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An meiner Uhr wird nicht gedreht

Ende März war es wieder so weit: Die Uhren wurden vorgestellt und die Nacht war für alle eine Stunde kürzer. Ausser für mich. Ich entschied mich bewusst dafür, dieses Jahr nicht mehr mitzumachen und weiterhin in der Normalzeit zu leben. Und mal ganz abgesehen von den gesundheitlichen Vorteilen, schult das bisschen Rechnen im Alltag sicher die Achtsamkeit.

Von Janine Friedrich

Wir alle haben von Geburt an eine ganz individuell gestellte innere Uhr, die durch unsere Gene geprägt ist. Genauer gesagt haben wir sogar mehrere innere Uhren: Sie sind zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten aktiv, steuern lebensnotwendige Körpervorgänge und beeinflussen, wann wir am leistungs- und lernfähigsten sind. Licht und Dunkelheit helfen unserer inneren Hauptuhr dabei, sich an den von der Erde vorgegebenen 24-Stunden-Takt anzupassen. Und so findet sich dieser Rhythmus in all unseren Zellen wieder. Von Mensch zu Mensch aber ist dieser Takt ganz verschieden. Wir ticken eben doch nicht alle gleich.

Trotzdem wird oft behauptet, dass die optimale Schlafdauer zwischen sieben und neun Stunden liegt. Doch so pauschal lässt sich das gar nicht sagen. Zudem ist die tatsächliche Spanne weitaus grösser: Laut Till Roenneberg von der LMU München liegt sie zwischen drei und zwölf Stunden. Mein persönliches Pensum liegt, wie ich herausgefunden habe, zwischen acht und dreizehn Stunden. Je nach Zyklusphase und allgemeiner Verfassung brauch ich mal mehr, mal weniger Regeneration, um meine körperlichen und mentalen Energiespeicher wieder aufzufüllen. Auch die Chronobiologie zeigt, dass das optimale Schlafpensum von Person zu Person sehr individuell ist und von vielen Faktoren abhängt. Allgemein brauchen Kinder und Jugendliche im Wachstum mehr Schlaf als Erwachsene. Doch das Schlafbedürfnis ist nicht nur alters-, sondern auch geschlechts- und jahreszeitenabhängig. Frauen benötigen durchschnittlich zehn bis zwanzig Minuten mehr Schlaf als Männer. Grund dafür sind die natürlichen hormonellen Veränderungen, die wir während unseres monatlichen Zyklus durchlaufen. Weiterhin fliessen der allgemeine Gesundheitszustand und die Gewohnheiten einer Person mit ein, wenn es darum geht, wie viel Schlaf der Körper braucht.

Ob wir also früh am Morgen topfit sind oder nur schwer aus dem Bett kommen, ist genetische Veranlagung. Am optimalsten für die Gesundheit ist es natürlich, wenn der Tagesablauf auf das individuelle Ticken der inneren Uhr angepasst ist und man im Einklang mit dem persönlichen Chronotyp lebt. Der kann über einen Bluttest oder einen RNA-Haartest am Berliner Charité (entwickelt vom Chronobiologen Achim Kramer) bestimmt werden, indem untersucht wird, welche Gene bei einer Person zu welchen Tageszeiten aktiv sind.

Was das jetzt alles mit der Sommerzeit zu tun hat? Sehr viel!

