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Zwei: Die (Verschwörungs)Theorien der Wahrheitssuche

Unsere Gesellschaft wurde schon seit Anbeginn, aber insbesondere durch verschiedene Ereignisse in den letzten Jahren, wiederholt gespalten. Die Suche nach Antworten auf ungelöste Fragen und der Drang nach der absoluten Wahrheit beschäftigt. Mit dem Soziologen, Kommunikationswissenschaftler und Experten für Verschwörungstheorien Marko Kovic wollen wir diesem menschlichen Streben nach der absoluten Wahrheit auf den Grund gehen.

Von Michèl Kessler

Für Jill stimmt die Welt so, wie sie ist. Die junge Frau baut ihre Position anhand von Fakten und Zahlen, Studien und einleuchtenden Quellen auf. Was in der Tagesschau gezeigt wird, stimmt. Für sie ist unter anderem auch klar: die Welt ist rund.

Die Wirklichkeit von Jonas sieht anders aus. Er und seine Freund:innen kennen die absolute Wahrheit – und die wird im Mainstream totgeschwiegen. Wie Schäfchen würde die grosse Masse demnach die Augen vor der Wahrheit verschliessen und den Lügen glauben, die von der Regierung in unsere Köpfe eingepflanzt werden. Der Zwanzigjährige ist sich sicher: unsere Welt ist flach. 

Die zwei jungen Menschen leben in unterschiedlichen Lebenswelten, die verschiedener nicht sein könnten. Die Wahrnehmung der Wahrheit, ob die Erde nun beispielsweise rund oder flach ist, differenziert sich drastisch. Und trotzdem sind beide fest von ihrer Einstellung überzeugt.

Dass die Wahrnehmung des Weltgeschehens je nach politischer Lage, Standort und Zugang zu Quellen unterschiedlich aufgefasst wird, ist nichts Neues. Ein Beispiel dafür ist 9/11. Während die Mehrheit von einem Terroranschlag ausgeht, gibt es auch eine grosse Anzahl von Menschen, die glauben, die unschöne Wahrheit erkannt zu haben: Die Katastrophe wurde von der amerikanischen Regierung selbst geplottet und ausgeführt. 

In unserem Alltag kann man in den unterschiedlichsten Teilgebieten die differenzierte Auffassung von Ereignissen und Umständen beobachten. Während der Pandemie haben sich diese unterschiedlichen Fronten aber nochmals verhärtet: Corona-Schwurbler auf der einen, Befürworter der Anti-Corona-Massnahmen auf der anderen Seite. Beide Lager sind in der Regel felsenfest davon überzeugt, die Wahrheit zu kennen.

Was versteht man überhaupt unter der Wahrheit?

Allgemein kann man sagen, dass damit die Übereinstimmung von Aussagen oder Urteilen mit einem Sachverhalt, einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe als Wahrheit bezeichnet wird. Auf die konkrete Frage, was denn nun Wahrheit ist, findet aber selbst die Philosophie bis heute keine eindeutige Antwort. 

Marko Kovic, Soziologe und Experte für Verschwörungstheorien, erklärt die vehemente Suche von uns Menschen nach der Wahrheit anhand von drei psychologischen Faktoren:

Der erste Faktor, das epistemische Motiv, bezieht sich auf ein Verständnis über die Art und den Ursprung von naturwissenschaftlichem Wissen und beschreibt die Fähigkeit, argumentativ denken und diskutieren zu können. Einfach gesagt will der Mensch wissen, was Sache ist und deshalb die Wahrheit herausfinden.

Zusätzlich mischt hier die Ambiguitätstoleranz mit. Diese beschreibt unsere psychologische Fähigkeit, mit Ungewissheit umgehen zu können. Spoiler Alert: Diese liegt bei uns Menschen relativ tief. Es fällt uns also schwer, mit Unklarem umzugehen. 

Der zweite psychologische Faktor, so erklärt Kovic, hat weniger mit der Frage nach der Wahrheit zu tun. Sie spielt beim menschlichen Verhalten aber eine zentrale Rolle: der Drang nach Kontrolle. Dies zeigt sich auch in der Forschung; sich an eine vermeintliche Wahrheit zu klammern, verleiht uns ein Gefühl der Kontrolle. 

Der dritte Faktor, und der könnte bei dieser Frage fast der Wichtigste sein, ist das menschliche Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit. Der Mensch funktioniert nicht als Einzelkämpfer:in, sondern will Teil einer Gruppe sein. Dies zeigt sich vor allem bei Verschwörungstheorien: Man hat das Gefühl, Teil derer zu sein, welche die Wahrheit erkannt und hinter die Fassaden geblickt haben. Das soziale Motiv, dass man einer Gruppe angehört und sich von den Anderen abgrenzt, ist demnach sehr stark ausgeprägt. 

Findet man somit eine Antwort auf eine ungelöste Frage, ist es mit viel Mühe verbunden, von der eingeschlagenen Fährte wieder loszukommen. 

Auch wenn diese Faktoren Aufschluss darüber geben, warum der Mensch konstant auf der Suche nach der Wahrheit ist, liegt die Gefahr nicht darin, einzelnen Verschwörungen Glauben zu schenken. Schlussendlich sei es sogar gut, wenn man regelmässig Informationen hinterfragt und sich auf die Suche nach anderen Ansätzen der Wahrheit macht, so Kovic. Brenzlig wirds dann, wenn sich eine Verschwörungsmentalität entwickelt. Ein allgemeines Verschwörungsdenken, gepaart mit stark ausgeprägten irrationalen Denkmustern, kann zu einem gefährlichen und tückischen Mindset führen. 

Die Antwort, ob und wie man diesen zwei Fronten entgegenwirken kann, ist somit nur schwer zu beantworten. Ein kritisches Hinterfragen und anzweifeln von Erzähltem ist aber per se keine schlechte Eigenschaft. Ob sich dann trotzdem die richtig Antwort, also ob etwas stimmt oder nicht, beantworten lässt, ist fraglich. 

Wir suchen die Wahrheit, finden wollen wir sie aber nur dort, wo es uns beliebt.

Marie von Ebner-Eschenbach

Der erste Schritt, um über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, sei schon mit der Einsicht gemacht, dass man einer eigenen Ideologie folgt, so Kovic. 

In einer Welt, die geprägt von Echokammern ist, muss man daher aktiv nach Irritationen des eigenen Weltbilds suchen und Quellen konsultieren, welche der persönlichen Ideologie widersprechen. 

Nur durch die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Ansichtsweisen ist es schlussendlich möglich, Falsches auszuschliessen und so vielleicht die Antwort auf die Wahrheit zu finden.

24. Oktober 2022

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