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Verschollene Sprache – «Treasure»

Der neueste Film von Julia von Heinz, «Treasure», basiert auf dem Roman «Zu viele Männer» von Lily Brett und beschäftigt sich mit dem Verschwinden von Menschen, Dingen und Erinnerungen – und mit der erdrückenden Leere, die diese Verluste hinterlassen.

Von akutmag

Text von Norma Eggenberger

«Ich bin hier. Menschen, die verschwinden, sind nicht hier.» Mit diesen Worten spricht Edek (Stephen Fry) zu seiner Tochter Ruthie (Lena Dunham) in Warschau, Polen. 

Die Handlung spielt in den frühen 1990er-Jahren, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, einer Zeit des Umbruchs, die bis heute nachhallt. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Erinnern an die Vergangenheit angesichts aktueller politischer Entwicklungen in Europa wieder an Bedeutung gewinnt, scheint die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – insbesondere mit dem Holocaust – relevanter denn je.

Die Journalistin Ruthie begibt sich auf eine Reise in das Heimatland ihres Vaters Edek, um den Spuren ihrer Familie zu folgen. Doch Edek, der den Holocaust überlebt hat, weigert sich, die alten Wunden aufzureissen. Nach der Deportation nach Auschwitz-Birkenau und seinem Neuanfang in New York hat er sich entschieden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dieses Schweigen hat nicht nur eine emotionale Kluft zwischen ihm und Ruthie geschaffen, sondern ihm auch die Fähigkeit genommen, über die Gräueltaten der Nazis und die Narben, die Auschwitz hinterlassen hat, zu sprechen. Ruthie weiss kaum etwas über die traumatischen Erlebnisse ihres Vaters, spürt jedoch die Last eines transgenerationalen Traumas, das durch das Schweigen der Überlebenden nur verstärkt wird. So zeugt ihr gestörtes Essverhalten von dem Versuch, Kontrolle über ihr Leben zu erlangen, ähnlich wie ihre Mutter, die ihre Traumabewältigung in zwanghafter Sauberkeit suchte.

In dieser Familie scheint der Schmerz so tief zu sitzen, dass er nie in Worte gefasst wurde. Edek selbst flüchtet sich in Witze, flirtet mit Frauen, unfähig, eine echte emotionale Verbindung zu seiner Tochter herzustellen. Ein geplanter Vater-Tochter-Trip durch Polen soll diese Sprachlosigkeit überwinden. Die Reise führt sie nach Warschau und später nach Lodz, wo sie auf das Elternhaus Edeks und einige alte Familienerbstücke stossen – darunter Porzellan und einen Pelzmantel seines Vaters. Diese Gegenstände machen die Vergangenheit wieder greifbar, und spätestens beim Besuch von Auschwitz-Birkenau beginnt Edeks Fassade zu bröckeln. Der Schmerz über den Verlust seiner Familie und die verdrängten Erinnerungen holen ihn ein.

Trotz dieser emotionalen Momente bleibt der Film letztlich an der Oberfläche. Die Dialoge zwischen Fry und Dunham, ein Duo, das auf dem Papier vielversprechend erscheint, bleiben flach und klischeehaft, wodurch das emotionale Vakuum zwischen Vater und Tochter nur unzureichend übermittelt wird. Dabei birgt das Thema des transgenerationalen Traumas enormes Potenzial – ein Thema, das heute aktueller denn je ist. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist in den letzten zwei Jahren vermehrt in den Fokus gerückt. Filme wie «Zone of Interest», «Oppenheimer» und «Lee», sie alle versuchen, eine filmische Sprache für den Holocaust und seine Folgen zu finden, und die Wahlen in Deutschland und Österreich verdeutlichen, wie wichtig diese Auseinandersetzung ist. Und doch vermögen sie oftmals keine Sprache für die Gegenwart und ihre Konflikte, die sich aus ebenjener Vergangenheit speisen, zu entwickeln. 

So deutet auch «Treasure» zwar das bis heute bestehende Trauma an und verknüpft das Wiederfinden von Erbstücken und von Familienschätzen gekonnt mit dem Wiederfinden der eigenen Familiengeschichte, versäumt es jedoch, seine ganze Schwere und emotionale Tragweite zu vermitteln. Bei der Suche nach einer filmischen Sprache, um den unausgesprochenen Schmerz und die tiefen Wunden wirklich greifbar zu machen, steht sich von Heinz mit ihren Dialogen (Drehbuch wurde von ihr und John Quester verfasst) selbst im Weg und verpasst dabei, eine Reise anzutreten, die nie abgeschlossen sein wird.

09. Oktober 2024

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