich diesen Flug verpasse, dann ist knapp eine Woche Arbeit umsonst gewesen. Und da soll ich mir keine Sorgen machen, um die Zukunft, den Stau, das wartende Taxi und den verpassten Flug?» Die weise Antwort des Lehrmeisters: «Natürlich darfst du dir Sorgen machen. Aber eben nur einen Gedanken lang. Alle darauffolgenden Gedanken, die immer die gleiche Sorge im Zentrum haben, sind sinnlos. Du kannst am Stau, am Taxi, am Flugzeug nichts ändern. Schon gar nicht mit deinen Sorgen.»Das Beruhigende an dem ganzen Tamtam: Wenn selbst die schlausten Gehirne der Menschheitsgeschichte ihre Tage mit dem Versuch verbrachten, aus diesen leidhaften Sorgen auszubrechen, dann muss man nachsichtig mit uns einfach gestrickten Köpfen sein. Hilfreich kann es schon sein, wenn man ab und an ausbricht aus den eigenen Gedanken und diese als das entlarvt, was sie eben sind: fürs Erste blosse Gedanken. Wer das nicht schafft, läuft Gefahr, viel zu denken und wenig zu geniessen. Oder wie Seneca einst schrieb: «Sie verlieren den Tag in Erwartung der Nacht und die Nacht in Furcht vor der Dämmerung.»

13. Oktober 2023

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