Die «Berliner Zeitung», «Süddeutsche Zeitung» und «Die Welt» haben in den letzten Tagen Artikel veröffentlicht, in denen sie das Interview mit Sophie Passmann, beziehungsweise die Reaktionen darauf thematisieren. In der Schweiz, wo der Artikel erschienen ist, wird wenig darüber gesprochen.
Auch in den sozialen Medien finden diesbezüglich praktisch nur Diskurse in deutschen Bubbles statt. Die Gründe dafür können verschieden sein; ob es nun daran liegt, dass Passmanns Leserschaft zum grössten Teil aus Deutschland stammt oder doch, dass vielleicht viele Schweizer Leser:innen mit dem Inhalt einverstanden sind – beides möglich.
Trotzdem kommen einige Fragen auf: Wie rechtfertigt die Annabelle, ein sehr einflussreiches Magazin, so ein Interview in dieser Form abzudrucken? Und dürfen berühmte Personen eigentlich alles sagen? Können wir Kritik stets mit «Neid» begründen?
Das Interview ist interessant. Sophie Passmann, 28, ist Autorin und Comedienne, neuerdings auch Influencerin. Sie ist Feministin und schrieb unter anderem das Buch «Alte weisse Männer: Ein Schlichtungsversuch». «Männerwelten», eine 15-minütige Sequenz zum Thema sexuelle Belästigung, welche bei «Joko & Klaas» ausgestrahlt wurde, gewann den Grimme Preis, welcher als renommiertester Medienpreis Deutschlands gilt.
Passmann ist erfolgreich, doch dieser Erfolg scheint ihr, wie so manchen, zu Kopf gestiegen zu sein. Im Interview finden sich aussagen wie: «Mittlerweile nehme ich aber an, was Menschen mir sagen, die mich trösten wollen: „Die ist nur neidisch“. Das ist natürlich nicht immer, aber tatsächlich öfters wahr.» Oder: «Andere Bücher schreibende Feministinnen gehen mich gar nicht deswegen an, weil sie wirklich glauben, dass alles, was ich schreibe, das Schlimmste auf der Welt ist, sondern weil sie insgeheim hoffen, dass wer sich als Anti-Passmann positioniert, eine Passmann-Karriere machen kann.»
Sehr unreflektiert und gefährlich, Kritik als Neid abzutun. In diesem spezifischen Fall droht es, PoC Feminist:innen den Mund zu verbieten. Doch Passmann ist nicht die erste und gewiss nicht die letzte Person des öffentlichen Lebens, die sich als unantastbar sieht. Das Narrativ zieht sich übrigens konsequent durch das ganze Interview.
Doch nebst Eitelkeit, zu der sie steht, macht Passmann weitere Aussagen, die besonders viel Kritik hagelten. Beispielsweise sagt sie: «Meine Kritiker:innen sind gleichzeitig Fans der Autor:in Hengameh Yaghoobifarah.» Eine non-binäre Autor:in, Kolumnist:in und laut Passmann eine Kommiliton:in. Weiter führt Sie aus, dass sie zeitweise sogar mit ihr befreundet war. Eine fragwürdige Aussage, besonders wenn wir die Werke von Hengameh Yaghoobifarah betrachten. Hengameh positioniert sich stark gegen Rassismus und Diskriminierung und ist eine wichtige Stimme für PoC und besonders PoC Frauen.
Auf Twitter dementiert Yaghoobifarah zudem die Aussagen von Passmann und hinterfragt diese: «Ich glaube ehrlich gesagt [auch] nicht, dass wir dieselben Texte gelesen haben, aber das kann ich nicht beurteilen. Wir haben aber definitiv nicht zusammen studiert und waren ganz bestimmt nicht „eine Zeit lang befreundet“. Finde Distanzierungen manchmal albern aber ich konnte diese white feminist audacity, sich mit ner Person zu schmücken, mit der sie nicht mal Friends war, sondern unkorrekt behandelt hat, nicht so stehen lassen. was soll das auch heissen, meine „Fans“ seien ihre „Kritiker:innen“? dass vor allem queere/rassifizierte/linke Leute sie kritisieren? Überrascht sie das?»
Auch andere bekannte Persönlichkeiten äusserten sich zum Interview: Julian Reichelt, Ex-Bild-Chef der Skandal nach Skandal nach sich zog, twitterte am 18.07.2022: «Dass Sophie Passman zum ersten Mal in ihrem Leben etwas wirklich Kluges gesagt hat, erkennt man daran, wie ihre eigene Bubble jetzt auf sie losgeht und sie zerfleischt». Zuspruch von Reichelt kann selten etwas Gutes heissen.
