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Eine bittersüsse Romanze mit der Nostalgie

Nostalgie ist meine alte, wenn auch ein bisschen verhasste Lieblingsfreundin der Zeit. Sie hält mich in der Nacht wach, lässt mich in vergangenen Zeiten schwelgen und zeigt mir auf, dass alles vergänglich ist. Was passiert, wenn man zu fest dem Vergangenen nachtrauert und wie eng sind Nostalgie und Melancholie verknüpft?

Von Michèl Kessler

Momente, die längst vergangen sind. Augenblicke, die man nicht noch einmal durchleben kann, sondern nur auf Fotos, Videos oder ins Gedächtnis gemeisselt existieren. Abschnitte vom eigenen Leben, die einem so präsent, aber gleichzeitig auch so fern erscheinen.

Ich war schon immer ein nostalgischer Mensch, kann vergangene Highlights von meinem Leben stundenlang Revue passieren lassen, ohne dass mir langweilig wird. Eine bittersüsse Romanze, die ich mit der Nostalgie teile. Bitter, weil die Vorstellung, dass ich während meiner Schulzeit meine besten Freund:innen jeden Tag um mich hatte, und ich diese nun vielleicht noch sechs Mal im Jahr sehe, mich traurig macht. Bitter, weil Weihnachtsfotos, die mich lachend als kleiner Junge mit meinen da noch lebenden Grosseltern zeigen, nachdenklich machen. Bitter, weil ich nur noch älter werde und die 30 schon längst näher als die 16 ist.

Aber eben auch süss. Süss, weil ich mich so in vertrauten Erinnerungen wiegen kann, auch wenn es stressig und hektisch wird. Süss, weil ich merke, wie weit ich gekommen bin. Süss, weil ich mich glücklich schätzen kann, dass ich überhaupt so wunderschöne Erinnerungen habe, die in mir eine Sehnsucht auslösen.

Nicht selten lege ich nach diesen Sessions, in denen ich stundenlang alte Dateien durchforste, nach einigen gutmütigen Seufzern das Smartphone wieder weg und eine bedrückte Stimmung macht sich in mir breit. Ich denke an die tollen Menschen, mit denen ich Erinnerungen teile, Lacher und Tränen, die mir noch so präsent sind, als wäre es erst gestern gewesen.

Eine unbestimmte Sehnsucht, die danach lechzt, Durchlebtes nochmals zu durchleben. Leider geht das nicht, also müssen es die Minuten, in denen ich dann intensiv an das Geschehene zurückdenke, wettmachen. Aber was steckt genau hinter diesem Gefühl, das uns mit Erinnerungen an die Vergangenheit verbindet? 

Die Subjektivität der Nostalgie

Nostalgie ist ein komplexes und multidimensionales Gefühl, das durch die Erinnerung an vergangene Erfahrungen ausgelöst wird. Es ist oft beschrieben als eine Art Sehnsucht oder Wehmut nach der Vergangenheit und kann zwar vermehrt positive, aber auch negative Emotionen hervorrufen.

Das subjektive Gefühl der Nostalgie kann von Person zu Person unterschiedlich erlebt werden und ist daher auch nur schwer zu verallgemeinern. So empfinden einige Menschen Nostalgie, wenn sie an ihre Kindheit denken und an die Abenteuer, die sie in ihrer Jugend erlebt haben. Andere haben vielleicht nostalgische Gefühle, wenn sie an eine bestimmte Person oder eine besondere Beziehung in ihrem Leben denken. Nicht selten empfindet man auch Nostalgie für bestimmte Orte, Gerüche, Festtage oder sogar Veranstaltungen.

Nostalgie kann auch in Bezug auf Kultur und Popkultur auftreten. Menschen können sich an Filme, Musik, Fernsehsendungen und Computerspiele erinnern, die sie früher einmal geliebt haben und die für sie eine besondere Bedeutung haben.

In Bezug auf die psychische Gesundheit gibt es verschiedene Ansichten darüber, wie Nostalgie unsere mentale Verfassung beeinflusst. Einige Wissenschaftler:innen glauben, dass Nostalgie eine positive Wirkung auf unsere psychische Gesundheit haben kann. Dabei geht die Annahme voran, dass wir uns in schwierigen Zeiten dank der Nostalgie besser fühlen, da wir so eine Verbindung zu unserer Vergangenheit aufbauen und sich damit unbewusst der Gedanke manifestiert, dass unser Leben einen Sinn hat. Weiter gibt es die Vermutung, dass es uns auch helfen kann, die eigenen Emotionen zu regulieren und uns vor negativen Gedanken und Gefühlen zu schützen. 

