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Zufrieden im grünen Gras

Der graue Zürcher Frühling beflügelt das Fernweh und Wegwünschen. Der Traum vom Ferienhaus im Warmen. Wie Felix Lobrecht, Leo Tolstoy, Marc Aurelius und Russel Crowe zu Immobilienberatern werden.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

«Einfach mal abwarten, zufrieden sein», fordert der Comedian Felix Lobrecht in der letzten Ausgabe des Kult-Podcasts «Gemischtes Hack». Und reisst mich beim Hören aus meinen Tagträumen und dem schon komplett durchgetakteten Plan für den Tag, die nächsten Wochen, Monate und Jahre. Natürlich ein nebliges Luftschloss, eine Illusion aus dutzenden «Wenn’s» und «Danach’s». Wenn ich eines nicht habe, dann ist es die Begabung, zufrieden zu sein. Im Siegesmoment über den Alltag – der bezahlten Rechnung, dem verlängerten Wochenende beim Wandern in den Bergen – ist immer nur ein kurzes Aufatmen, nur ein weiterer Haken hinter hundert pochenden Punkten auf immer neuen Listen.

Zwar sind Ziele und das Feilen an sich selbst per se keine schlechten Dinge, doch wer nie zufrieden ist mit dem Erreichten, wird aller Leistungen zum Trotz griesgrämig durchs Leben huschen. Mehr bewusstes Spüren, mehr «living in the moment» wäre angebracht. Ein leises und langes «Ommmmmmm», das sich wie ein fluffiger Teig über das nervende Trommeln und Pochen der Listen, Ziele und Punkte legt. Und endlich ist da Ruhe.

Besonders dumm an dem ganzen Tamtam: Das tägliche Paradoxon in meinem Kopf, ich müsste nur die eine Reise tun, den einen Job mit dem einen Nettolohn ergattern, den einen Zustand erreichen und ich würde schliesslich bis an das Ende meiner Tage zufrieden sein. Der Anfang meines absoluten Lieblingsbuches fällt mir ein: «Ein Zukunftsgedanke des Heranwachsenden war, später mit einem Kind zu leben. Dazu gehörte die Vorstellung von einer wortlosen Gemeinschaftlichkeit, von kurzen Blickwechseln, einem Sich-dazu-Hocken, einem unregelmässigen Scheitel im Haar, von Nähe und Weite in glücklicher Einheit. (…) Der Gedanke an ein Kind war so selbstverständlich wie die beiden anderen grossen Zukunftserwartungen, welche von der nach seiner Überzeugung ihm bestimmten und sich seit je in geheimen Kreisen auf ihn zubewegenden Frau handelten, und von der Existenz in dem Beruf, wo alleine ihm eine menschenwürdige Freiheit winkte; ohne dass freilich diese drei Sehnsüchte auch nur einmal in einem Bild zusammen erschienen.» 

Meine derzeitige Sehnsucht ist ein Haus im Warmen, ein einfacheres Leben irgendwo anders. Das Sehnen nach dem Landleben im Süden – Bukolik, Eskapismus, Aussteigertum – begleitet mich derzeit auf Schritt und Tritt. 

Ein Garten mit frischen Himbeeren, ein Hund, der im Schatten eines alten Kastanienbaumes schläft. Ich höre Russel Crowe in meinem Kopf, der als Maximus im Blockbuster «Gladiator» dem Kaiser Marcus Aurelius von seinem Daheim erzählt: «Ein einfaches Haus, aus roten Steinen gebaut, die sich in der Sonne erwärmen. Ein Gemüsegarten, der tagsüber nach Kräutern duftet… und abends nach Jasmin. In der Nähe des Tores steht eine Pappel. Feigen, Äpfel, Birnenbäume. Die Erde ist schwarz, Marcus. Schwarz wie das Haar meiner Frau. Wein an den Südhängen, Oliven an den Nordhängen. Wilde Pferde spielen an meinem Haus, sie necken meinen Sohn.»

