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Die Schattenseiten der Schweizer Geschichte

Trittst im Morgenrot daher, seh ich dich im Strahlenmeer. Dich, du verkorkste Schweizer Geschichte. Am Nationalfeiertag der Schweiz gibt es nicht nur tolle Häppli und das schöne Wetter zu geniessen. Wir haben uns mit Pax Helvetica zusammengetan, um auch die nicht so herrliche Geschichten vom Vaterland zu thematisieren. 

Von Sina Schmid

Ich liebe die Schweiz. Ich liebe die Sicherheit, die vermeintlich positive Zukunft und die Freiheiten, die wir hier geniessen. Ich liebe die direkte Demokratie, auch wenn sie manchmal, wie Schiller meinte, die Diktatur der Dummen ist. Ich bin auch dankbar das Privileg zu haben, in der Schweiz geboren zu sein, und nie an meinem Recht gezweifelt zu haben, hier sein zu dürfen. 

Aber ich habe manchmal auch Schuldgefühle. Ich weiss, dass wir es hier nur so gut haben, weil es anderen viel schlechter geht. Und ich weiss, dass ich es in der Schweiz besser habe, als viele andere Schweizer:innen. Wir mögen es gerne real. Deshalb haben wir uns mit Pax Helvetica über die dunkleren Seiten der Schweiz unterhalten. Herausgekommen ist ein informatives Gespräch und 3 spannende Kapitel der Schweizer Geschichte, die Herr und Frau Schweizer:in leider nicht oft zu hören bekommen. 

Disclaimer: es geht hier nicht darum, die Feiertagsstimmung zu vermiesen. Sondern lediglich aufzuführen, dass die Schweiz eben oft nicht so neutral, freiheitsliebend oder gerecht war. Und nur wer von der Geschichte lernt, kann es in Zukunft besser machen. 

Die Menschenzoos im Zirkus Knie

Zirkus Knie, wo sich Gross und Klein vergnügen können. Der Familienbetrieb entzückt bis heute die breiten Massen, doch das Ganze war lange nicht so niedlich, wie wir es heute wahrnehmen. 

Bis 1964 bot der Zirkus Knie «Völkerschauen», auch «Menschenzoos» genannt, an. Was können wir uns darunter vorstellen? Nein, es sind keine Menschen, die ihre Akrobatikkünste präsentieren. Es sind Menschen, die früher als «exotisch» gedeutet wurden. Ganze Stämme, die nicht immer freiwillig in der Schweiz gelandet sind, wurden hier wie Objekte von der Lokalbevölkerung bestaunt. Gewiss, diese Menschenzoos waren nicht nur in der Schweiz beliebt. Doch wie so oft war die Bevölkerung hier langsamer im Wandel, und behielt länger als die meisten Staaten an diesem verkorksten Unterhaltungsprogramm fest. 

David gegen Wilhelm 

Dass die Schweiz während der Nazi-Zeit oft nicht so neutral war, wie sie sich gab, wissen die meisten. Ein Fall spaltete die Bevölkerung besonders. Ein jüdischer Student, David Frankfurter, beging 1936 in Davos ein Attentat auf Wilhelm Gustloff, Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz. Kurz gesagt: Frankfurter ermordete einen der damals höchsten Nazis, welcher in der Schweiz residierte. 

Seine Tat, welche als klarer Protest gegen das nationalsozialistische Regime zu deuten ist, fand nicht nur Zuspruch. Der mutige Mann, damals 27 Jahre alt, wurde mit viel Medienwirbel und unter Einfluss des NSDAP-Regimes zu 18 Jahren Haft mit anschliessendem lebenslangen Landesverweis verurteilt. Die Schweizer Behörden und ihre Neutralität wurden auf die Probe gestellt. Nach dem (vermeintlichen) Ende des Nationalsozialismus wurde Frankfurter bereits nach 9 Jahren Haft entlassen und des Landes verwiesen. Weitere 24 Jahre später wurde seine Landesverweisung vom Kanton Graubünden zurückgezogen. 

Klar, Mord ist Mord. Doch der Schweizer Hang zur Neutralität angesichts menschenverachtender Umstände bleibt trotzdem fragwürdig. 

Die Schweiz und der diktatorische Bundesrat

Wir stützen uns hierzulande auf die Gewaltenteilung, also die Trennung von Legistlative, Exekutive und Judikative. Doch während des zweiten Weltkrieges sah sich der Bundesrat dazu gezwungen, die Macht an sich zu reissen, um somit handlungsfähiger zu sein und Entscheidungen schneller fällen bzw. umsetzen zu können. 

Der Bundesrat durfte eigenständig Entscheidungen treffen, ohne Zustimmung des Parlamentes. Das Notstandsrecht macht in Krisensituationen Sinn, denn die direkte Demokratie ist zwar schön und gut, aber im Ernstfall oft nicht schnell genug. Doch auch nach dem Krieg hatte der Bundesrat nicht genug von dieser zusätzlichen Macht. Zwar war das Ziel klar, doch der Weg zurück zur direkten Demokratie schien ein langer zu sein.

Bundesrat und Parlament liessen sich bei der Umstellung von Notrecht auf direkte Demokratie mehr Zeit als Sinn macht, und legal war. Die Gefahren, welche mit einem autoritären Staat einhergehen, hätten allen klar sein müssen, besonders so kurz nach dem zweiten Weltkrieg. 

Erst nach zwei Volksinitiativen und einer knappen Mehrheit von 50.7 % Stimmen zum «Ja zur Volksinitiative Rückkehr zur direkten Demokratie» konnte dem Bundesrat die autoritäre Macht wieder entrissen werden. Parlament und Bundesrat waren nicht wirklich entzückt. Doch die direkte Demokratie siegte auch hier. Dieses Kapitel der Schweizer Geschichte ist ironisch und zeigt, wie die Schweiz funktioniert: nüchtern und bürokratisch, auch angesichts machthungriger Politiker:innen.

01. August 2022

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