Andere Wissenschaftler:innen glauben jedoch, dass zu viel Nostalgie uns davon abhalten kann, uns auf die Gegenwart und die Zukunft zu konzentrieren. Man kennt ja nicht umsonst das Sprichwort, dass man nicht der Vergangenheit nachtrauern soll, sondern im Hier und Jetzt leben muss. Einige Studien haben sogar gezeigt, dass Menschen, die häufig nostalgische Gefühle empfinden, ein höheres Risiko haben, an Depressionen oder Angstzuständen zu leiden. Die wirklich kritische Seite ist allerdings eine andere. Die Nostalgie hat nämlich noch eine böse Schwester: Die gute alte Melancholie.

Nostalgie ≠ Melancholie

Nostalgie wie auch Melancholie sind beides emotionale Zustände, die oft miteinander verwechselt werden, aber dennoch unterschiedlich sind. Fangen wir mit den Gemeinsamkeiten an: Beide können uns dazu bringen, uns an die Vergangenheit zu erinnern und uns danach zu sehnen. That’s it. Sie unterscheiden sich nämlich massiv in Bezug auf die Art und Weise, wie sie unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen.

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen Nostalgie und Melancholie ist nämlich, dass Nostalgie uns in der Regel dazu bringt, uns auf die positiven Aspekte unserer Vergangenheit zu konzentrieren, während die Melancholie uns dazu bringt, uns auf die negativen Seiten zu fokussieren. Während die Nostalgie uns eher sicherer und geborgener fühlen lässt, kann die Melancholie uns isoliert und traurig zurücklassen.

Es ist allerdings sehr wichtig zu erwähnen, dass sich die Melancholie nicht nur auf die Vergangenheit und diese Beispiele beziehen kann. Ein melancholischer Gemütszustand kann langanhaltend, geprägt von tiefer Trauer und ähnlich zu einer Depression sein.

Nostalgie und Melancholie haben somit auch beide eine Auswirkung auf unsere psychische Gesundheit. Die Nostalgie kann dabei helfen, uns emotional stabil zu halten, indem wir uns an die positiven Aspekte unserer Vergangenheit erinnern. Dass dies auch zu einer unschönen Sehnsucht führen kann, ist natürlich bei schönen Erinnerungen nicht selten der Fall. Es kann uns aber auch dabei helfen, uns mit anderen zu verbinden, indem wir uns mit alten Freunden über gemeinsame Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnisse unterhalten.

Die Melancholie hingegen hat eigentlich immer nur negative Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit. So kann sie uns dazu bringen, uns von der Gegenwart und Zukunft abzulenken und uns in Trauer oder Wehmut zu verlieren. Sie kann auch dazu führen, dass wir uns isolieren und von sozialen Aktivitäten zurückziehen.

Aber schauen wir uns das mit einem Beispiel an. Wenn ich melancholisch auf ein Bild mit einer verstorbenen Person reagiere, fokussiere ich mich auf die Trauer und halte mir vor Augen, dass dieser geliebte Mensch nie mehr bei mir sein wird. Reagiere ich hingegen eher nostalgisch auf die Erinnerung, trauere ich zwar auch der Person nach, der Fokus liegt aber beispielsweise auf schönen und gemeinsam erlebten Erinnerungen.

Ein natürlicher Bestandteil des Lebens

Natürlich reagiert jeder Mensch individuell auf Nostalgie und Melancholie. Zudem ist es auch ganz normal, beides zu durchleben. Wichtig ist es, dass man sich bewusst ist, welche Emotionen man gerade verspürt und dass man sich Hilfe sucht, wenn es notwendig ist. Eine Therapeutin oder ein anderer mentaler Gesundheitsexperte kann helfen, die Gefühle besser zu verstehen und zu lernen, wie man damit umgehen kann. 

Etwas steht allerdings unabhängig von der Perspektive fest: Nostalgie bleibt ein Teil unseres Lebens und unserer Identität. Es ist jedoch wichtig, eine ausgewogene Perspektive zu behalten und sicherzustellen, dass die Erinnerungen an die Vergangenheit uns nicht davon abhalten, den Fokus auf die Gegenwart und die Zukunft zu richten und neue Erfahrungen zu machen. Auch ich werde also in Zukunft weiter fleissig Bilder von schönen Momenten knipsen, um nostalgisch, aber mit einem zufriedenen Lächeln auf das Leben zurückblicken zu können.

02. Februar 2023

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