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Zwischen Hormonen und Hoffnungen: Mit IVF zu meinem Wunschkind

Was, wenn der Weg zur Schwangerschaft und zum Wunschkind nicht romantisch, sondern ein Prozess voller medizinischer Eingriffe und emotionaler Ausnahmezustände ist? Solche Geschichten verschwinden normalerweise hinter den Klinikwänden. Deshalb möchte ich nicht länger schweigen und meine Erfahrungen mit IVF teilen.

Von Tiziana Demasi

März 2023: Ich erwache aus der Vollnarkose. Wegen meines Kinderwunsches und meiner Endometriose musste ich eine Bauchspiegelung über mich ergehen lassen. Der Oberarzt und drei Assistenzärzt:innen stehen um mein Bett. Er sagt: Sie können auf natürlichem Weg keine Kinder mehr bekommen. Unfruchtbar. Mit 35. Ein Schlag ins Gesicht.

Ich fühlte mich ausgeliefert, hilflos, traurig und wütend. Dass die Endometriose mir das Schwangerwerden nicht leicht machen würde, war mir klar, mein Freund und ich versuchten schliesslich nicht erst seit gestern, ein Kind zu bekommen. 

Nach der Diagnose probierten wir es trotzdem noch ein Jahr auf natürlichem Weg, mit optimiertem Verkehr. Ich musste also jeden Monat zum Gynäkologen, um per Ultraschall den Zeitpunkt des Eisprungs feststellen zu lassen, damit wir zu Hause zur richtigen Zeit Sex haben konnten. Eine Möglichkeit, über die uns mein Gynäkologe zudem aufklärte, war die künstliche Befruchtung durch IVF (In-vitro-Fertilisation). IVF, eine Behandlung, die uns so fern erschien, wurde plötzlich zu einer der einzigen Möglichkeiten, unseren Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen. Der Gedanke daran war surreal. Den Entschluss, den ersten Schritt in eine Kinderwunschklinik zu machen, fassten wir dann aber schnell, wir wollten keine Zeit verlieren. Doch der Entscheid war geprägt von finanziellen Sorgen, Unsensibilität im Umfeld und einem psychischen und physischen Auf und Ab.

Wir müssen lernen, verschiedene Lebensmodelle und -realitäten zu akzeptieren und dadurch den Druck, der auf Paaren oder Einzelpersonen mit oder ohne Kinderwunsch lastet, zu reduzieren. Ein respektvoller Umgang mit persönlichen Entscheidungen ist wichtig – und dieser beginnt im engsten Umfeld.

Ja, wir wollten unbedingt ein leibliches Kind – wir wollten aber auch, dass der Weg dahin respektiert wird. Auch wenn ich mich entschloss, offen über meinen Prozess zu sprechen, war es nicht immer einfach, diese Unsicherheit, diesen ständigen Zwiespalt zwischen Hoffnung und Zweifel mit der Welt zu teilen. Oft habe ich mich unverstanden und allein gefühlt. Manche gaben mir auch das Gefühl, dass ich übertreibe und dass es schon irgendwie klappen würde, man müsse nur Geduld haben. Ich kann mich noch gut erinnern, als eine Freundin eine Krise hatte, weil es seit zwei Monaten nicht klappte mit dem Schwangerwerden – sie wollte ein zweites Kind. Was soll ich denn sagen? Meine Wut gegenüber schwangeren Paaren stieg immer mehr und ich fing sogar an, Freundinnen mit Kindern bewusst aus dem Weg zu gehen.

Januar 2024: Wir reisten nach Deutschland für ein erstes Beratungsgespräch in der Kinderwunschklinik. Nach langer Überlegung haben wir uns aus finanziellen Gründen für eine Klinik in Deutschland entschieden.