Klar, die Sommerzeit klingt erstmal reizvoller als die Winterzeit. Doch in erster Linie sind es die Jahreszeiten Frühling und Sommer, die uns durch die steigenden Temperaturen, die längeren Sonnenstunden und die erblühende Natur, verstärkte Glücksgefühle bescheren und unsere Stimmung heben. Doch Fakt ist: Die Sommerzeit bringt durch das künstlich herbeigeführte Vorstellen der Uhr unseren natürlichen Biorhythmus aus dem Takt (eventuell noch mehr, als er es eh schon ist). Bisher geschieht das jedes Jahr aufs Neue für ganze sieben Monate lang, weil es das Gesetz so will. Sieben Monate, die der Körper entgegen seiner Natur arbeitet und die innere Uhr auf den Kopf gestellt wird. Vielen ist dabei nicht bewusst, dass sie sieben Monate lang tatsächlich eine Stunde eher aufstehen, als normal. Arbeit und Schule beginnen in dieser gesamten Zeit noch eine Stunde früher. Die Uhr ist halt nur vorgestellt, wodurch es nicht auffällt. Gekonnt ist somit die Illusion im Gehirn geschaffen, dass alles normal sei. Unsere Zellen sind aber nun einmal schlauer als wir. Selbst, wenn wir nicht unbedingt merken, dass die Sommerzeit uns irgendwie schadet, so wird still und leise unser chronobiologischer Rhythmus aus dem Takt gebracht und Körperfunktionen werden gestört. Bei einer dauerhaften Sommerzeit wäre das noch viel fataler.

Viele repräsentative Studien belegen zudem, dass besonders in den ersten drei Tagen nach der Umstellung auf die Sommerzeit die Zahl der Verkehrsunfälle und Herz-Kreislauf-Probleme stark zunehmen. Gemessen über einen Zeitraum von zehn Jahren, stiegen in dieser Phase zum Beispiel Herzinfarkte um ganze 20 Prozent an. Als weitere häufige Symptome sind Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Einschlafprobleme, eine schlechtere Konzentration und sogar depressive Verstimmungen vertreten. Wird die Uhr wieder auf die von der Natur vorgegebenen Normalzeit, also die Winterzeit, umgestellt, findet sich hingegen keine solch drastische Zunahme gesundheitlicher Probleme und Gefahren. 

Schlafforscher:innen und Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass eine Rückkehr zur dauerhaften Normal- also Winterzeit die beste Lösung ist. Auch die Chronobiologin Eva Winnebeck weiss, dass eine dauerhafte Sommerzeit erhebliche Konsequenzen für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der ganzen Gesellschaft hätte. So würde sich bei einem fortwährenden Leben entgegen der natürlichen Uhrzeit, wie eben während der Sommerzeit, der allgemeine Gesundheitszustand des Menschen langfristig verschlechtern. Eine weitere Folge wäre das steigende Krebsrisiko und das vermehrte Auftreten von Depressionen und chronischem Schlafmangel.

Thema Energie: Inzwischen ist das Argument des Strom-Sparens während der Sommerzeit sehr klar widerlegt. Der Effekt ist gering. Wobei es noch immer Artikel gibt, die uns auf der Basis von amerikanischen Studien (die sich jedoch nicht so einfach auf unsere europäischen Verhältnisse übertragen lassen) vom grossen Energie-Spar-Effekt durch die Zeitumstellung überzeugen wollen. Und selbst wenn wir durch die siebenmonatige Sommerzeit Energie einsparen, geht uns Menschen die Energie auf anderer Ebene trotzdem flöten – und zwar durch die zahlreichen Nachteile für Körper und Geist. Macht das Sinn? Nicht wirklich. Die Massnahmen, die uns also beim Klimaziel tatsächlich helfen können, sollten sich meiner Meinung nach nicht noch zusätzlich negativ auf unsere Gesundheit auswirken, sondern sie eher fördern.

Das alles sind also Gründe, weswegen ich mich bewusst dafür entschieden habe, die Normalzeit einfach beizubehalten und der Sommerzeit, noch vor einer möglichen gesetzlichen Verabschiedung, ade zu sagen. Bevor ich jetzt dazu komme, wie sich meine Rechnerei im Alltag so gestaltet und ob ich dadurch achtsamer geworden bin, möchte ich kurz noch geschichtlichen Zusammenhang einwerfen, des Verständnis wegen:

