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Wie Wohnungssuche in Zürich nicht geht

Eine Bleibe in Zürich zu ergattern, ist ja per se schon mühsam. Wenn dann aber noch Vorurteile, Intoleranz und gespielte Weltoffenheit mitschwingen, wird es grauenvoll.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

Dass man in Zürich scheinbar leichter an eine frische Niere kommt als an eine halbwegs bezahlbare Wohnung, ist ja allseits bekannt. Der Markt regelt das und ich will mich darüber nicht weiter aufregen. Die Stadt ist beliebt, die Stadt ist nicht allzu gross, einige wenige können sich deutlich mehr leisten als andere und treiben Preise in die Höhe – Punkt. «Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden», lautet das Gebet der Gelassenheit von Reinhold Niebuhr.

Alles andere als gelassen war ich aber in den letzten Wochen und Monaten, die vom Gefühl her nur daraus bestanden, bei jeder neuen Flatfox- oder Homegate-Anzeige, Pushmail von Ronorp oder Immomailing-Benachrichtigung sofort meine vorgefertigte, widerlich freundliche Standardnachricht rauszuhauen, um dafür zu betteln, mich zusammen mit ein paar dutzend anderen verzweifelten Seelen vier Stockwerke an quietschenden Dielen und wackligen Geländern vorbeihangeln zu dürfen, um mich in eine mickrige 2.5-Zimmer-Wohnung zu pressen und den total Begeisterten zu spielen. «Keine Spüle? Überhaupt kein Problem, ich bin da sowieso puristisch. Less is more, haha.» Wie. Mich. Das. Ankotzt.

Noch mehr kotzt mich aber an, wenn die vermeintlich «superoffene WG, wo jede:r seine Meinung sagen darf und wir zusammen einen Raum des Wohlfühlens schaffen», genau jene sind, die dann schlussendlich doch vielleicht weniger offen sind, als sie selbst gerne zugeben würden. So viel vorweg: Ich arbeite hauptberuflich für eine NGO, die sich für nachhaltige Landwirtschaft in Afrika einsetzt, habe einen Hund, Tattoos und derzeit einen Hipster-Man-Bun. Allesamt Merkmale, die mich auf eine bestimmte Art von WG-Menschen auf den ersten Blick vielleicht vertrauter wirken lassen als auf andere. Und so folgte ich Besichtigungsterminen durch ganz Zürich, geführt von ein paar Räucherstäbchen hier, ein wenig Spiritualismus und Fuck-the-system-Postern da und ordentlich Sorgfalt bei der Wahl der derzeit korrekten Pronouns dort. 

Als ich dann aber mit meinem Hemd von der Arbeit anklopfte, gleich schon erste skeptische Blicke. «Wie bitte, du bist mit dem Auto hier? Oooookeeee». Im Gespräch dann schnell die Einsicht: Dass ich – jap, definitiv – um einiges toleranter bin als meine Gegenüber, die in Birkenstock auf ihrem Flohmi-Sessel vor mir sitzen und mich vorwurfsvoll begutachten, als ob ich ein Zalando-Produkt wär, auf dem trotz Nachhaltigkeitslabel in kleinen Lettern «Made in Pakistan» gestickt ist. 

Wieder einmal die Bestätigung, dass das Mantra «Don’t judge a book by it’s cover» gerne gepredigt, gerne aber auch von den Predigern selbst vergessen geht. Die Bestätigung, dass für mich tatsächlich egal ist, wer nun gerade mit mir spricht. Solang du kein allzu grosses Arschloch bist, Regeln und Fairness und Respekt kennst, mal einen Witz verkraften und mal selbst einen raushauen kannst, trink ich – egal welche verrückten Gedanken in deinem Kopf rumschwirren – ein Bier mit dir und hör mir an, was du zu sagen hast. Ich muss nicht mit allem d’accord sein, was du laberst, bei manchen Sachen werde ich mich zusammenreissen müssen, um nicht in die Luft zu gehen. Aber etwas lernen kann ich dabei, so viel steht fest. 

In den allermeisten Wohnungen aber diese sich selbst bestätigende Bubble, die dann halt doch nicht alles goutiert, sondern die Toleranz schlussendlich lieber jenen Personen widmet, die gleich ticken. Hey, dass ihr jemanden in der Bude haben wollt, der oder die gleich tickt wie ihr, ist doch nachvollziehbar. Aber dann kommt mir doch nicht mit diesem Wir-sind-alle-eine-grosse-Family-Gelübde, wenn ihr bei dem allerkleinsten Zeichen von tatsächlichem Andersdenken komplett dichtmacht, eure Yoga-Matte in die andere Richtung dreht und mir mit gespieltem Bedauern mitteilt, dass der selbst gemachte Bulgur-Salat dennoch nicht für alle reicht. «Toleranz ist der Verdacht, dass der andere recht hat», hat Kurt Tucholsky mal geschrieben. Weg also mit eurer absoluten Sicherheit, mehr Verdacht wäre angebracht.

Was ich damit sagen will: Wenn ihr nicht ab und an mal eure Bubble verlasst – mir, egal, ob es dort so nett, fair, respektvoll, ehrlich zugeht wie sonst nirgends auf diesem Jammerstern – dann könnt ihr eines nicht: wachsen. Nur wer sich mit anderen Meinungen auseinandersetzt, wer ständig seine eigene hinterfragt, der ist morgen schlauer als heute. «Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, ist einer von ihnen überflüssig», Winston Churchill. Oder um es noch strenger auszudrücken: «Anyone who isn’t embarrassed of who they were last year probably isn’t learning enough», Alain de Botton.

Also öffnet eure Türen weit genug und hört euch an, was auch jene zu sagen haben, die ihr – doch erst wenige Momente in eurem Blickfeld und schon im Geiste verurteilt, ihr Schlawiner – vielleicht nicht in eurer Bubble willkommen heissen würdet.

Und wenn der Anwärter auf Einlass tatsächlich genau jenes weltzerstörerische, kapitalistische, niederträchtige, geldgierige, intolerante Arschloch ist, das ihr in ihm vermutet habt, dann habt ihr auch meine Erlaubnis, die Tür mit Karacho zuzuschlagen. Aber eben erst nur dann. Also reisst euch am selbstbestickten Riemen, springt über euren eigenen Schatten und seid mal offen. Wirklich offen. Tut gut.  

18. Juli 2023

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