Ich erinnere mich noch genau an das unangenehme Gefühl, das in mir aufkam, als wir im Wartezimmer sassen. Was machen wir hier eigentlich? In diesem Kinderwunschzentrum, das für so vieles steht, was ich eigentlich verachte: Dass es überhaupt nur für privilegierte Leute ist, die es sich leisten können. Dass man heiraten muss, damit die Krankenkasse die Hälfte der Kosten übernimmt – dies gilt jedoch nur für Deutschland. In der Schweiz übernimmt die Krankenkasse keinen einzigen Rappen. Die Preise für eine IVF in der Schweiz sind variabel und können bis zu zehntausend Franken betragen. Bei einer Erfolgsquote von etwa 20 Prozent ist es oft notwendig, den Eingriff zu wiederholen. Es gibt Paare, die für ihr Kinderglück einen Kredit aufnehmen. Zum Vergleich: In Belgien und Frankreich, die in Europa die grosszügigste Politik in diesem Bereich verfolgen, werden bis zum 43. Lebensjahr der Frau sechs Inseminationen und sechs bzw. vier IVF-Versuche bezahlt.

Ich wollte nie zu den Menschen gehören, die in der Fortpflanzung den Sinn des Lebens sehen. Kann ich nicht einfach so zufrieden sein? Warum will ich unbedingt ein leibliches Kind? Will ich das auf diesem Weg überhaupt noch? Früher stellte ich mir diese Fragen nie. Es war einfach Teil meiner Lebensplanung – irgendwann wird es schon passieren, dachte ich. Aber jetzt, wo es eben nicht einfach passiert ist, begann ich meinen Kinderwunsch zu hinterfragen. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto stärker schienen plötzlich die Argumente gegen Kinder: besser für das Klima, besser für die Welt.

März 2023: Trotz meiner inneren Unruhe begann die Stimulation der Eierstöcke. Zwei Wochen lang habe ich mir Hormone in den Bauch gespritzt. Dann eine Spritze in den Oberschenkel, um den Eisprung auszulösen, und dazu noch jede Menge Progesterontabletten. 

Die IVF-Behandlung ist ein Prozess, der den Körper in einen Zustand versetzt, der sich wie ein hormoneller Wirbelsturm anfühlt. Ich kam mir vor wie ein Versuchskaninchen – immer wieder Bluttests, Ultraschall, Spritzen. Eine Reise, die mehr Nerven und Geduld erforderte, als ich es je für möglich gehalten hätte. 

Nach diesen zwei Wochen fieberte ich meiner ersten Punktion unter Vollnarkose entgegen. Die Punktion bei der IVF ist ein Verfahren, bei dem die reifen Eizellen aus den Eierstöcken entnommen werden, um sie ausserhalb des Körpers mit Spermien zu befruchten. Durch die Hormonstimulation konnten mir die Ärzt:innen vier reife Eizellen entnehmen, was sich für mich aufgrund meines niedrigen AMH-Wertes (Anti-Müller-Hormon) wie ein Sechser im Lotto anfühlte – wenn man bedenkt, dass normalerweise 10-20 Eizellen reifen. Der AMH-Wert ist ein Blutwert, der Auskunft über die Eizellreserve einer Frau gibt. Er wird vor allem in der Fruchtbarkeitsmedizin verwendet. Ein hoher AMH-Wert deutet auf eine gute Eizellreserve hin, ein niedriger Wert auf eine geringe. Am Ende machten zwei Eizellen das Rennen. Wir entschieden uns, eine einzusetzen und die zweite Eizelle einzufrieren.

Nun hiess es warten. Zwei Wochen bis zum Schwangerschaftstest. Zwei Wochen, die mich fast in den Wahnsinn trieben. Dann der erste Misserfolg: ein blauer Strich im Fenster. Die Periode setzte ein und ich wusste, in einem Monat geht die Reise von vorne los. 

In der Zwischenzeit hatte ich mich mit alternativen Methoden zur Unterstützung beschäftigt und mich für die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) entschieden. Von nun an liess ich mich einmal pro Woche mit zusätzlichen Nadeln stechen und merkte, wie mein Körper zur Ruhe kam und ich Energie und neuen Mut schöpfte.

Mai 2023: Mir wurde die eingefrorene Eizelle eingesetzt, das war angenehmer, keine Spritzen, keine Narkose, der natürliche Zyklus wurde genutzt. Nun stand unseren Ferien in Griechenland nichts mehr im Wege. Ich war überzeugt, dass eine Woche Wärme und Meer die beste Medizin waren, um der eingesetzten Eizelle Ruhe und Zeit zu geben, sich gut in meiner Gebärmutter einzunisten. Wenige Tage vor Ferienende hielt ich den Schwangerschaftstest in der Hand und wieder: nicht schwanger. Ich heulte zwei Tage lang, der Rückschlag liess mich an allem zweifeln – an mir selbst, an meinem Körper und an der Behandlung. Die Wut auf die Ärzt:innen stieg: Warum kriegen die das nicht hin? Die sind doch da, um mir zu helfen!

