Die 88 East Broadway Mall
Die 88 East Broadway Mall wurde in den 80er-Jahren eröffnet und galt lange als ein wirtschaftliches Herzstück der chinesischen Gemeinschaft in New York und ist die grössere Mall von beiden. Auf einer Fläche von über 15’000 Quadratmetern bot sie Platz für unzählige kleine Geschäfte, die von Mode bis Heilkräutern alles verkauften.
Doch das wahre Highlight war das Dim Sum-Restaurant «88 Palace» im Obergeschoss – ein weitläufiger Saal, der für Hochzeiten, Familienfeiern und geschäftliche Treffen gleichermassen beliebt war. Heute ist dieses Lokal nicht mehr zugänglich.
Die Rolltreppen stehen still, und die verbliebenen Geschäfte in der Mall kämpfen heute ums Überleben. Im Jahr 2019 meldete die Betreibergesellschaft Insolvenz an. Die Pandemie hat das einstige Zentrum der Community endgültig in die Knie gezwungen.
Geht man durch die Gänge und an den noch bestehenden Shops vorbei, spürt man, dass hier einst Leben herrschte. Letzte Überbleibsel dieser Ära erinnern daran, andere erinnern einen an das, was nicht mehr da ist.
Doch ein Hoffnungsschimmer bleibt: Pläne für eine Renovierung in Höhe von fünf Millionen Dollar sind in Arbeit. Das Ziel ist es, die Mall wiederzubeleben – diesmal mit einem Fokus auf moderne Konzepte, die dennoch die kulturellen Wurzeln bewahren sollen.
Die Situation bleibt jedoch fragil. Mietverträge wurden erstmals auf zwei Jahre beschränkt, und viele Händler:innen befürchten, dass der Druck durch steigende Mieten in der Umgebung sie bald verdrängen könnte. Die Community, die einst von der Mall lebte, steht vor einer ungewissen Zukunft.
Die 75 East Broadway Mall
Unmittelbar auf der anderen Strassenseite zeigt sich ein ganz anderes Bild. Betritt man die Mall, wirkt sie auf den ersten Blick ganz herkömmlich.
Lauter kleiner chinesischer Shops, wie man es von Chinatown kennt. Die 75 East Broadway Mall, kleiner und weniger bekannt, beherbergt im zweiten Stock eine Ansammlung an trendigen Boutiquen und Vintage-Läden.
Diese sind schwer zu finden, da sie nicht gross beschriftet sind und die Treppe in den zweiten Stock nur schwer zu finden ist.
Die winzigen Shops sind bis zur Decke mit Kleidung, Schmuck und seltenen Kuriositäten gefüllt. Die Atmosphäre ist improvisiert, fast chaotisch – und doch zieht sie ein neues, jüngeres Publikum an. Hier findet man Mode von jungen Designer:innen, kuratierte Vintageläden von superbillig zu sehr teuer, Pieces von eigenständigen Schmuckdesigner:innen sowie kleine Galerien.
Die Shops wirken wie ein Symbol für die Gentrifizierung, die in Chinatown seit Jahren passiert. Während die alten Bewohner:innen mit steigenden Mieten kämpfen, profitieren die neuen Shops von einer Welle des Interesses an «authentischen Erlebnissen». Das Viertel verändert sich – und damit die Art, wie man es wahrnimmt und nutzt.
Die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft
Zusammengefasst stehen die beiden Malls für die komplexen Spannungen in Chinatown. Auf der einen Seite die verblassenden Erinnerungen an eine Zeit, als diese Orte lebendige Treffpunkte waren. Auf der anderen Seite der Wandel – mit all seinen Chancen und auch Verlusten. Einst ein Zuhause für Arbeiterfamilien und kleine Unternehmen sieht sich das Viertel heute zunehmend von Investor:innen und Gentrifizierung unter Druck gesetzt.
Die Geschichte der beiden Malls unter der Manhattan Bridge ist kein Einzelfall. Weltweit verändern steigende Mieten und das Interesse an «authentischen Erlebnissen» traditionelle Stadtviertel. Die Bewohner:innen kämpfen darum, ihre kulturellen Wurzeln zu bewahren, während sich die Viertel ständig verändern. Die Herausforderung bleibt: Wie können Tradition und Modernisierung nebeneinander existieren, ohne dass das Besondere verloren geht?
30. November 2024