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Von Sommer, Sonne und Haaren

1970 trugen Frauen Intimhaare noch als Symbol weiblicher Selbstbestimmung. Das war nicht nur unter diesem Aspekt gut, sondern auch, weil die Haare in der Vulva-Region wichtige Funktionen erfüllen. Heute sind sie so tabu, dass sich viele schon schlecht fühlen, wenn sie nicht frisch rasiert auf dem Gyn-Stuhl sitzen oder Haare aus den immer schmaler geschnittenen Bikinihöschen rausschauen.

Von Janine Friedrich

In einer Zeit, in der zwar schon viele Tabus enttabuisiert wurden und wir alle mehr Echtheit wollen, sind wir irgendwie doch noch ziemlich umzingelt von unnatürlichen Körperbildern. Intimbehaarung ist ein Thema, das im öffentlichen Diskurs nach wie vor Seltenheitswert hat. Seit Jahrzehnten werden wir so stark von der Modeindustrie, der mitziehenden Mainstream-Gesellschaft und – viele eben auch – durch Pornografie geprägt, dass sich dadurch ein fragwürdiges Schönheitsideal verwurzelt hat: das der haarlosen Vulva.

Wie viel unbewusster Einfluss und Druck in Bezug auf Haarentfernung wirken da tatsächlich auf uns ein? Warum gilt Intimbehaarung mittlerweile als etwas Unästhetisches und wo fehlt es uns an Aufklärung?

Es hat Gründe, warum dort Haare wachsen

Abgesehen davon, dass Intimhaare ein ornamentales Signal für Geschlechtsreife darstellen, haben sie auch wichtige Schutzfunktionen und können sogar als eigenes Sinnesorgan angesehen werden. So verfügt der Venushügel über ein dichtes Fettpolster mit natürlicher Behaarung, wodurch unser empfindliches Schambein beim Geschlechtsverkehr geschont wird. Die Haare selbst wirken wie ein natürlicher Filter gegen Krankheitserreger, Fremdkörper und Reibung. Sie dienen als immunologischer und mechanischer Schutz der Harnröhre und Vaginalöffnung. Schon der bedeutende Gynäkologe Carl Gustav Carus (1789-1869) war sich des ganzheitlichen Sinnes der Intimbehaarung bewusst und bezeichnete die Intimhaare als Tastfäden. Da sie die Sensibilität in diesem Körperbereich steigern, können sie als eigene erogene Zone angesehen werden, die feinste Reize wahrnimmt. Dazu kommt, dass Intimhaare dabei helfen, Sexuallockstoffe zu verteilen, und deshalb für die sexuelle Anziehung eine bedeutende Rolle einnehmen.

Doch obwohl Intimbehaarung so funktional, sinnvoll und alles andere als unhygienisch ist, bildet eine haarfreie Intimzone in unserer Gesellschaft ein viel gepflegteres Körperbild ab. Die Haarentfernung bringt jedoch Risiken mit sich: Egal, ob sie durch Rasur, Waxing oder Sugaring durchgeführt wird, kommt es oftmals zu Hautirritationen, Mikroverletzungen oder Infektionen. Laut Prof. Dr. med. Dietmar Richter, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, geht etwa ein Viertel der gynäkologischen Konsultationen junger Frauen im Alter von 15-25 Jahren auf Probleme durch Intimrasur zurück. Das ist viel! Die gute Nachricht ist, dass Beschwerden, die durch Intimhaarentfernung entstanden sind, meist behebbar sind.

Historische Einordnung und Wandel der Intimhaar-Präferenzen

Die ganze Geschichte über den Wandel der Intimfrisuren ist sehr lang. Da hierauf jetzt nicht mein Fokus liegt, gibt es nur eine kurze historische Einordnung, um nachzuvollziehen, dass die Entfernung der Intimhaare gar kein modernes Phänomen ist: Bereits im Alten Ägypten galt ein haarloser Körper als Zeichen von Reinheit und Kultiviertheit. Damals entfernten nicht nur Frauen, sondern auch Männer ihre natürliche Körper- und auch Intimbehaarung, oft mit Bronze-Klingen oder Zuckerpaste – eine frühe Form des Sugaring. In der griechischen und römischen Antike war diese Praxis ebenso üblich, doch die Motivation dazu war eher mit sozialem Status und Hygiene verbunden und nicht so sexualisiert wie heutzutage.

