Eine überlieferte Geschichte mit unbekannter Quelle erzählt Folgendes:
Ein ganz auf das innere Leben ausgerichteter Mönch wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Aufgaben immer so gesammelt sein könne: «Wie gestaltest du denn dein Leben, dass du so bist, wie du bist; so gelassen und so in dir ruhend?»
Der Mönch sprach: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich; wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich; wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich; wenn ich bete, dann bete ich…»
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort: «Das tun wir doch auch. Aber was machst du noch; was ist das Geheimnis?»
Der Mönch gab exakt dieselbe Antwort wie schon zuvor: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; (…)»
Da sagten die Neugierigen: «Das wissen wir jetzt. Das tun wir alles auch!»
Der Mönch aber sprach zu ihnen: «Nein, eben das tut ihr nicht: Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr geht, seid ihr schon angekommen; wenn ihr sitzt, dann strebt ihr schon weiter; wenn ihr schlaft, dann seid ihr schon beim Erwachen; wenn ihr esst, dann seid ihr schon fertig; wenn ihr trinkt, dann kostet ihr nicht genug; wenn ihr sprecht, dann antwortet ihr schon auf Einwände; wenn ihr schweigt, dann seid ihr nicht gesammelt genug; wenn ihr schaut, dann vergleicht ihr alles mit allem; wenn ihr hört, überlegt ihr euch schon wieder Fragen; wenn ihr lest, wollt ihr andauernd wissen; wenn ihr arbeitet, dann sorgt ihr euch ängstlich; wenn ihr betet, dann seid ihr von Gott weit weg…»
Die tiefe Weisheit, die in diesen einfachen Worten steckt, sollte schon reichen, um uns nachdenklich zu stimmen und zu reflektieren, wie achtsam wir unsere wertvollen Tage hier leben. Schnell wird klar, dass der Mönch recht hat. Wir verhalten uns oft so, als seien wir dem Leben voraus und verpassen dabei das Einzige, was wir wirklich haben: den jetzigen Moment. Wir könnten ihn mit all unseren Sinnen spüren und wahrnehmen. Das Ding ist nur: Viel Gebrauch machen wir von unseren Sinnen nicht, wenn wir mehrere Dinge gleichzeitig tun.
Nehmen wir folgendes Beispiel: Wir schmecken weniger, wenn wir während des Essens auf Bildschirme starren, und können dadurch nicht mal sagen, welcher Bissen der beste war. Wir sind so privilegiert, dass wir mehrmals am Tag einen vollen Teller mit einem Gericht, das wir uns sogar aussuchen können, vor der Nase haben – und dann essen wir das alles nebenbei, als sei es nichts Besonderes. Die Wertschätzung bleibt durch die Ablenkung auf der Strecke; dabei hätte das Essen definitiv unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdient. Und so schwer ist es gar nicht, das Essen einfach um des Essens Willen zu geniessen. Eine Freundin sagte dazu mal sehr treffend: «Wenn ich esse, kann ich gar nichts anderes machen, weil ich ja esse.» Sie ist nie auf diesen Zug aufgesprungen, beim Essen Serie schauen oder Podcast hören zu müssen. Selbst wenn sie alleine und nicht gemeinsam mit anderen isst, wird das richtig zelebriert. Sie zündet sich eine Kerze an, richtet alles schön her und macht sich die ganze Zeit selbst Komplimente, wie geil sie wieder gekocht hat und wie hervorragend es schmeckt. Das sind doch genau die Vibes, die wir mit unserer Nahrung zu uns nehmen wollen, oder nicht? Wertschätzung und Dankbarkeit on its finest.
