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Von Dopamin, Sex und süchtigen Mäusen

Ein, vielleicht zwei Jahre Beziehung und die Libido scheint langsam aber sicher zu verblassen. Sounds familiar? Grund hierfür ist meistens eine beeindruckend potente Droge, die wir selbst produzieren: Dopamin. Wieso der Neurotransmitter gleichzeitig Fluch und Segen ist.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

«Ungute Muster» nannte meine Mitbewohnerin die Tatsache, dass sie bei vergangenen Beziehungen immer nach knapp zwei Jahren die Lust am Sex verloren hatte. «Keine Libido, null. Fast schon Ekel. Es war ganz schlimm.» Diese «unguten Muster» wolle sie von nun an vermeiden. Ich lächelte verständnisvoll. Die meisten von uns waren schon mal oder sind gerade in Beziehungen, in denen zwar alles stimmt – man mag sich, man lacht miteinander, teilt Interessen und Zeit –, aber eben nicht alles. Irgendwann sinkt oft der Reiz am Partner oder an der Partnerin, gleichzeitig steigt die Lust auf Andere.

Als ich nach dem Gespräch mit meiner Mitbewohnerin in mein Zimmer tappte und auf Youtube landete, lieferte dessen Algorithmus wieder einmal eine Glanzleistung ab und spulte ein Video mit dem Titel «Süchtig nach Dopamin» in meine Timeline. Klick auf Play. Dabei ging es um ein Experiment, bei dem eine männliche und eine weibliche Maus alleine im selben Käfig waren. Während das Männchen zu Anfang noch regelmässig Dopamin ausschüttete und die beiden Mäuse auch regelmässig Sex hatten, sank der Dopaminspiegel nach einiger Zeit und mit ihm die Libido. Sex: Fehlanzeige. Als dann ein zweites Weibchen in den Käfig gegeben wurde, stieg der Dopaminspiegel wieder rasant an. Die Libido war zurück. Das Männchen scheinbar von Amor geküsst. Zweiter Frühling.

In einem weiteren Experiment konnte die Maus mit Hilfe eines Schalters Elektroden im eigenen Hirn aktivieren, die das Belohnungssystem stimulierten. Ähnlich wie Dopamin das tut. Folge: Die Maus drückte nur mehr auf den Schalter, vergass zu essen, sie schlief nicht mehr, hatte keine Augen für Artgenossen. Sie nahm sogar kleine Elektroschocks in Kauf, solange das Dopamin im Hirn nur weiter stieg. Die Maus hätte so lange auf den Schalter gedrückt, bis sie schliesslich verhungert wäre. Sucht nach Dopamin.

Und obwohl wir Menschen vermutlich um einiges komplexere Lebewesen sind als so manche süchtigen Nager, meinen Forscher dennoch, dass sich unser Dopaminhaushalt nicht sehr viel anders verhält. Er aktiviert das Belohnungszentrum, macht uns euphorisch, steigert bei Hunger unsere Lust auf einen saftigen Burger, bei Durst das Sehnen nach einem kühlen Bier. Dopamin zieht uns auf der Jagd nach Neuem in Shoppinghäuser, es macht den Zug an der Zigarette erst so richtig interessant, es treibt uns dazu, auf das nächste Pornovideo zu klicken. Dopamin ist auch der Stoff, der ausgeschüttet wird, wenn wir uns nach Sex und Sexualpartner:innen sehnen. Nach dem Flirt, der gewagten Nachricht, dem leicht betrunkenen Kuss. Fingerkuppen, die über nackte Rücken streichen. Allein der Gedanke an solche Erfahrungen lässt unser Dopaminlevel steigen und stimuliert unser Belohnungssystem. Folge: Wir wollen noch mehr Dopamin, noch mehr von diesem Kribbeln, dem Herzklopfen, dem Neuen, dem Anderen. 

Wenn meine Mitbewohnerin demnach von «unguten Mustern« spricht, sind diese – so trist und fatalistisch dies auch klingen mag – doch natürlich. Kann es das wirklich sein? Sind wir dafür gemacht, ständig nach dem nächsten Sexualpartner oder der nächsten Sexualpartnerin zu suchen? Getrieben von einer Droge, die wir selbst produzieren? Widerspricht eine langjährige, monogame Beziehung einem fundamentalen Teil unseres innersten Seins? Ist Polyamorie uns eigen? Muss – wer sich für den einen Partner oder die eine Partnerin entscheidet – das gnadenlose, ständige Rauschen des Dopamins unterdrücken, vergessen? Seine Natur irgendwo leugnen? Der Anfang von Herman Hesse’s «Demian» fiel mir ein: «Jeder trägt Reste von seiner Geburt, Schleim und Eischalen einer Urwelt, bis zum Ende mit sich hin. Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise.»

Lange habe ich über die Dopaminsucht nachgedacht. Nach einem philosophisch-argumentativem Trick gesucht, einer Sichtweise, die selbst scheinbar traurigen Perspektiven diese Ausweglosigkeit nimmt. Feststeht: Dopamin ist fundamental für unser Wohlbefinden. Es hält uns aktiv, macht uns zufrieden, glücklich. Es treibt uns dazu an, Herausforderungen anzunehmen, unsere Comfort-Zone zu verlassen, auf Berge zu steigen, fremde Leute anzusprechen. Zwar ist Sex einer der stärksten Dopamintreiber. Doch auch andere Erfahrungen bringen uns in Euphorie. Gutes Essen, Sport, Musik, Tanz, tiefe Gespräche, Reisen. Erfahrungen, die deutlich mehr Dopamin versprechen, wenn sie mit jener Person geteilt werden, der wir vertrauen, die uns kennt. Erfahrungen, die Partnerschaften spannend, lohnend machen. 

Wenn die Libido für eine Zeit lang fehlt, ist dies noch kein Todesstoss für die Beziehung. Es gibt andere Weg der Dopaminsucht zu frönen. Zusammen dem Rausch zu verfallen. Und – auch das ist wissenschaftlich bewiesen – wer gemeinsam Neues erlebt, zusammen Dopamin und Glückshormone produziert, steigert nicht nur das Vertrauen zueinander. Mit dem Vertrauen, dem Lachen, dem geteilten Dopaminrausch steigt die Lust am Partner oder an der Partnerin wieder automatisch. Erst – so ehrlich muss man mit sich sein – wer weder im Schlafzimmer noch ausserhalb davon zu regelmässigen Dopamintrips kommt, sollte sich ernsthaft Gedanken über die Sinnhaftigkeit der Beziehung machen. Na denn: Es lebe die Sucht.

13. Januar 2022

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