Fünf Zürcher Bauern kämpften damals für die Normalzeit

Die erste Sommerzeit, welche damals von Mai bis Oktober dauerte, gab es in der Schweiz im Jahr 1942. Dabei hat sich die Schweiz an Deutschland orientiert, wo die Sommerzeit zwei Jahre zuvor aufgrund des Zweiten Weltkrieges eingeführt wurde. Doch eine offizielle für die Schweiz geltende gesetzliche Regelung sollte es erst 1977 geben. Und das nicht nur für die Schweiz: In ganz Europa sollte eine einheitliche Zeiten-Regelung herrschen. Nachdem dann Ende März 1977 in Frankreich die Nacht das erste Mal eine Stunde kürzer war, kam es auch hierzulande zu Diskussionen über die Einführung der Zeitumstellung. Fünf Zürcher Kleinbauern waren sich jedoch einig, dass die Sommerzeit schlichtweg unnatürlich sei und reichten ein Referendum ein. Daraufhin entschied sich die Mehrheit der Schweizer Stimmbürger:innen nach einer Volksabstimmung mit etwas mehr als 80 Prozent sehr eindeutig gegen die Sommerzeit. Das Gesetz für die Zeitumstellung in der Schweiz wurde schliesslich 1978 verworfen.

Als dann in Deutschland aufgrund der EU-Regelung 1980 die Sommerzeit eingeführt wurde, wurde die Schweiz zur Zeitinsel von Europa. In den Nachbarländern wurde die Uhr im Frühjahr vorgestellt, wohingegen die Schweizer Uhrenwerke wie gewohnt tickten. Dieser kleine, aber feine Unterschied brachte einiges ins Rollen: Die Schweizerische Bundesbahn SBB fuhr sechs Monate lang nach einem Notfahrplan, woraus sich Kosten von 15 Millionen Franken ergaben. In vielen grenznahen Betrieben galt die deutsche Zeit als Standardzeit, in anderen gab es Sonderschichten für Grenzgänger:innen. Die Pendler:innen bewegten sich nun nicht nur zwischen zwei Ländern hin und her, sondern auch innerhalb unterschiedlicher Zeitzonen. Entgegen dem Willen des Volkes wurde schliesslich im darauffolgenden Jahr, 1981, auch in der Schweiz die Sommerzeit gesetzlich eingeführt. Grund dafür waren vor allem die aufwändigen und kostspieligen Anpassungen, die sich aufgrund der Zeitdifferenz zu den Nachbarländern für die Schweiz als Zeitinsel ergaben. Heute sind immer mehr Schweizer:innen für die Abschaffung der Zeitumstellung. Geplant war die Aufhebung bereits für das Jahr 2021, doch die Pandemie kam dazwischen und die 27 EU-Mitgliedsstaaten waren sich sowieso noch nicht einig bezüglich der neuen Zeitenregelung. Sollte es jedoch in der EU zu einer Abschaffung der Zeitumstellung (und hoffentlich der Rückkehr zur dauerhaften Normalzeit) kommen, wird die Schweiz im eigenen Interesse des Landes wahrscheinlich mitziehen. Denn ansonsten würde sie wieder zur einzigen und teuren Zeitinsel in Mitteleuropa werden.

Das dauert mir zu lang: Ich werd jetzt zur Zeitinsel

Wann sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten tatsächlich entscheiden und einigen, steht also noch in Sternen. Mich davon abhängig zu machen, wollte ich auch nicht mehr. Deshalb entschied ich für mich, es einfach zu probieren mit der dauerhaften Normalzeit. Dazu brauche ich schliesslich keinen teuren Notfahrplan, sondern einfach etwas mehr Köpfchen und Achtsamkeit im Alltag, wenn ich selbst zur Zeitinsel werde. Trotzdem, ein paar Veränderungen gingen mit dieser Entscheidung auch für mich einher: Dass sich Handy und Laptop automatisch umstellen, hatte ich bereits einige Tage vor der Zeitumstellung deaktiviert. Meine analoge Uhr bestätigte mir dann, dass es funktioniert hat. Zur Vorbereitung gehörte für mich zudem, dass ich bei allen bereits feststehenden Terminen die Zeiten umrechnete. Ich zog also überall eine Stunde ab und schrieb immer das Kürzel NZ (für Normalzeit) dahinter, damit ich nicht durcheinanderkomme. Denn es wär schon sehr unpraktisch, wenn ich im Nachhinein nicht mehr weiss, ob ich es schon umgerechnet hab oder nicht. Zuspätkommen sollte also im Normalfall nicht passieren. Das Mich-Mental-Darauf-Einstellen ist dann irgendwie nebenbei passiert. Ich wusste nun schon länger, dass ich meine Uhr nicht umstellen werde und redete auch mit anderen darüber. So weit, so gut. 

