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Tod: EXIT – selbstbestimmt Sterben

In der Schweiz geht das Recht auf Selbstbestimmung so weit, dass wir unter gewissen Bedingungen begleitet Suizid begehen können. EXIT, die grösste Sterbehilfeorganisation der Schweiz, begleitet Menschen beim Freitod. Eine Mitarbeiterin von EXIT, ein Vereinsmitglied und ein Arzt erzählen, was Selbstbestimmung im Leben und beim Sterben für sie bedeutet.

Von Michelle Müller

Trigger Warnung: Der folgende Text behandelt die Themen Suizid und Freitodbegleitung!

Selbstbestimmung bedeutet, dass wir selbst über uns und unser Leben bestimmen dürfen. Dies ist ein Schweizer Grundrecht, das Hand in Hand mit der persönlichen Freiheit, tief in unserer Gesellschaft und unseren Gesetzbüchern verankert ist. EXIT engagiert sich als Verein dafür, dass Menschen diesem Recht bis zum Sterben nachgehen können. Mit der Freitodbegleitung begleitet EXIT jährlich fast tausend Menschen auf ihrer letzten Reise und ermöglicht ihnen einen würdevollen Tod. 

Die Voraussetzungen für die Beihilfe zum Suizid sind im Schweizer Gesetz klar vorgegeben. Dazu gehört beispielsweise die Urteilsfähigkeit der sterbewilligen Person und die Tatherrschaft, sprich die eigenhändige Ausführung des Suizids. Das tödliche Medikament «Natrium-Pentobarbital» muss von den Patient:innen zwingend selbst eingenommen werden. Wird das Medikament per Infusion verabreicht, muss die sterbewillige Person den Infusionshahn selber öffnen. Der Sterbewunsch muss wohlerwogen, konstant und autonom sein. EXIT hat zusätzliche Bedingungen festgelegt und leistet Suizidhilfe, wenn der betroffene Mensch an einer zum Tode führenden Erkrankung, subjektiv unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung leidet sowie generell bei Leiden im und am Alter. Für diesen Artikel habe ich mit drei Personen zum selbstbestimmten Sterben mit EXIT gesprochen. Sie erzählen, was Selbstbestimmung beim Sterben für sie bedeutet.

Gesellschaftlich wird der begleitete Freitod immer wieder aufgrund der ethischen Aspekte diskutiert. Zahlreiche Umfragen zeigen, dass rund 80% der Bevölkerung die Möglichkeit auf eine Freitodbegleitung befürworten. EXIT-Mediensprecherin Danièle Bersier erklärt mir im Gespräch, dass die hohe Akzeptanz gegenüber dem assistierten Suizid mit der Schweizer Selbstbestimmungskultur und der steigenden Lebenserwartung zusammenhängt. Zudem kommt eine selbst-bestimmtere Generation ins Alter, und es gibt eine grosse Zunahme an Demenzdiagnosen. Dies spiegelt sich auch in den stark wachsenden Mitgliederzahlen. Rund 150’000 Mitglieder zählt der Verein heute, und damit ist EXIT eine der grössten Sterbehilfeorganisationen weltweit.

Die meisten älteren Menschen sind sich in der Schweiz ihr Leben lang gewöhnt, selbst zu bestimmen. Dieses Prinzip wollen sie sich auch am Lebensende nicht nehmen lassen.

Danièle Bersier, EXIT-Mediensprecherin

Wichtig ist zu erwähnen, dass ein begleiteter Freitod nicht von heute auf morgen ausgeführt werden kann. Freitodhilfe benötigt eine gewisse Vorbereitungszeit, erzählt mir Danièle Bersier. Zudem werden einige Dokumente, wie eine Diagnoseliste und die Bestätigung der Urteilsfähigkeit durch eine Ärztin oder einen Arzt, benötigt. In persönlichen Gesprächen wird über die Situation gesprochen und Alternativen wie zum Beispiel Palliative Care werden aufgezeigt. 

Sandra* ist eine der 150’000 Mitglieder von EXIT. Sie setzt sich mit dem Sterben und dem eigenen Tod auseinander und erzählt mir, warum sie die Möglichkeit haben möchte, mit EXIT zu sterben. «Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch, habe gerne die Kontrolle über mein Handeln und lasse mich ungern fremdbestimmen, sowohl im Leben wie auch im Sterben.»

Die Vorstellung vom Sterben und der Tod machen ihr keine Angst. Sie sei in einem Alter, wo man sich mit dem Sterben auseinandersetzt, erzählt sie mir. Nach dem Tod ihrer Grossmutter wird das Thema erstmals in der Familie vertieft diskutiert, und sie entscheidet sich gleichzeitig wie ihre Eltern zu einem Beitritt bei der Organisation. Lange sei die Grossmutter in einem Heim gewesen und dort «dahinvegetiert», bevor sie endlich sterben konnte, erzählt Sandra. «Ich weiss, wann mein Leben für mich nicht mehr lebenswert ist, und da soll mich niemand bevormunden.»

Ihre Eltern starben auf natürliche Weise. Sie selbst findet es gut zu wissen, dass es EXIT für alle Fälle gibt. Auch ihre eigenen Kinder wissen von der Mitgliedschaft.

Dass ich bei EXIT bin, beruhigt mich. Ich weiss, dass ich ein Mitspracherecht für mein Leben habe, bis zum Schluss.

Sandra, Mitglied bei EXIT

Christian* hat als Hausarzt bereits Patient:innen auf dem Weg zum Tod mit EXIT begleitet. Als Arzt hat er die genannten Dokumente ausgestellt und das zum Tode führende Medikament verschrieben. Er erzählt mir, dass das Thema unter Ärzt:innen kontrovers diskutiert wird und nicht alle Ärzt:innen ihre Patient:innen bei diesem Schritt begleiten möchten. Viele Menschen sind es sich gewohnt selbstbestimmt zu leben, aber nicht selbstbestimmt zu sterben. Er denkt, dass hier zunehmend ein Umdenken stattfindet. Allerdings sei das Thema sehr Kultur-, Religions- und Glaubensabhängig.

Grundsätzlich ist es seine Aufgabe als Arzt Menschen zu helfen und sie weiterleben zu lassen. Die hausärztliche Begleitung gehe aber von der Wiege bis zur Bahre. Bei einer zu Tode führenden Krankheit sehe er auch eine Begleitung auf diesem Weg als seine Aufgabe an. 

Menschen zu helfen in Würde zu sterben und nicht qualvoll dahinzusiechen, ersticken oder einen Tod zu erleben, den ich keinem wünsche, ist aus meiner Sicht auch eine ärztliche Aufgabe.

Christian, begleitender Hausarzt

Selbstbestimmung ist für ihn sehr wichtig. Patient:innen bei ihrer Selbstbestimmung bis zum Tode zu begleiten, gehört dazu. Christian möchte seinen Patient:innen alle Optionen aufzeigen. Ausserdem ist es ihm wichtig, dass er das soziale Umfeld und die Familie bei der Entscheidung (shared decision-making) miteinbeziehen und unterstützen kann. Selbstbestimmung bis zum Lebensende bedeutet aber, dass der Entscheid schlussendlich beim Patienten selbst liegt. 

Der Tod ist abstrakt, gestorben wird aber lebendig.

Christian, begleitender Hausarzt

*Namen wurden von der Redaktion geändert.

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