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Your Fave is problematic – problematische Celebrities und Cancel Culture

Dein Lieblingsstar wurde gecancelled. Im Auge der Öffentlichkeit ist dein Favorite jetzt offiziell problematisch. Und es ist nicht zu leugnen – vorweislich hat dein Liebling moralisch verwerfliche Dinge getan. So ne Scheisse.

Von Gisèle Moro

Die weltweite Verehrung, die dein Star für gewöhnlich erfährt, hat sich über Nacht in Hatespeech von gehässigen Internet-Trolls und enttäuschten Kommentaren von Supporter:innen verwandelt. Wie sollte es zu Zeiten von Social Media auch anders sein? Cancel Culture, ein Begriff der Mitte der 2010er-Jahre an Popularität gewann, ist mittlerweile ein fester Bestandteil von Social Media, fester Bestandteil des Internets. Das Ziel: ein kompletter Boykott der Person und ihrer Plattform. Celebs, die also problematisches Verhalten an den Tag gelegt haben, soll der Zugang zu einem grossen Publikum verwehrt werden. So zumindest die Theorie. Die Folge: Follower:innenzahlen droppen. Und du selbst findest dich auch auf dem Instaprofil deines Lieblings wieder, dein Daumen schwebt über dem blauen Follow-Button.

Drückst du?

Entfolgst du einer Person, die du wochen-, monate-, vielleicht sogar jahrelang idealisiert hast? Deren Musik du rauf und runter hörst? Deren Filme du von klein auf liebst? Oder bleibst du weiterhin abonniert und schiebst alles beiseite?

The good, the bad, the ugly: Cancel Culture

Wir sind vermutlich alle mit dem Begriff Cancel Culture vertraut. Der Vollständigkeit halber möchte ich hier trotzdem kurz eine Definition liefern. Die Zusammenstellung verschiedenster Quellen ergab Folgendes:

Das «Canceln» gewisser Mitglieder der Gesellschaft ist ein kollektiver Akt, insbesondere in den sozialen Medien, bei dem Personen, die durch ihre Taten Einzelne oder eine Gruppe von Menschen verletzt, geschädigt oder beleidigt haben, ausgeschlossen, ignoriert und diskreditiert werden. Gleiches gilt für die (künstlerischen) Werke und Arbeiten der Person.

Eine Cancellation fordert also, dass Köpfe rollen. Möglichst schnell, möglichst schmerzhaft. Diese Cancel-Mentalität hat sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen, wie zum Beispiel während #metoo und den einhergehenden Cancellations von Sexualstraftätern wie Kevin Spacey oder Harvey Weinstein. Insgesamt hat #metoo eine neue Awareness für sexuellen Missbrauch in der Entertainment-Industrie geschaffen, und Betroffene dazu ermutigt, sich Gehör zu verschaffen. Aber so geht das nicht immer aus. Etliche Stars kommen mit ihren Missetaten davon. Wenn sie überhaupt «gecancelt» werden, dann nur kurz, bis eben der nächste Skandal ans Licht kommt. Zudem kann Cancel-Kultur vor allem schnell toxisch werden. Wie im Mittelalter, als Leute ihre Nachbar:innen wegen noch so kleiner Banalitäten als Hexen denunzierten, missbrauchen gewisse User:innen den Akt des Cancelns, um digitale Hexenjagden in die Wege zu leiten. Und das aus Missgunst, Wut oder Langeweile. Und natürlich existiert unsere Cancel-Kultur in keinem Vakuum – Rassismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit… – auch dies ist für Incels, Rassist:innen und sonstige (Internet-)Loser Anlass genug für eine Hetzjagd.

Dazu sage ich nur: «Nipplegate». Janet Jackson erlebte 2004 eine Cancellation, die den Rest ihrer Karriere beeinflussen würde. Natürlich konnte sie nichts dafür, dass Justin Timberlake ihr die Kleidung vom Leib riss. Jetzt hatte die Welt aber nun mal ihren Nippel gesehen und dafür musste sie büssen. Ich meine – was gibt es Schlimmeres als den Nippel einer Schwarzen Femme? Justin Timberlake bringt also sexy back, während Janet Jackson Fans verliert bis zum Gehtnichtmehr. Also: Nur weil wir die Macht haben zu canceln, heisst das noch lange nicht, dass wir im Recht sind.

Cancel-Culture-Critics meinen ausserdem, dass eine Cancellation keinen Raum für aufrichtige Einsicht und nachhaltige soziale Veränderung bietet. Bye bye bye, gesellschaftlicher Fortschritt, Konversationen, die Möglichkeit zu lernen. Die Wurzel des Problems bleibt also unbehandelt.

Von der Cancellation zum Call-Out?

Unter Rücksicht dessen soll ein anderer Ansatz eine Alternative bieten: Call-Out Culture. Diese soll sensibler auf Fehlverhalten aufmerksam machen und so zu nachhaltiger Veränderung beitragen. Doch wie rosig sich die Idee auch anhören mag, lässt auch hier die Exekution zu wünschen übrig und geht schnell in öffentliches Shaming über. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Ist eine sensible Herangehensweise den Betroffenen gegenüber überhaupt fair? Stehen die Kapazitäten, die es für wirkliche Veränderung braucht – viel Zeit, Energie, Empathie, Expert:innen, Konsequenzen – überhaupt zur Verfügung?

Folgen oder Nicht-Folgen – das ist hier die Frage

Stellen wir uns vor, du drückst den blauen Button. Ein schneller Klick auf dein Handy, und du supportest deinen jetzt Ex-Fave nicht mehr. Entfolgt aus Handlungsdrang oder doch aus Überzeugung? Musik, Filme und sonstige Medien, die dein Ex-Fave berührt hat, sind beschmutzt, und das womöglich für immer. Doch deine innere Enttäuschung begleitet unterschwelliger Stolz. Und sogar ein Beigeschmack überlegener Moralität? Denen gegenüber, die den blauen Button nicht gedrückt haben.

Vielleicht bist du in deinem Ansatz aber auch fatalistischer. Du bleibst Abonnent:in. Du glaubst an deinen Fave und an seine oder ihre Kunst. Die Flinte einfach so ins Korn zu werfen, einfach aufzugeben, das willst du nicht. Macht es wirklich einen Unterschied? Wie eine moderne Jeanne d’Arc durchs Internet zu streifen ist nichts weiter als naiver Übermut. Es ist ja nicht so, als würde es sich beim Canceln um einen wirklichen aktivistischen Widerstand handeln – oder doch?

Wie viel Macht und Einfluss haben wir wirklich auf die Stars und Sternchen der Bourgeoisie? Und: Vertrauen wir darauf, dass Menschen sich wirklich ändern, wenn sie es wollen?

04. Oktober 2023

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