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Mann-sein in Heels und mit Make-up

Michel aka Drag-Queen «Paprika» übers Mann-sein, eine verkorkste Gesellschaft, spektakuläres Make-up und veraltete Normen.

Von Vanessa Votta

Rechts und Links von mir Schafe und Kühe, vor mir grün, hinter mir grün. Ich bin im tiefsten Aargau. Ein Ort, den wir mit SVP-Plakatwerbung, Rüebli vom Hof oder eigenartigen Dorf-Partys in Verbindung bringen und der alles andere als glamourös und weltoffen ist. Doch ein sehr glamouröses, weltoffenes Wesen ist genau hier beheimatet, nämlich Michel aka Drag-Queen «Paprika».

Was gefällt dir besser an Michel und was an Paprika?

Paprika hat eindeutig die coolere Garderobe! Deshalb ziehe ich gewisse Drag-Klamotten auch gerne als Michel an. Im Alltag bin ich aber doch lieber als Michel unterwegs, denn Drag ist unbequem! Korsett, Perücken, falsche Wimpern, Higheels; das ist alles andere als angenehm zu tragen! Aber wer schön sein will, muss bekanntlich leiden.

Hängt an Paprika eine ganz eigene Persönlichkeit oder ist es nur die Aufmachung?

Durch Paprika kommt meine Feminität stärker zum Ausdruck. Die Gangart und die Bewegungen ändern sich, sobald ich in meine Rolle schlüpfe. Meine Persönlichkeit bleibt jedoch die gleiche. Ich bin sehr introvertiert und habe Mühe auf fremde Menschen zuzugehen. In Drag ist das nicht anders. Sobald ich jedoch als Paprika auftrete, sprechen mich die Menschen von selbst an und das Gespräch ergibt sich von alleine. Das hilft mir meine schlechten Smalltalk-Skills zu überspielen.

Was liebst du am Mann-sein?

High Heels.

Was du machst und für was du stehst braucht unglaublich viel Selbstbewusstsein. In welchen Momenten fühlst du dich dennoch unsicher?

Zum Beispiel, wenn ich in den Zeitungen wieder von einem neuen Angriff auf Menschen der LGBTQ+ Community lese. Vor allem im Nachtleben haben wir queere Menschen uns deswegen Safe Spaces geschaffen. Abgesehen von diesen Spaces kommt es aber immer wieder zu Hate Crimes und Tätlichkeiten. Auch die Alltagsdiskriminierung gegenüber LGBTQ+ Menschen ist immer noch sehr präsent. Immer wieder müssen wir für unsere Rechte kämpfen und uns auf Diskussionen mit engstirnigen Menschen einlassen, über Themen, die gar nicht erst für Diskussionsstoff sorgen sollten. Diskriminierung, Hass, Homo- und Transphobie sollten nie vertretbare Meinungen sein! Solche Meinungen führen schlussendlich zu verbalen und physischen Angriffen, die dann von der Polizei kaum geahndet werden.

Warum glaubst du, fällt es unserer Gesellschaft so schwer Menschen zu akzeptieren, die nicht ihrer vorgegebenen Norm entsprechen?

Weil wir in einer patriarchalen und kapitalistischen cis-hetero Gesellschaft aufwachsen, die sich mit veralteten Normen immer wieder zu reproduzieren versucht. Von klein auf werden wir in diese
(hetero-)normativen Schubladen gepresst. Bereits die Kleidung, die wir unseren Kindern anziehen, werden in Mädchen und Jungen Kleidung unterteilt. Dieses Schubladendenken zieht sich durch unser ganzes Leben und wird durch verschiedene Branchen gepusht, die immer noch Produkte diesen Normen entsprechend gestalten. Die neusten Marketingdebakel: Männermakeup oder Überraschungseier nur für Mädchen. Sich von solchen Normen zu lösen, die einem von Geburt an jeden Tag aufs Neue unter die Nase gerieben werden, fällt uns schwer.

Ich selbst habe auch einige Zeit gebraucht, um mich von den Normen der Gesellschaft zu lösen. Als ich das erste Mal mit stereotypischer «Frauen»-Kleidung vor dem Spiegel stand, war das für mich extrem komisch. So stark hatte ich das heteronormative Denken verinnerlicht. Mit der Zeit distanzierte ich mich immer mehr von meinem veralteten Denken und fand immer mehr Spass daran, Gender-Stereotype zu durchbrechen. Sich so anzuziehen, zu schminken und zu sein, wie man Lust hat, fühlt sich wahnsinnig befreiend an!

Apropos Schminken! Ich wage es fast nicht Make-up zu nennen, denn es kommt eher einem Kunstwerk gleich, was du mit deinem Gesicht und deinen Haaren anstellst. Woher hast du gelernt dich so zu schminken und woher holst du die Inspiration?

Ich habe das Drag-Schminken noch über den klassischen Weg erlernt: durch andere Drag Queens. Wie ihr vielleicht aus Fernsehsendungen wie «Pose» kennt, gibt es in der Ballroom- und auch in der Dragszene sogenannte Houses. Houses kann man sich wie eine queere Familie vorstellen, die man sich selber aussuchen darf. Als ich mit Drag begann, nahm mich eine Gruppe von Dragqueens in ihr House auf. Sie zeigten mir, wie ich mich schminke, welche Produkt verwendet werden und haben mir beim Einstieg in die Drag-Welt geholfen.

Drag setzt ein Zeichen gegen bestehende Normen und Geschlechterstereotypen. Drag hält der Gesellschaft einen Spiegel vors Gesicht und zeigt uns unter anderem die unrealistischen Schönheitsideale vor. Ich würde sogar so weit gehen, um zu sagen, dass Drag nicht nur Politik ist, sondern auch Aktivismus! Denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch die ganze Pride-Bewegung von einer Drag-Queen und Trans Person of Colour gegründet wurde.

Wie viel mehr, als nur ein verkleideter Mann steckt für dich hinter einer Drag-Queen?

Drag zeigt uns auch, wie wir bestehende Regeln immer wieder überdenken und revolutionieren müssen. Früher verstand man unter «Drag» bloss Männer, die sich auf der Bühne als Frauen ausgaben. Heute ist «Drag» offen für alle Geschlechter, Sexualitäten und Ausdrucksformen.

29. Oktober 2020

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