Immer wieder wurde vor allem die Intimbehaarung der Frau in verschiedenen kulturellen und politischen Strömungen untergeordnet: Im 18. Jahrhundert wurde in Frankreich jugendliches oder sogar kindliches Aussehen bevorzugt und die Haare wurden komplett entfernt. In den 1920er Jahren in der Bohème galt die Intimrasur dann als Zeichen weiblicher Emanzipation und stellte eine Gegenbewegung zur bürgerlichen Gesellschaft dar. In der Zeit des Nationalsozialismus war es wiederum so, dass volle Schambehaarung das Ideal, spezifisch für die «deutsche Frau», war. Als dann die 1970er Jahre geprägt waren von einer erneuten Welle der Frauenbewegung, Hippie-Einflüssen, gesellschaftlichem Aufbruch und sexueller Befreiung, wurde Körperbehaarung wieder als natürlich und normal wahrgenommen. Intimhaare waren nicht etwas, was man verstecken oder entfernen musste, sondern ein Ausdruck von Weiblichkeit und Reife. Frauen hinterfragten damals bewusst, warum sie sich rasieren sollten, wer ihnen das vorschreibt und wer davon profitiert. Das Nichtentfernen der Intim-, Achsel- und auch Beinhaare wurde zum Symbol der Selbstermächtigung und zum politischen Akt. Die Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen, wurde zur feministischen Bewegung. Zu der Zeit hat es niemanden interessiert, ob die Intimhaare beispielsweise über die Badekleidung hinaus sichtbar waren.

Einschränkende Ideale und unterbewusster Druck fördern keine Körpervielfalt

Erst Ende der 80er wandelte sich das gesellschaftliche Empfinden durch das Aufkommen des sogenannten Brazilian Waxings, mehr pornografische Inhalte, immer knapper werdende Bademode und haarlose Ideale in Werbung und Fernsehen: Die Entfernung der Intimhaare wurde ab den 90er Jahren zur ästhetischen Norm. Eine Metaanalyse zeigte, dass sich im Jahr 2019 bereits rund 76 % der Frauen die Intimbehaarung entfernt hatten. Letztes Jahr, 2024, lag die Zahl sogar bei über 93 %. Dabei ist die vollständige Haarentfernung am weitesten verbreitet. Wenn man zusätzlich bedenkt, wie in diesen Jahrzehnten auch die Einflüsse aus der Mode-, Porno- und Kosmetikindustrie zunahmen, ist schnell klar, wie sehr wir davon geprägt wurden. Trotz beginnender Akzeptanz und Bubbles, die die natürliche Behaarung ganz unaufgeregt zelebrieren, wird der haarlose Intimbereich von der Mehrheit noch immer klar bevorzugt.

Die heutige Bademode mit extrem engen Schnitten, durchsichtigen Stoffen oder hochgeschnittenen Bikinihöschen fördert ein Ideal, das eigentlich gar keinen Raum für natürliche Intimbehaarung lässt. Die Modeindustrie schränkt uns damit in unserer individuellen Freiheit ein. Wenn wir uns dem sozialen Zwang der Haarentfernung nicht beugen, müssen wir halt damit klarkommen, als ungepflegt oder unmodern rüberzukommen.

Wenn wir Selbstbestimmung, Körpervielfalt und weibliche Sexualität zelebrieren wollen, dann heisst das vor allem, dass wir die Intimhaarentfernung als gesellschaftlichen Zwang und unterschwelligen Druck hinterfragen sollten. Es bedeutet natürlich nicht, dass jede Frau bei der Körperbehaarung auf Wildwuchs umsteigen sollte. Vielmehr geht es darum, dass wir mal stehenbleiben und wieder bewusst Wahlfreiheit fördern, ohne Scham. Es reicht eben nicht aus, uns nur zu fragen: Was wollen wir, wenn wir soziale Normen und Schönheitsideale komplett ausblenden? Würden wir unsere Haare wirklich noch entfernen, wenn unsere Präferenzen nicht mehr kommentieren würden oder wenn herausschauende Haare aus Badeanzügen wieder als selbstverständlich statt als No-Go angesehen werden? Wir sind oft so doll in den Gedankenmustern drin, die uns jahrelang von aussen beeinflusst haben, dass wir uns davon wieder Stück für Stück abgrenzen müssen, um herauszufinden, was wir persönlich wollen.

20. Juni 2025

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