Wenn wir Artikel der letzten 30-40 Jahre über den Nahen Osten lesen, oder die «Naher Osten» Abteilung in Bücherläden analysieren fällt etwas auf: die meisten Schriftstücke wurden von Männern ohne (nationalen) Hintergrund in der Region verfasst. Was auch auffällt: besonders früher waren die meisten Stücke schmerzhaft einseitig, der Mann aus dem Nahen Osten der Feind, Antifeminist und Barbar.
Heute sind wenige Journalist:innen und Expert:innen besser. Sie versuchen zwar auch aus der anderen Sicht zu berichten, dennoch fehlen meistens Veröffentlichungen der Lokal-Bevölkerung und Betroffenen. Der Fakt, dass teils unwissende, ignorante Journalist:innen in den Nahen Osten geschickt wurden und von dort ihre einseitigen Ansichten weiter publizierten ist heute unbestritten. Die Auswirkungen fatal. Bilder von Zivilisten schamlos verbreitet und abgestempelt als «Terroristen», eingebrannt in die Köpfe des gesamten Westens.
Aktuelles Beispiel ist der Tod von Zemari Ahmadi. Ein Drohnenangriff tötete ihn und neun weitere afghanische Zivilist:innen. Der siebenfache Vater fiel am 29.08. US-Amerikanischer Intelligence zum Opfer, nachdem er fälschlicherweise als mutmasslicher Terrorist klassifiziert worden ist. Seine verdächtige Tat: Er hat Wasserkanister in ein Auto geladen, um sie nach Hause zu bringen. Ahmadi war Mitarbeiter einer (amerikanischen) Hilfsorganisation welche Nahrungsknappheit im Land bekämpfen soll.
Der Angriff wurde vom Pentagon lange als gerechtfertigt betitelt, bis Journalist:innen der New York Times den Fall neu aufgerollt und die Fehler aufgedeckt hatten. Seither hat das Pentagon diesen tödlichen Irrtum eingesehen, gebracht hat es wenig.
Die inhumane Darstellung der Menschen im Nahen Osten verleitet uns Gräueltaten an ihnen zu akzeptieren und schlimmer noch; zu rechtfertigen. Genau deshalb braucht es mehr kritische, fachliche Berichterstattungen, besonders von oder mit Betroffenen. Mit Betroffenen sind nicht (nur) Opfer gemeint, sondern lokale Journalist:innen oder Menschen mit grossem kulturellen Verständnis für die Region, welches meist nur von Einheimischen gewährleistet ist.
Ein weiteres Indiz für das problematische Verhalten westlicher Medien und deren Leser:innen: Westliche Journalist:innen werden als Quelle ernster genommen. Zudem werden sie für die Arbeit gelobt, welche von der lokalen Bevölkerung unter gefährlicheren Umständen schon lange gemacht wird.
Da wäre zum Beispiel Clarissa Ward, die gelobt wird für Ihre Berichterstattung in Afghanistan. Als weisse US-Amerikanerin konnte sie sich auch in den letzten Monaten in Afghanistan bewegen, wo sie für CNN berichtete. Disclaimer: Es geht nicht darum diese Frau in den Dreck zu ziehen. Ihre Arbeit ist wichtig. Dennoch muss auch über die Komplexität der Problematik gesprochen werden. Clarissa Ward begibt sich freiwillig in diese Gefahr. Sie hat das Glück, nach ihren Tours wieder in die USA zurückkehren zu können, kann die Länder verlassen und ihren Journalismus weiterführen, wie sie will. Sie steht unter besonderer Beobachtung und Schutz in den Gefahrenzonen, in welche sie sich freiwillig begibt, was an sich gut ist.
Trotzdem darf die Schattenseite nicht ignoriert werden: Einheimische Journalist:innen haben diese Privilegien nicht. Das hat sich im August diesen Jahres wieder gezeigt, als gefährdete Helfer:innen der Westlichen Regierungen und Medien Afghanistan nicht einfach verlassen durften, obwohl ihnen die Sicherung versprochen wurde.
Ihre Sicherheit wird täglich aufs Spiel gesetzt, wenn sie weiterhin wichtige Aufklärungsarbeit in Form von Journalismus leisten. Dennoch werden ihre Berichte selten in grossen Medienhäusern publiziert.
Als westliche Bevölkerung müssen wir einsehen, dass unsere Anschauung des Nahen Ostens geprägt ist von einseitiger, oft falscher und ignoranter Berichterstattung. Diese lange, irrtümliche Entwicklung gilt es nun zu stoppen und aufzuarbeiten, mit Hilfe von richtigen Expert:innen. Zudem gilt es, Berichte kritischer zu beobachten: Wer hat es geschrieben? Welche Qualifikationen besitzt die Person, um über dieses Thema schreiben zu können?
Empfehlenswert zu dieser Thematik ist «Der Längste Krieg» von Emran Feroz.
07. November 2021