Meine TCM-Therapeutin riet mir, mir und meinem Körper eine Pause zu gönnen, aber ich wollte weitermachen. Ich hörte mir zahlreiche Podcasts über Schwangerschaft an und erfuhr zum ersten Mal von «natürlicher IVF». Die natürliche IVF ist eine sanftere Form der künstlichen Befruchtung, die den natürlichen Zyklus der Frau nutzt, statt mit Hormonen die Eierstöcke zu stimulieren. Ziel ist es, mit möglichst wenigen Eingriffen eine Schwangerschaft herbeizuführen. Bitte was? Warum hat mir bisher kein Arzt oder keine Ärztin von dieser Möglichkeit erzählt, obwohl ich von Anfang an gegen Hormone war? Ich war wütend auf meinen Gynäkologen und die Klinik, überhaupt auf das ganze Gesundheitssystem. Beim nächsten Termin in der Klinik zur Besprechung der dritten Stimulation sprach ich meinen Arzt auf diese Form der künstlichen Befruchtung an und äusserte den starken Wunsch, nicht so weitermachen zu wollen wie bisher. Ich entschied mich für die sanftere Variante.

Mein dritter Versuch stand an. Irgendwie war ich diesmal ruhiger, ging liebevoller mit mir und meinem Körper um, konzentrierte mich nur auf mich. Ich habe Termine abgesagt und nur das gemacht, worauf ich Lust hatte. Fünf Eizellen wurden mir diesmal entnommen und alle befruchtet. Am Ende machte «nur» eine Eizelle das Rennen – in ihr lag meine ganze Hoffnung.

Da lag ich also wieder, in diesem kleinen OP-Saal, in dem alle Hoffnungen auf Wissenschaft, Medizin und Fortschritt ruhen. Eine Ärztin schob mir einen Katheter in die Vagina, in dem sich eine befruchtete Eizelle befand. Vielleicht unser zukünftiges Kind.

3. August 2024: Mein Partner und ich stehen im Badezimmer. Geschlafen habe ich kaum, so nervös war ich. Zum dritten Mal starre ich auf diesen Test, der in einer Minute unsere Welt verändern könnte. Und plötzlich erscheinen da zwei rote Striche. Ich kann es nicht fassen, packe sofort den zweiten Test aus. Wieder zwei Striche. Ende der Reise. Ich weine vor Freude, der ganze Druck fällt ab.

Mittlerweile bin ich in der 27. Schwangerschaftswoche und aus der befruchteten Eizelle ist ein heranwachsendes, gesundes Baby geworden. 

Die Reise zum leiblichen Wunschkind war eine der intensivsten Erfahrungen meines Lebens – körperlich, emotional und psychisch. Während der Kinderwunschbehandlung fühlte ich mich oft wie ein Rädchen in einer endlosen Maschinerie. Ich wurde zu einer Nummer, zu einer Statistik – die Hoffnung und die Ängste verschwinden hinter den Klinikwänden. Das ständige Warten, der Druck, der von der nächsten Behandlung ausgeht, und die konstante Auseinandersetzung mit den eigenen Wünschen, Erwartungen und Ängsten haben mich fast zerrissen. Die Behandlung hat mich an meine Grenzen getrieben, mir mehr abverlangt, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Doch gleichzeitig hat sie mich gelehrt, nicht nur auf meinen Körper zu hören, sondern auch auf mein Herz. Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, nicht immer die Kontrolle zu haben, dass es in Ordnung ist, Hilfe anzunehmen und die eigene Verwundbarkeit zuzulassen. 

Ohne die Reproduktionsmedizin wäre der Wunsch nach einem leiblichen Kind für uns unerreichbar geblieben. Ich hoffe, dass meine Geschichte anderen Frauen mit demselben Wunsch Mut macht, den eigenen Weg zu gehen, egal wie dieser aussieht, und sich nicht von äusseren Normen und Erwartungen erdrücken zu lassen.

09. Januar 2025

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