Logo Akutmag
Icon Suche

Wir müssen überdenken, wie Schweizer:innen aussehen – Recap zum interkulturellen Festival mit Billie Klaus

Mitte Mai 2023 fand im Dynamo in Zürich das erste interkulturelle Festival unter dem Motto «zämecho – دورهمی – se rassembler» statt. Organisiert wurde es vom Verein «voCHabular» sowie vielen freiwilligen Helfer:innen. Im Gespräch mit Billie Klaus, Co-Teamleiterin und Vorstandsmitglied des Vereins, blicken wir zurück aufs Festival.

Von Janine Friedrich

Der Zürcher Verein «voCHabular» setzt sich für die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft ein. Sie arbeiten nicht nur für Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung, sondern bilden ein grosses Team, wo alles im Miteinander und Füreinander angepackt wird, anstatt nur für andere. Gemeinsam erschaffen sie Selbstlernmittel, zum Beispiel Bücher oder Apps, um das Ankommen in der Schweiz, für alle, die die Sprache noch nicht sprechen, und das Leben hier zu erleichtern. 

Euer Verein hat das interkulturelle Festival «zämecho – دورهمی – se rassembler» zum ersten Mal organisiert. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Billie: Ursprünglich wollten wir 2020 das Vereins-Jubiläum feiern. Wir hatten schon einige Bands und Organisationen angefragt, denen wir aufgrund des Lockdowns absagen mussten. Vor Kurzem hat uns dann eine dieser Bands gefragt, ob wir denn das Fest noch machen wollen; sie hätten Lust aufzutreten. Das war tatsächlich der Anstoss für das interkulturelle Festival. Wir dachten uns, dass wir auch ausserhalb des Jubiläums ein Festival feiern können. Es sollte aber trotzdem zu unserem Verein passen, interkulturell gestaltet sein und Vernetzung mit verschiedenen Organisationen bieten. Am Ende kam ein super Mix heraus. Es gab sowohl gestalterisch-kreative Workshops, die interkulturelle Themen eher leichter und spielerisch vermitteln konnten, aber eben auch kopflastigere Workshops oder Podiumsdiskussion, wo es tiefer in die Materie ging. Und natürlich die Konzerte und das Theater. Beim gesamten Programm war das Zusammenkommen das Wichtigste; gemeinsam etwas anpacken und machen; zusammenkommen und sich mal auf ganz neuer Ebene mit anderen Menschen austauschen und verbinden.

Könntest du dir vorstellen, dass daraus ein jährliches Ding wird?

Offiziell haben wir es noch nicht abgesprochen. Wir haben aber definitiv alle Lust, es zu wiederholen. Während des Festivals haben wir innerhalb vom Organisationskomitee auch schon kommuniziert, was wir beim nächsten Mal besser oder anders machen könnten. Wir sind auf jeden Fall motiviert. Von daher mal sehen, was daraus werden könnte und in welchem zeitlichen Rhythmus ein zweitägiges zämecho Sinn macht für alle.

War es in deinen Augen ein Erfolg?

Ja, für ein erstes Mal war es ganz gut besucht. Der zweite Tag lief super. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet. Das Datum war leider etwas ungünstig an dem langen Wochenende nach Auffahrt, da viele Leute die Brücke machen und wegfahren. Doch gezählt haben alle, die da waren und darum geht es. Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten. Die Menschen, die Teil vom Festival waren – entweder als Mitwirkende oder Besuchende – haben sich wohl gefühlt und fanden es toll. Das sind gute Argumente für ein nächstes Mal. Ausserdem ist es super, dass wir unterschiedliche Altersgruppen erreichen konnten, auch wenn insgesamt die jüngeren Besucher:innen überwogen haben.

Ich hatte das Gefühl, dass vor allem Menschen da waren, die sowieso schon Berührungspunkte mit Themen wie Rassismus-Sensibilisierung haben oder sich selbst solidarisch engagieren. Was könnte denn deiner Meinung nach Menschen noch davon abhalten, ein interkulturelles Festival zu besuchen?