Auch zum Thema Repräsentation hat Passmann eine starke Meinung: Sie findet Repräsentation schwierig, da es «bestehende Strukturen weiter zementiert, statt zu dekonstruieren.» Ich glaube zu wissen, was Passmann damit meint. Einzelne Repräsentationen können gefährlich sein, weil sie eine ganze Menschengruppe im Auge ignoranter Betrachter:innen in ein schlechtes Licht rücken können, doch Passmann verallgemeinert fälschlicherweise und denkt das Thema Repräsentation nicht zu Ende.
Während dem zweiten Aufmarsch der Black Lives Matter Proteste nach dem Tod von George Floyd, hat die SRF Arena Sendung vom 12.06.2020 «Jetzt reden wir Schwarzen» für Diskussionen gesorgt. Denn es war in der Hauptrunde genau ein Poc Mann dabei, der sich selbst an gefährlichen Narrativen bedient hatte. Zudem wurde nicht wirklich über Rassismus diskutiert, sondern dessen Bestehen in der Schweiz offenkundig angezweifelt.
Diese problematische Sendung warf viele Fragen zum Thema Repräsentation auf. Denn eine einzelne Person kann keine ganze Gruppe repräsentieren. Auch die Ombudsstelle ist zum Schluss gekommen, dass die Sendung nicht sachgerecht besetzt war. In diesem spezifischen Fall ist die Repräsentation gescheitert.
Doch das bestätigt Passmanns Aussage nicht, sondern zeigt, wie gefährlich und falsch sie ist. Mehr Repräsentation, mehr Sprachrohre und mehr Zuhören ist besonders im Zusammenhang mit Rassismus und Sexismus enorm wichtig. Es reicht nicht eine:r Repräsentant:in das Wort zu überlassen. Es gibt keine Menschengruppe, die ein Monolith ist. Fehlende Repräsentation unterstützt jedoch diesen Denkfehler.
Sie bremst aber nicht, meint dass Kriterien wie: «Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein?» gewisse PoC Aktivist:innen dazu legitimieren, als Repräsentant:innen einzustehen. «Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben.» – wieder fragwürdig: Was heisst hier funky? Und wie bestimmt sie, was gute Repräsentation ist? Es sollte doch klar sein, dass die Debatte rund um das Thema Rassismus nicht von Weissen geführt werden kann, diese jedoch helfen müssen, Betroffenen eine Plattform zu bieten. Sie schiesst klar gegen PoC Feminist:innen, welche massgeblich zu Passmanns Erfolg beigetragen haben.
Sophie Passmann hat sich inzwischen für Ihre Aussagen entschuldigt, nicht wirklich ausreichend und eher schlecht als recht. Doch eigentlich geht es in diesem Artikel nicht um sie alleine, sie dient nur zur Repräsentation einer gewissen Gruppe: Menschen, deren Erfolg es zulässt (in der Schweiz) Aussagen zu tätigen, die gefährlich sind und in dieser Form nicht publiziert werden sollten. Weisse Feminist:innen, die sich auf ihren Erfolgen ausruhen, ohne für Menschen einzustehen, denen Sie ihren Erfolg verdanken. Wieso stellte die Journalistin der Annabelle keine Gegenfragen zu den schwierigen Aussagen? Fehlt auch dort das Bewusstsein zum Thema White Feminism und gefährlicher Arroganz?
Tatsache ist, dass Passmann ihren Erfolg auch PoC Feminist:innen zu verdanken hat. Diese so ins schlechte Licht zu rücken, bekräftigt andere Feminst:innen die Augen vor intersektionalem Feminismus zu verschliessen. Normalerweise leiden besonders Old-School Feminist:innen an diesem Problem, doch offensichtlich ist auch Vorzeige-Feministin Passmann nicht immun gegen Ignoranz.
Es ist wichtig, Aufmerksamkeit zu schaffen, dass Kritik an erfolgreichen Menschen nicht gleich Neid ist. Dass auch Personen, die viel Gutes getan haben, nicht fehlerfrei sind, und diese Fehler klar angesprochen und hinterfragt werden müssen, wenn diese Gefahr laufen problematische Narrative zu verbreiten.
Und zum Schluss noch unser Appell an andere Zeitschriften und Medienhäuser: Klare Stellungnahme bei Publikation, intern mehr Bewusstsein schaffen zu Themen wie Intersektionalität. Und wer an dieser Stelle denkt: «es kann auch mal gut sein», ist Grund, wieso wir dieses Bewusstsein auch heute hier noch schaffen müssen.
21. Juli 2022