Dazu eine Annonce eines alten Bauernhofs, der in Umbrien zum Verkauf steht. Gleichzeitig läuft gerade das Meisterwerk «Into the wild» im TV. Der Hauptdarsteller liest in Tolstoys «Familienglück»: «Ich habe viel durchgemacht und ich glaube, jetzt habe ich gefunden, was ich zum Glück brauche. Ein stilles, zurückgezogenes Leben in unserer ländlichen Einsamkeit und die Möglichkeit, den Menschen Gutes zu tun, denen man leicht Gutes tun kann und die so wenig daran gewöhnt sind. Eine Arbeit von der man sich einen Nutzen verspricht. Ferner Ruhe, Natur, Bücher, Musik, die Liebe zu seinen Nächsten. Das ist meine Vorstellung von Glück. Und zu alldem noch dich, als meine Lebensgefährtin, vielleicht auch Kinder. Was kann das Herz eines Menschen noch mehr wollen?»

Passend dazu tippe ich derzeit verträumt auf die richtigen Lieder in meiner Playlist. Auf Reinhard Mey, der seine Flucht in die Einfachheit in einem griechischen Fischerdorf sieht. Und singt: 

«Da ist kein Misstrauen, da ist kein Neid.
Und da ist Frieden, da ist Zeit.
Der Wirt, der mit den dicken Kaffeetassen klirrt.
Nichts ist Berechnung, nichts bedacht, alles aus Freundlichkeit gemacht.
Das ist ein Ort, an dem dein Herz gesunden wird.
Blau weisses Tischtusch, frisches Brot.
Leise tuckerndes Fischerboot.
Ein Teller Apfelscheiben und ein Becher Wein.
Vielleicht bleib‘ ich irgendwann hier.
Jedenfalls arbeit‘ ich schon an mir, 
um auch mit nur drei Stühlen zufrieden zu sein.»

Diese ganzen Eindrücke gepaart mit dem Zürcher Frühlingswetter, das sich in den letzten Wochen wieder einmal von seiner widerlichsten Seite gezeigt hat und es schreit in meinem Kopf: «Das will ich auch!» Ich will alles stehen und liegen lassen, Hund und Kegel einpacken und verschwinden. Kann es das wirklich sein? Wäre der Weg zur Zufriedenheit so simpel? Oder mach‘ ich mir hier die Rechnung zu einfach, stelle mir ein romantisiert-verzerrtes Bild vor und vergesse dabei ganz Grundlegendes, das gewohnte Umfeld, Freund:innen, Lohn, Beruf, den Willen sich zu beweisen und nicht irgendwo als kompletter Aussteiger auf die Zahnräder der Welt zu pfeifen? «Aber noch is‘ net so weit. Noch was zu tun befiehlt die Eitelkeit», singen STS in «Irgendwann bleib i dann dort.»

Nach ein paar hitzigen Momenten schliesslich wieder Einsicht, Ratio, die Koffer bleiben für das erste ungepackt. «The grass is always greener on the other side». Was ich heute für selbstverständlich halte, würde mir andernorts vermutlich schnell fehlen. Schliesslich gibt es tausende Dinge hier und jetzt, die ich eigentlich gerade nicht missen will. Was ich heute für wunderschönes Aussteigerglück halte, könnte mir irgendwann gehörig auf die Nerven gehen. Der eine, perfekte Zustand für das vollkommene Glück, er ist und bleibt vermutlich Illusion. Gerade deshalb hat Lobrecht Recht, wenn er zum Abwarten, zum Zufriedensein mahnt. Glück besteht – ich glaub da wären sich Lobrecht, Tolstoy und Marcus Aurelius einig – im Wertschätzen der kleinen Dinge. Im Auskosten der kurzen Momente. Das macht zufrieden. Und die kann ich im grauen Zürich genauso gut wie im sonnigen Haus im Süden haben. Gleich verhält es sich mit der Unzufriedenheit, dem Unglück. Es ist der Geist, das bewusste Erleben, die den Unterschied machen.

Und wenn es mal wieder regnet, wenn ich alles stehen und liegen lassen möchte, die Arbeit vielleicht nervt und ich am liebsten ein Flugticket ins Warme buchen würde, ziehe ich erneut Marcus Aurelius heran. Und ein Zitat aus seinen «Meditationes» ins Englische übersetzt: «Do not disturb yourself by imagining your whole life at once. Don’t always be thinking about what suffering, and how many, might possibly befall you. Ask instead, in each present circumstance: What is there about this is unendurable and unbearable? You will be embarrassed to answer.»

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