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«Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» – ein Gespräch mit Regisseurin Katharina Lüdin

Das Debüt «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag»* der Wahlberlinerin Katharina Lüdin feierte am Locarno Film Festival Premiere. Gastautorin Norma durfte die junge Regisseurin in Berlin zum Gespräch treffen. Mit unverkennbarem Basler-Dialekt spricht Lüdin über queere Filmästhetik, Lücken im Film und häusliche Gewalt.

Von akutmag

Text von Norma Eggenberger

Ein Haus, irgendwo im Berliner Umland. Ein grosser Garten, helle Räume, herumliegende Kinderschuhe . Eine scheinbare Idylle ergiesst sich über die Leinwand. Eine Idylle, die bereits durch den von Ingeborg Bachmann inspirierten Filmtitel «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» Lügen gestraft wird. Das hier ist keine Idylle, sondern ein Trugbild, vollgesogen mit falscher Harmonie. Lüdins Film erzählt von den Beziehungen hinter diesen Mauern. Im Zentrum steht diejenige zwischen der Schauspielerin Merit und ihrer Partnerin Eva. Sie wohnen mit Merits kleiner Tochter, ihrem erwachsenen Sohn und dessen Freundin unter einem Dach: Eine Patchwork-Familie wie sie im Buche steht. Alle wuseln durchs Haus und doch ersticken sie allmählich an ihrem Unvermögen zu kommunizieren. Merit und Eva reden miteinander, doch noch häufiger schweigen sie. Und wenn sie reden, missverstehen sie sich. Und wenn Worte nicht mehr ausreichen, mündet Merits aufgestaute Frustration oftmals in Gewalt. Dann zerreisst ein Knall die Idylle, die Ohrfeige hallt durch das ganze Haus. 

In Lüdins Debüt sucht man trotz der aufreibenden Thematik vergeblich nach viel Action. Menschen leben zusammen, können nicht mit- und  nicht ohneeinander und reden aneinander vorbei. Und mittendrin die häusliche Gewalt, die Eva erlebt. Davon, dass diese in jeder Lebensrealität vorkommen kann, erzählt mir Lüdin auch im Gespräch: «Gewalt passiert nicht nur in heteronormativen Beziehungen, denn patriarchale Strukturen durchdringen jede Beziehung.» Oftmals wird häusliche Gewalt binär verfestigt. Statistisch gesehen sind es vor allem Männer, die Gewalt ausüben. Lüdin ist sich dessen bewusst. «Und doch gibt es eben auch Frauen.» Dies wird oftmals nicht ernst genommen, Gewalt unter Frauen? Die sind doch gleich stark. In der Berichterstattung findet Gewalt in lesbischen Beziehungen kaum statt, geschweige denn im Film. Wenn Männer gegenüber Frauen Gewalt ausüben, ist das eine Situation, die das Publikum eindeutig lesen kann. Das Urteil ist schnell gefällt. Eine Geschichte, zu der man sich rasch positionieren kann, ist Lüdin aber zu einfach. Deswegen ordnet sie sich bewusst nicht eindeutig ein. Die Sympathien mit den Protagonistinnen verschwimmen – wer trägt Schuld? Diese Frage beantwortet sie den Zuschauer:innen nicht. Jedoch macht sie die Umstände und Zusammenhänge sichtbar, die den Nährboden für solche Übergriffe bilden. Was für eine Welt ist das, in der solche Hierarchien und Machtmissbräuche möglich werden?

«Letztendlich ist es jedoch egal, welches Geschlecht dein:e Partner:in hat.» Lüdin geht es nicht darum, zu betonen, dass ihr Film queer sei. Mit «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» soll eine gewisse Normalität erschaffen werden. Für Lüdin ist das ein Diversifizieren des diversen Kinos. Auch in die queere Ästhetik habe sich eine Norm eingeschlichen, die oftmals laut und bunt sei. Lüdins Film ist das Gegenteil und erzählt trotzdem von einer queeren Realität. Eine Realität, in welcher die Menschen ein Leben und viele Probleme haben und nebenbei eben auch noch queer sind. «Wir müssen aufpassen, dass der queere Film nicht selbst binär wird und zu weiteren Stigmatisierung führt.» Trotzdem ist für Lüdin klar, dass es die Unterscheidung noch immer braucht. «Wir sind als Gesellschaft leider noch nicht da, wo ich es mir wünschen würde. Es ist halt noch nicht normal und deshalb braucht es diesen Fokus auf den queeren Film.»