Das wiederum ist, wenn wir ganz ehrlich sind, nichts weiter als eine Entscheidung. Eine bewusste Entscheidung, mit der wir uns klar machen können, dass jede Tätigkeit für sich wertvoll ist. Noch dazu bringt uns gewissenhaftes Monotasking ohne Umwege ins Hier und Jetzt. Für Körper, Geist und Seele ist es also allemal gesünder, tatsächlich bei der Sache zu sein. Doch warum fällt uns das heute schwerer? Liegt es am Informationsüberfluss und den immer wachsenden Möglichkeiten der Unterhaltung, die wir alle versuchen aufzunehmen , aus Angst etwas zu verpassen? Vielleicht. Der Algorithmus hat schliesslich ständig unzählige Vorschläge für uns: Wir sollten dies jetzt schauen und uns jenes jetzt anhören. Selbst wenn wir alle Zeit der Welt hätten, würden wir mit all dem nie fertig werden. Wenn überhaupt, ist das Einzige, was wir verpassen könnten, das Leben mit allen Sinnen bewusst und intensiv zu geniessen. Andererseits kann es natürlich sein, dass wir gerne abgelenkt werden wollen. Die Frage ist nur: Wovon wollen wir abgelenkt werden?
Von einer bestimmten Tätigkeit selbst?
Das ist tatsächlich eine Einstellungssache. Wir können alles gerne und mit Liebe machen: Widmen wir uns voll und ganz einer Tätigkeit, ohne Ablenkung und ohne sie hinter uns bringen zu wollen, können wir sie geniessen und uns gleichzeitig im Moment erden. Das lässt uns nicht nur ausgeglichener und zufriedener sein, sondern sogar ein besseres Ergebnis hervorbringen. Jeder Moment gehört schliesslich uns. Es ist unsere kostbare Zeit, die wir zu einer guten oder zu einer nicht so guten machen können.
Von unseren Gedanken und Gefühlen?
Sie wollen uns immer etwas mitteilen. Dafür müssen wir aber Freiraum im Kopf schaffen und zuhören, anstatt sie immer wieder mit Dingen aus der digitalen Welt zu übertönen. Dieser Freiraum im Kopf entsteht von alleine, wenn wir mal wieder ganz bei der Sache sind und zum Beispiel in Stille aufräumen oder kochen. Das ist gleich eine ganz andere Erfahrung, die super entspannend wirkt und sogar unsere Inspiration boosten kann!
Vom Stress?
Nun ja, Multitasking ist da ganz sicher nicht die nachhaltigste Lösung – Achtsamkeit und Entschleunigung schon eher. Nur so können wir trotz vieler Aufgaben gesammelt und gelassen sein. Denn wenn wir noch mehr Eindrücke auf uns einprasseln lassen, während wir schon drei andere Dinge gleichzeitig tun, bedeutet das physisch und mental schlichtweg noch mehr Stress für uns. So viel, wie wir heutzutage konsumieren, können wir sowieso nicht verarbeiten.
Klar, mehr Monotasking erfordert ein gutes Zeitmanagement und eine angemessene Prioritätensetzung, aber es ist machbar und zahlt sich aus. Die positiven Effekte sind zudem sofort spürbar. Wie wäre es also, wenn wir wieder mehr Tätigkeiten unsere volle Aufmerksamkeit schenken? Ganz im Sinne von: Wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich aufräume, räume ich auf; wenn ich Podcast höre, höre ich Podcast; wenn ich koche, koche ich; wenn ich Zug fahre, fahre ich Zug; wenn ich Serie schaue, schaue ich Serie; wenn ich spazieren gehe, gehe ich spazieren; wenn ich telefoniere, telefoniere ich; …
Wenn man die Welt so beobachtet, gibt es zu jeder Bewegung immer eine Gegenbewegung. Das ist ganz natürlich und ein Weg der Annäherung, der uns am Ende hoffentlich zu einer gesunden Mitte führt. Wir müssen Dinge ausprobieren, bevor wir sagen können, ob sie gut oder schlecht für uns sind. Ich glaube zudem, dass nichts falsch daran ist, hin und wieder beim Essen Netflix, YouTube oder was auch immer zu schauen oder beim Kochen Podcast oder Musik zu hören. Doch wenn man es ohne diesen Konsumdrang und die Dauerbeschallung nicht mehr geht, sollte man schon mal hinterfragen, woher das kommt und warum man das unbedingt braucht.
06. März 2024