Es waren wirklich viele Leute da, die uns als Verein oder die anderen Vereine und Organisationen schon kannten. Es ist eine Bubble, in die man natürlich sehr schnell hineinkommt, wenn man das möchte und die immer allen offen steht. Schwierig ist es nur, wenn man sich noch nicht so fest mit der Thematik auseinandergesetzt hat und vielleicht auch das Gefühl hat, es geht einen nichts an. Doch es geht eben alle etwas an! Wir müssen beim nächsten Mal noch mehr Werbung an verschiedensten Orten platzieren, um auch die Leute abzuholen, die sich sonst gar nicht mit solchen Themen auseinandersetzen. Wir haben bereits überlegt, wie wir das Festival noch offener, zugänglicher und auch inklusiver gestalten könnten. Dieses Mal fand alles drinnen statt. Wenn wir es jedoch irgendwo draussen veranstalten könnten, hätten wir nochmal ganz anderes Publikum. Dann würden auch Leute, die vorbeigehen, das Festival spontan besuchen. Das ist ein wichtiges Learning für uns.

Was war dein persönliches Highlight?

Am Samstag war das Malaika Flüchtlingstheater im Programm, ein Integrationsprojekt. Da waren über 30 Leute auf der Bühne: Menschen aus verschiedensten Nationen, aus unterschiedlichen Generationen, mit verschiedenen religiösen Ansichten und einige auch mit Fluchterfahrung. Viele von ihnen, die bei der Theatervorführung mitgemacht haben, sind dann bis zum Schluss vom Festival geblieben und haben bis in die Nacht mitgefeiert. Das war wirklich die Quintessenz von unserem Motto: Zusammenkommen, neue Dinge lernen, etwas darbieten und vor allem eben das gemeinsame Feiern.

Dazu kommen all die spannenden Begegnungen mit verschiedensten Menschen – ob Leuten aus derselben Bubble oder aus ganz anderen Kreisen – die das Festival besonders gemacht haben.

Absolut. Neben schönen Begegnungen habe ich auch viele spannende und wichtige Diskussionen erlebt. Einmal ging es darum, dass wir überdenken müssen, wie Schweizer und Schweizerinnen aussehen. Der Take war, dass wir alle immer zuerst auf Deutsch oder Schweizerdeutsch anreden sollten und nicht aufgrund des Aussehens ins Englische switchen.

Das ist genau der Punkt: Wie gehen wir in diesem Land auf Menschen zu? Sprechen wir sie auf Englisch an, weil wir bewusst oder unterbewusst vermuten, dass sie keine Schweizer:innen sind? Oder stellen wir die Frage nach den Wurzeln oder der – wie man oft sagt – eigentlichen Herkunft aufgrund des Aussehens? Vielleicht sind sie in der Schweiz geboren und auch aufgewachsen und sehen sich als Schweizer:innen. Daher ist es sicher nicht verkehrt, einfach erstmal alle auf Deutsch oder Schweizerdeutsch anzusprechen. Wenn man dann merkt, dass die Person es nicht versteht, dann kann man nachfragen, welche Sprache am besten ist und eine gemeinsame Sprache finden. Doch aufgrund vom Aussehen abzuleiten, dass jemand nicht in der Schweiz aufgewachsen ist oder die Sprache nicht beherrscht, funktioniert nicht. Wir sind alle rassistisch sozialisiert worden und das schwingt immer mit. Jede:r muss versuchen, so sensibel wie möglich zu sein und die Grenzen richtig abzuschätzen. Es ist okay, Fehler zu machen oder mal aus Unwissenheit etwas Falsches zu sagen, solange man daraus lernt und nachvollziehen kann, beziehungsweise verstehen will, was nicht in Ordnung war. Nur dann kann es beim nächsten Mal besser gemacht werden.

Wie können wir uns gegenseitig auf Augenhöhe begegnen, ohne dabei die Zugehörigkeit von Herkunft, den eigenen Wurzeln (auf die man meist stolz ist), der Kultur abzusprechen oder zu vernachlässigen?

Es ist wichtig, die Balance zu finden: Mag die Person darüber erzählen? Wann ist es grenzüberschreitend nachzufragen, und wann ist es wichtig, etwas zu wissen? In gewissen Situationen ist Kontext wichtig, um zu verstehen, warum eine Person so und so gehandelt hat. Wir müssen lernen, ein Gefühl dafür zu entwickeln. Wenn mir jemand erzählen möchte, wo seine oder ihre Wurzeln liegen, dann macht die Person das auch, aber es muss ja nicht das Erste sein, was man bespricht. Es gibt genügend Gemeinsamkeiten oder ähnliche Interessen, die man finden kann.

07. Juni 2023

Support us!

Damit wir noch besser werden