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Zwei: Monate nach der Hochzeit

Die meisten romantischen Komödien werden früher oder später von Betrug aufgerüttelt. Der Bösewicht in einem semi-realitätsgetreuen Nicht-Thriller kann kein Mörder oder erkennbares Monster sein. Subtilere, aber durchaus effektive Bösewichte, sind Betrüger:innen. Doch was, wenn der Betrüger plötzlich der geliebte Grossvater ist?

Von Sina Schmid

Wer sich einen gut strukturierten Artikel mit anschliessender Pointe wünscht, wird hier enttäuscht. Es geht hier nämlich um etwas durchaus komplizierteres, weil es gleichwohl auch persönlich ist.

Wer mich besser kennt, wird wissen, dass ich ziemlich starke Prinzipien habe. Ich gehe jetzt nicht auf alle ein, weil dies den Rahmen sprengen würde. Ein Wichtiges wäre jedoch meine Haltung zu Betrug in einer Beziehung.

Seit ich ein kleines Mädchen bin, verteufle ich diese egoistische Handlung aufs Blut. Für mich gibt es keine legitime Rechtfertigung dafür. Erklärungen sind schön und gut, aber meine Haltung gegenüber der Tat hat sich nie angepasst. Doch meine Haltung zur Bewältigung hingegen schon.

Ich muss ein wenig ausholen. Mein Grossvater und ich sind beste Freunde. Jeder weiss, dass er mein und ich sein Schwachpunkt bin. Wir sind Partner-in-Crime, wie man so schön sagt. Angeblich haben wir diese spezielle Bindung schon seit meiner Geburt, weil dann plötzlich ein Mensch auf der Welt war, der seiner Sturheit die Stirn bieten konnte und noch immer kann. 

Meine Grossmutter ist wahrscheinlich der beste Mensch, den ich kenne. Selbstlos, selbstreflektiert, lustig und pur. Diese Frau hat Dinge erlebt, die ich keinem Menschen wünsche. Und trotzdem ist sie nach wie vor ein Sonnenschein.

Und um diesen Trip in meine Familiengeschichte abzurunden ist wichtig anzumerken, dass ihre Ehe seit jeher die grösste Inspiration für mein (hoffentlich) zukünftiges Liebesleben ist. Ihre Ehe ist nicht perfekt. Besonders mein Grossvater ist ein komplizierter und schwieriger Mensch. Doch ihre tiefe Verbundenheit, unglaubliche Loyalität und gleichzeitig grosse Liebe, die man auch heute noch ganz klar spürt, haben mir in den letzten Jahren unglaublich viel Mut geschenkt. 

Doch als ich dann vor ein paar Monaten erfahren habe, dass mein Grossvater zwei Monate nach ihrer Hochzeit ein Techtelmechtel mit seiner Ex-Flamme hatte, ist für mich eine gut behütete Blase geplatzt. 

Ich war schon davor mit Betrug im engen Umfeld konfrontiert. Doch, dass die zweitbeste Ehe, die ich kenne, schon nach zwei Monaten auf eine solche Mutprobe gestellt wurde, hat mich ziemlich erschüttert. 

Gut, vielleicht ist hier noch eine Info wichtig; für mich war Betrug immer schwarz-weiss. Nach Betrug trennt man sich. Wer einmal betrügt, wird wahrscheinlich wieder betrügen. Betrüger:innen sind, oder waren, Bösewichte.

Und auch wenn ich weiterhin Betrug verteufle, musste ich mich vermehrt hinterfragen, ob das ganze vielleicht doch etwas grauer ist.

Ich möchte in den nächsten paar Passagen Betrug weder schön reden, noch romantisieren oder legitimieren. Aber ich möchte aufzeigen, dass es vielleicht bei gewissen Menschen eben doch eine Mutprobe und kein Schlussstrich sein darf.

Nachdem ich mit dieser Hiobsbotschaft konfrontiert wurde, hat sich mein Weltbild leicht verschoben. In meiner Welt hatte die Vorstellung von meinem Grossvater als Betrüger keinen Platz. Ich habe meine Grossmutter ausgefragt, wieso sie ihn nicht direkt verlassen hat. Sie meinte, dass sie sich aktiv dafür entschieden hat, ihm zu vertrauen und zu bleiben.

Seitdem sind sie ein Team. Sie haben alles zusammen gemacht, vom Wocheneinkauf bis hin zu den wichtigsten Lebensentscheidungen. Mein Opa hat meine Oma konsultiert und umgekehrt. Dieser Fehltritt hat sie nicht auseinandergebracht, sondern enger zusammengeschweisst.

Diese Schlussfolgerung war bis anhin in meiner Weltanschauung inexistent. Wie kann es sein, dass mein Grossvater «unbestraft» davonkam? Zwei Monate nach der Hochzeit, I mean come on, das ist unglaublich respektlos.

Und doch stimmt es für sie so. Wie kann ich meine Grossmutter dafür verurteilen, dass sie geblieben ist? Und wie kann ich meinen Grossvater verabscheuen, der zwar egoistisch und absolut despektierlich, aber wohl auch einfach menschlich war und ist?

Um den Kreis zu schliessen, kommen wir zurück zu meinem Disclaimer am Anfang. Die Moral von der Geschichte ist, dass es sie so nicht wirklich gibt. Vielleicht, dass es immer zwei Seiten zur selben Sache gibt. Oder, dass nicht alles so schwarz-weiss ist, wie ich mir das lange zurechtgelegt habe. Möglicherweise auch, dass nun ein zweites Kapitel meiner Weltanschauung anbricht. Who knows.

03. Oktober 2022

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