Bei mir, das heisst bei ganzjähriger Normalzeit, geht also diesen Sommer am 21. Juni die Sonne um etwa 04:30 Uhr auf und um etwa 20:30 Uhr unter. Das ist der frühste Sonnenaufgang und der späteste Sonnenuntergang des Jahres. So, wie es die Natur vorgesehen hat. Es wird im Sommer zwar sehr früh hell, doch dafür sind wir eben auch aktiver als im Winter. Und abends ist es für mich trotzdem lang hell, wenn die Sonne etwa um halb neun untergeht. Reicht doch. Will ja auch noch Sterne beobachten. Und im Vergleich zum Winter ist es noch immer ganze drei Stunden länger hell. In der Sommerzeit wären es halt vier, aber wir müssen ja nicht übertreiben.

Als es dann so weit war, fühlte sich für mich zunächst alles normal an. Ganz so, wie es sich für die Normalzeit eben gehört. Alle anderen lebten von jetzt bis Oktober in der gesetzlich verordneten Illusion. Ich musste mir deshalb darüber bewusst werden, was das für meinen Alltag bedeutet: Nämlich Achtsamkeit an! Termine, die ich innerhalb der letzten zwei Wochen neu abgemacht habe, hab ich immer direkt im Kopf umgerechnet und so notiert, trotzdem mit meinem Kürzel. Das klappt super. Auch mache ich, wenn möglich keine 8-Uhr-morgens-Termine ab, denn das wär ja dann bei mir um sieben. Um die Zeit steh ich meist erst auf, wenn nicht sogar erst gegen acht (weil meine Gene das so brauchen!) Da ich arbeitszeittechnisch momentan und glücklicherweise sehr flexibel bin, kann ich super auf meine innere Uhr hören und mir den Tag so einteilen, wie es für mich am besten passt.

Beim Treffen abmachen mit Freunden hätte ich mich tatsächlich schon zweimal fast vertan. Hab mich aber gerade rechtzeitig daran erinnert. Trotzdem hat sich jemand darüber gewundert, warum ich ihn fünf Minuten nach 14 Uhr frage, ob wir uns um 14 Uhr treffen wollen. Naja, passiert – aber auch nur dann, wenn ich gerade nicht achtsam bin. Ich muss halt wirklich, wenn es um irgendwas geht, was mit Zeiten zu tun hat, auf dem Schirm haben, dass ich rechnen muss. Aber das wird schon noch mehr Routine, ist schliesslich eine Übungssache. Und ein paar Fails müssen auch drin sein während den sieben Monaten (ich rechne sogar damit, das mach ich ja jetzt öfters). Dann bleibts noch ein bisschen spannender. Ansonsten: Freund:innen, die mich besuchen, hole ich nach meiner Zeit eine Stunde eher am Bahnhof ab. Öffnungszeiten von Geschäften tangieren mich eher weniger. Nach meiner Zeit machen momentan alle Läden eine Stunde eher auf und eine Stunde eher zu. Kann manchmal praktisch, manchmal unpraktisch sein. Aber das ist ja auch sonst so. Was sicherlich mal noch eine richtige Achtsamkeits-Challenge wird, ist das Bahnfahren. Vor allem mit mehrmaligem Umsteigen und möglicher Verspätung. 

Interessant wird es vor allem dann, wenn die Sommerzeitler:innen wieder zu mir auf die Normalzeit-Insel zurückkehren. Ab dann muss sich mein Hirn die angewöhnte Rechnerei wieder abtrainieren. Was bleibt ist aber auf alle Fälle die Achtsamkeit, denn die benötige ich dazu auf jeden Fall.

09. April 2023

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