Logo Akutmag
Icon Suche

Tod: Nahtoderfahrung – ein Blick ins Jenseits?

Was nach dem Jenseits auf uns wartet – Paradies, Hölle oder einfach nur schwarzes Nichts – ist wohl eines der grössten Mysterien der Menschheit. Leider kann uns niemand von der anderen Seite aus berichten. Falls es aber einfach mit dem Nichts enden würde, wie lassen sich dann Nahtoderfahrungen erklären? Im Gespräch mit Markus erfahren wir, was er gesehen und gehört hat, als er dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen ist.

Von Michèl Kessler

Nahtoderfahrung

Die grossen Diskussionen rund ums Thema Tod beginnen dann, wenn man sich fragt, was nach dem Tod auf uns wartet. Je nach Religion, Glaubenskultur oder Weltansicht scheiden sich hier die Geister. Eins steht aber fest: Eine richtige Antwort gibt es nicht. Schliesslich konnte uns bis anhin noch niemand einen authentischen Bericht aus dem Jenseits erstatten. Was es aber gibt, sind Menschen, die dem Tod sehr nahe gekommen sind und davon erzählen können, was sie in diesen Momenten gesehen oder gehört haben. 

Markus machte diese einschneidende Erfahrung im Mai 1982 in der Offiziersschule. Eines verschneiten Sonntagmorgens, als sie einen Pass des Graubündner Gebirges erklommen haben, wurde die Gruppe von einem Donnern und Chrosen überrascht und von einer darauffolgenden Lawine verschüttet. Obwohl das Ereignis bereits viele Jahrzehnte zurückliegt, erinnert sich Markus noch sehr detailreich an den Moment, als die eineinhalb Meter hohe Schneewand sie erfasste, den tiefen Hang herunter riss und vor allem an das, was danach passierte. 

Das grosse Glück des damals 23-Jährigen war der Rucksack, den es ihm über seinen Kopf gezerrt hatte. Unter der schweren Schneemasse verschaffte ihm das zumindest ein bisschen mehr Sauerstoff. Eine zweite Lawine rammte die verschüttete Gruppe kurz darauf nochmals. Nach Hilfe zu rufen brachte in diesem Moment ebenfalls nichts, sondern verbrauchte nur den wertvollen Sauerstoff. Angst und Platzangst machten sich in Markus breit. Seine Nägel kratzen erfolglos am pickelharten Eis, welches ihn schier erdrückte und bewegungsunfähig machte.

Markus fing an zu beten. Der junge Mann war zwar damals schon religiös, erzählt aber, dass die Momente danach ihn dazu brachten, auch wirklich zu seinem Glauben zu stehen. Er wollte noch nicht sterben, gestand er Gott und während er langsam das Bewusstsein verlor, legte sich auch die intensive Panik und Angst. Was danach passierte, hört man immer wieder, wenn es um Nahtoderlebnisse geht, beeindruckt aber jedes Mal aufs Neue:

Markus sei aufgestanden und in Richtung eines grellen, blau-weissen Lichts gelaufen. Angst verspürte er in diesem Moment gar nicht mehr. Allgemein habe er noch nie so etwas gefühlt oder gesehen. Ganz zum Licht gelangt sei er aber nicht, erzählt er weiter. 

Ein Zeitgefühl für diesen Moment habe er nicht. Im Nachhinein wurde ihm aber mitgeteilt, dass er gute 30 Minuten unter der Schneemasse verschüttet war. Bei einem seiner Kollegen dauerte die Bergung noch fünf Minuten länger. Dieser sei dann in den darauf folgenden Tagen im Krankenhaus verstorben.

Das Erlebte nimmt Markus nach wie vor mit und lässt einen so schnell auch nicht mehr los. Über ein halbes Jahr lang begleitete ihn in stillen Momenten das Lied «Näher, mein Gott, zu dir». Das Lied, welches beim Untergang der Titanic als letztes gespielt worden sei. Auch heute habe er noch mit den Tränen zu kämpfen, wenn er sich an den Verlust des Kollegen und die Zeit nach und während des schrecklichen Erlebnisses erinnert. 

Ob er denn jetzt weniger Angst vor dem Tod habe, will ich von ihm wissen. Schliesslich würde mich beispielsweise die Erkenntnis beruhigen, dass die Angst und Panik des Sterbens scheinbar nicht vehement bis zum Tod anhalten würde. «Jein. Aus meiner Religion und Überzeugung glaube ich sowieso an ein Leben nach dem Tod. Aber ich will natürlich noch weiterleben!»

Während, wie bei Markus, der Glaube und Gebete eine wichtige Rolle bei der Erläuterung von solchen Erfahrungen spielen, hat sich natürlich auch die Naturwissenschaft intensiv mit diesem Phänomen beschäftigt. 

Solche Nahtoderlebnisse werden da als ein breites Spektrum tiefgreifender persönlicher Erfahrungen bis hin zu sogenannten Transzendenzerfahrungen bezeichnet, die von Menschen gemacht werden, die sich in lebensbedrohlichen Situationen befunden haben. Rund fünf Prozent der Menschen weltweit machen irgendwann im Leben solch eine Erfahrung. Manche können sich aber intensiver als andere an das Erlebte erinnern.  

Die Forschung hat demnach eine Reihe von Elementen und Gefühlen identifiziert, die typisch für solche Nahtoderlebnisse sind. Diese lassen sich weltweit, unabhängig von Spiritualität, Glaube und kulturellem Hintergrund identifizieren: Die Erfahrung eines bewussten Seins ohne physischen Körper. Tunnel-, Licht-, Jenseits- und Weltraumerfahrungen, die man so noch nie erlebt habe. Gefühle von Liebe, Wärme, Frieden, Geborgenheit und Schmerzlosigkeit und doch auch in wenigen Fällen von Angst und Bedrängnis. Einige Betroffene berichten auch von Begegnungen mit verstorbenen Angehörigen oder engelhaften Wesen, mit denen sie jeweils kommunizieren konnten. Ein häufiges Phänomen sei auch das eigene Leben, welches wie ein Film an einem vorbeiziehen würde. Von diesem Erlebnis berichtet mir auch eine junge Frau über Instagram, die nach einem Autounfall aus dem Fahrzeug geschleudert wurde und alle schönen Momente ihres noch jungen Lebens an sich vorbeiziehen sah.

In den Neurowissenschaften herrscht mehrheitlich die Grundannahme, dass dieses Phänomen vom Gehirn hervorgebracht wird und die Nahtoderfahrung ein Produkt des Gehirns sei, welches vorübergehend in wichtigen Funktionen gestört ist. Die Überproduktion von Glückshormonen wird demnach durch die Unterversorgung des Gehirns hervorgerufen und lässt uns überstarke Glücksmomente fühlen. 

Sind Nahtoderfahrungen also authentische Berichte aus dem Jenseits? Ein Zeichen Gottes? Oder einfach nur ein biologischer Ablauf, der uns das Sterben erleichtert? Eine richtige Antwort wird es wohl nie geben. Was aber beruhigend ist, ist wohl die Erkenntnis, dass das Sterben doch nicht nur mit Schmerz und negativen Gefühlen behaftet sein muss.

28. November 2022

Weitere Artikel

Back:

Next:

Support us!

Damit wir noch besser werden