Regisseurin Katharina Lüdin / Bild von Jenny Fitz

Lüdin setzt sich schon lange mit Geschlechterrollen auseinander. Ob als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Fakultät für Gestaltung der UdK in Berlin, wo sie studiert, oder als Regisseurin; sie kann die Welt nicht mehr anders sehen. «Ich glaube nicht, dass ich noch einen Film drehen könnte, der sich nicht mit Geschlechterstereotypen und der Aufhebung dieser befasst», meint Lüdin. «Bilder kommunizieren immer eine Realität und wir befinden uns leider immer noch in einer antifeministischen Bildkultur.» Deshalb war es Lüdin auch wichtig, Frauen zu zeigen, die von der Gesellschaft als «älter» wahrgenommen werden (wobei das im Filmuniversum absurderweise bereits ab 35 gilt). «Im Film gibt es «ältere» Frauen in Hauptrollen oftmals nur in der Zuarbeit-Funktion an eine männliche Figur. Ausser in diesen Hausfrauen-Filmen, wo die Mutter auf Reisen geht, worauf die ganze Familie zusammenbricht, die Küche explodiert und der Vater massloss überfordert ist. Das kann man auch gleich sein lassen. Ich würde die nächsten 100 Jahre gerne nur Filme mit weiblichen, queeren, pansexuellen, genderfluiden und genderquestioning Hauptfiguren in allen Facetten sehen – eine Umdrehung der Filmgeschichte der letzten 100 Jahre.» 

Lüdins Film trägt zu diesem Aufbrechen auf eine leise, aber effektive Art und Weise bei. Er fordert heraus, unterwandert die Sehgewohnheiten und tut manchmal weh. Das Gefangensein in der eigenen Haut wird durch die analoge Kameraführung, welche einen bedrohlichen Schleier der Nostalgie über die Geschehnisse legt, fast schon schmerzlich spürbar. Die fein säuberlich ausgewählten Ausschnitte, sowie der Dialog, der rigide einem ganz eigenen Rhythmus folgt, erinnern an Theater, wirken einstudiert und teilweise artifiziell, die Pausen dazwischen sind fast unerträglich. Wie auch so oft in Realität, performen die Bewohner:innen des Hauses ihre eigene Identität – ein Spiel, das reale Nachwirkungen zur Folge hat und reale Emotionen bei den Zuschauer:innen hervorruft. Lüdin vermeidet dabei die Darstellung von roher Gewalt. «Ich bin nicht daran interessiert, mit Gewalt Emotionen oder einen Schock-Moment auszulösen.» Für sie sind die Auslassungen und Lücken interessanter: «Man setzt sich immer selbst in die Lücke und malt sich das Ausmass aus. Man wirkt sozusagen mit, reflektiert und assoziiert.» Das lasse grossen Spielraum für Interpretation, wodurch verschiedene Menschen verschiedene Filme sehen und dabei ihre ganz eigene Lücke finden.

Wenn man sich auf Lüdins Film einlässt, entwickelt er einen poetischen Sog, der durch diesen ganz eigenen Rhythmus an Kraft gewinnt. Lüdin zeigt in ihrem Debüt grandios, wie wir aneinander vorbeireden. Uns gegenseitig nicht erreichen mit unseren säuberlich durchdachten Worten, die oftmals deplatziert, zu früh oder viel zu spät kommen, und wie die Übersetzung unserer Gefühle und Gedanken so oft scheitert. Schlussendlich spuckt einen «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» aus und lässt einen mit Fragen zurück, die sich nicht so einfach beantworten lassen. Und macht somit genau das, was Lüdin intendiert.

*«Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» ist eine deutsch-schweizerische Co-Produktion zwischen Was bleibt FilmContrast Film und Katharina Lüdin Filmproduktion und ist am 03.10. am Filmfest Hamburg zu sehen. 

28. September 2023

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