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With the lights out, it’s less dangerous

Nichts ist mehr normal, und alles scheint den Bach hinunterzugehen. Die globalen Krisen lassen sich nicht mehr an zwei Händen abzählen, während das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Weltlage überwältigend zu sein scheint. Warum wir aber trotzdem stur die Nachrichten lesen sollten.

Von Lea Schlenker

In einer oft zitierten Anekdote zum Thema Berichterstattung und deren Wirkung auf die Menschen geht es um ein Radioprogramm aus dem Jahr 1938. Der Science-Fiction-Roman von H.G. Wells, in dem Ausserirdische den Planeten Erde angreifen, wurde als fiktives Hörspiel für den amerikanischen Radiosender CBS aufgenommen. In Szene setzen durfte die Geschichte niemand Geringeres als ein junger Orson Welles, der damals noch nicht berühmt war (es aber schon sehr bald sein sollte). Am Abend vor Halloween wurde das Hörspiel vom Radiosender ausgestrahlt. Laut Zeitungsberichten sorgte die Geschichte dann für ziemlichen Unmut bei der Bevölkerung: Man hielt das Ganze für eine ernstzunehmende Berichterstattung, wobei der Begriff der Massenpanik später von den Zeitungen wohl etwas übertrieben dargestellt wurde. Nichtsdestotrotz schafften es ähnliche Versuche in Ecuador (1949) und Deutschland (1977), die Bevölkerung ebenso zu verstören.

Ich liebe diese Geschichte, weil sie zeigt, was in unserer Beziehung zu den Medien und dem Journalismus wichtig ist. Vertrauen spielt eine essenzielle Rolle, da wir jedes Mal eine grosse Menge an Vertrauen vorschiessen müssen, wenn wir eine Zeitung lesen oder uns ein Videoessay anschauen. Wir vertrauen darauf, dass das, was in den Zeitungen steht oder im Radio erzählt wird, den Tatsachen entspricht. Und basierend auf diesen Informationen treffen wir Entscheidungen: was wir kaufen, wen wir wählen, welche Berufe es zurzeit schwierig haben und wie wir unser Geld anlegen. Wir können mitdiskutieren, was das Zusammenleben in einer stabilen Demokratie ermöglicht. Nicht ohne Grund werden in Autokratien die Medien ausgehöhlt und Journalist*innen ins Gefängnis gesperrt. Wahrheitsgetreue Reportagen fliegen jedem alleinherrschenden Tyrannen früher oder später um die Ohren – wieso also nicht gleich verbieten? Ist der Stecker erst mal gezogen, ist es auch gleich weniger gefährlich.

Wir wissen also, wie wichtig der Nachrichtenkonsum und eine unabhängige Medienlandschaft sind. Wir sind stolz auf unsere informierte Demokratie und die Medienhäuser, die auch mal die Regierung kritisieren dürfen, ohne gleich Repressalien fürchten zu müssen. Allerdings machen wir nicht alle von diesen Möglichkeiten Gebrauch. Der Nachrichtenkonsum nimmt stetig ab, die Branche ist unter Druck. Das ist übrigens nicht bloss in der Schweiz der Fall, sondern ein globales Phänomen, wie eine Studie zeigte. Vier von zehn Menschen meiden die Nachrichten selektiv oder verzichten gleich komplett darauf. Eine Studie des Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung mehrheitlich nicht mehr klassische Nachrichten konsumiert, sondern sich primär über Social Media auf dem Laufenden hält. Oft werden dort eher identitätspolitische oder auch kontroversere Inhalte thematisiert, während nationale und internationale Politik weniger präsent ist. In Diskussionen dazu geben die Menschen verschiedene Gründe an, warum sie weniger oft Zeitungen lesen oder die Nachrichten sogar ganz boykottieren. Ungenügende Qualität, Schnelligkeit oder fehlende Neutralität der Medien werden genannt. Das sind Herausforderungen, die es im Journalismus unbestritten zu meistern gilt. Ein oft genannter Grund für die Medienabstinenz ist aber auch die schlechte Laune, die Niedergeschlagenheit oder sogar eine Form von Hoffnungslosigkeit, die mit dem Newskonsum einhergehen kann. Das bewusste Ignorieren der Weltgeschehnisse wird als Strategie benutzt, um die negativen Dinge, die auf der Welt passieren, so gut es geht auszublenden. Zwischen dem Bedürfnis, informiert zu sein, und dem eigenen Wohlbefinden muss entsprechend vermittelt werden, was schon einmal einem Drahtseilakt gleichen kann. Dieses Verhalten ist legitim und soll hier gar nicht angeprangert werden. Mentale Gesundheit ist nicht verhandelbar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Medienabstinenz weitreichende Konsequenzen mit sich bringen kann.

Fehlender Newskonsum kann einen negativen Einfluss auf die politische Partizipation einer Person haben. Menschen, die keine klassischen Nachrichten lesen, haben laut Medienwissenschaftlern ein geringeres Vertrauen in die politischen Institutionen und würden sich daher seltener am öffentlichen politischen Diskurs beteiligen. Genauso wie Fehlinformationen und bewusst gestreute Propaganda, wie wir sie in globalen Konflikten während des digitalen Zeitalters immer wieder erleben, kann der komplette Verzicht auf Nachrichten einer Demokratie schaden. Zum einen gerät die Finanzierung der unabhängigen Medienhäuser in Schieflage, was eine kritische Berichterstattung gegenüber Politik und Wirtschaft erschwert. Das sorgt dann für den fiesen Dominoeffekt, dass noch weniger Menschen Nachrichten lesen, weil sie den Zeitungen nicht mehr vertrauen. Zum anderen redet man nicht zu Unrecht von den Medien als der vierten Gewalt, die als Kontrollinstanz gegenüber Politik und Institutionen fungiert. Wir müssen diese Kontrollinstanzen hegen und pflegen und uns Mühe geben, unabhängigen Journalismus nicht als selbstverständlich anzusehen. Das bedeutet nicht, dass jede*r von uns per sofort zum Newsjunkie mutieren sollte. Aber gerade wegen der hohen Komplexität und drohender Instabilität lohnt es sich, sich nicht von den Weltgeschehnissen und somit der Realität abzuwenden. Im Gegenteil. Gegen Ohnmacht helfen objektive Informationen, das Auseinandersetzen mit der Weltlage und aktives Engagement für die Dinge, die uns wichtig sind.

07. September 2025

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