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Der grösste Feind der Frauen

Neulich wurde ich mit der Aussage konfrontiert, der grösste Feind der Frauen, seien sie selbst. Nach Jahrzehnten, wahrscheinlich Jahrhunderten des Gleichstellungskampfes scheint nun der wahre Stein im Weg der Frauen festgestellt. Ist dem so?

Von Sina Schmid

Nein. Ich warte jetzt nicht bis nach meiner Argumentation, um meine Meinung zu definieren. 

In meinem Arbeitsumfeld (nicht akut Mag, obviously) wurde ich in den letzten Wochen mehrfach mit der Aussage konfrontiert, der grösste Feind der Frauen, seien sie selbst. Dieser Satz hat mich irritiert. 

Ich glaube zu verstehen, was damit gemeint ist. Frauen werden oft als missgünstig und gar eifersüchtig im Zusammenhang mit anderen Frauen dargestellt. Besonders in fiktiven Werken, ob Film oder Schrift, wird gerne ein Vermögen mit dieser Story-Line geschafft. Natürlich findet sich auch der Gegenspieler dazu. Aber der Plot «Frauen, die sich nichts gönnen und für die gleiche Stelle oder um den gleichen Mann gegeneinander kämpfen?» Das ist nichts Neues. 

Selbstverständlich ist das Ganze oft nicht fiktiv, sondern ziemlich realistisch. Erfolgreiche Frauen, deren Charakter von vielen in den Dreck gezogen wird, Gerüchte und Missgunst; oft beteiligen sich andere Frauen am Klatsch. Ein unterstützendes «du bist sowieso hübscher als sie» von der besten Freundin, wenn der Ex eine Neue hat. Kleine und grosse Sticheleien, um andere Frauen schlecht zu reden. 

Oder noch schlimmer, «Pick-me-girls» die ganz allgemein subtile aber klar negative Aussagen über alle anderen Frauen machen. «Ich bin nicht wie andere Frauen, ich schminke mich fast nicht», «Ich bin nicht wie andere Frauen, ich bin nicht so eifersüchtig» und so weiter und so fort, als wäre «wie andere Frauen» zu sein etwas Negatives, von dem man sich distanzieren und öffentlich dagegen aussprechen sollte. 

Dennoch stellt sich mir die Frage: Tragen wir Schuld an der ungleichen Stellung der Geschlechter? 

Ich beziehe mich wieder auf das erste Wort des Artikels: Nein. Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Staaten der Welt auf einem patriarchalen System basieren, fällt es mir schwer vorzustellen, dass schlussendlich doch wieder die Frau schuld an ihrem eigenen Leid trägt.

Ich denke, in der Schweiz ist es einfacher, solche Aussagen zu treffen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Ungleichstellung oft nicht offensichtlich, manchmal gar inexistent scheint. Zudem kommen diese Sticheleien von Frauen gegen Frauen besonders Männern entgegen: Während wir uns gegenseitig runterziehen, können sie gelassen Berge erklimmen. Des Weiteren legitimiert es Männer, jegliche Verbesserungsvorschläge und Vorstosse niederzuschmettern, wenn sogar Frauen behaupten, dass wir unser eigenes Problem sind. Sprich: es liegt nahe, dass Frauen denken, dass wir selbst an der Ungleichstellung schuld sind. Und auch wenn es stimmt, dass diese Kommentare nur kontraproduktiv sind, werden sie wahrscheinlich nicht der Grund sein, wieso wir zurzeit noch keine komplette Gleichstellung der Geschlechter erreichen konnten.

Stellen wir uns die Frage, wieso sich Frauen selbst im Weg stehen, findet sich die Diagnose der Krankheit «Ungleichstellung» nicht etwa kurzerhand beim Symptom vom gemeinsamen Zurückhalten, sondern viel früher in jahrelang gehörten Aussagen von Männern, Staaten und ganzen Gesellschaften.

Ein gutes Beispiel ist das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Wenn wir über das Frauenstimmrecht in der Schweiz sprechen, welches im letzten Kanton erst 1990 angenommen wurde, höre ich oft, ausschliesslich von Männern, die Aussage: «Ja, aber es gab auch viele Frauen, die sich aktiv gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen haben!» Natürlich. Und diese Aussage als Argument zeigt mir ein fehlendes Verständnis von patriarchalen Strukturen. 

Wenn dir ein ganzes Leben lang gesagt wird, dass Männer und Frauen nicht gleich schlau, nicht gleich objektiv und nicht gleich fähig sind? Dann gleicht es einer kleinen Revolution, diesen Aussagen und Taten keinen Glauben zu schenken. Entsprechend macht es Sinn, dass auch viele Frauen ihre Mühe damit hatten, dass plötzlich Frauen die Mitverantwortung in der Regierung eines Landes tragen. Rollenbilder, unter anderem diese, will der New-Wave-Feminism brechen. Dass Frauen ein schönes Zuhause schaffen können, jedoch in der Politik und männerlastigen Arbeitswelt nichts zu suchen haben. Auch viele Frauen halten vehement an dieser Vorstellung fest. Das wäre ein Symptom, nicht jedoch die Ursache.

Es ist übrigens nichts an traditionellen Rollenbildern auszusetzen, solange diese von den Personen frei gewählt und ihnen diese nicht als selbstverständlich verkauft und aufgezwungen wurden.

Schlussendlich ist es sowieso nicht schön, schlecht über andere Menschen zu sprechen. Klar, Gossip ist unterhaltsam, solange er anderen nicht schadet. Misogynie macht auch vor Frauen keinen Halt, und ich durfte leider schon mit vielen frauenfeindlichen Frauen Bekanntschaft machen. 

Die Missstände der Frauen auf ihren Rücken zu binden, scheint mir jedoch gar einfach und ziemlich gefährlich. Diese Lizenz zum tolerieren und gar fördern der aktuellen Strukturen ist zwar billig, kostet aber viele Frauen sehr viel. Deshalb rate ich, besonders den Old School Feminist:innen, die eigene Haltung und Meinungen zu überdenken und mit gewissen Aussagen besonders vorsichtig zu sein. 

Und allen anderen Menschen lege ich die Gönner:innen-Mentalität ans Herz: Es ist doch schön, wenn es anderen gut geht. Ehrlicher und verdienter Erfolg ist bewundernswert, nicht beneidenswert.

13. Februar 2023

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