Wenn die Zeiten noch irrer werden, wird diese Kolumne bald nicht mehr «Fight the Power» heissen, sondern «Shooting Heroin», «Wein und Haschisch» oder «Mord und Totschlag». Wer weiss das schon. Die paar Krypto-Münzen etwa, die ich damals kaufte, um im Darknet Drogen zu kaufen oder Wikileaks zu unterstützen, als die USA den gesamten Zahlungsnetzwerk der Enthüllungsplattform blockierten, entpuppen sich als hochspekulativer, umweltschädigender Wahnsinn, politisch einzig noch anschlussfähig an die Wall Street und rechtsextreme Libertäre, die in dem Krypto-Geld den Ersatz für das untergegangene Bankgeheimnis sehen: Keine Steuern, kein Gemeinwesen – der Staat nur noch ein Nachtwächter, dessen Polizist*innen Flüchtende an Europas Grenzen ertrinken lassen.
Ich schalte Twitter ein und sehe Polizist*innen in Deutschland, die sich zu hunderten in rechtsextremen Chats treffen, die tausende Schuss Munition stehlen, um damit Schiesstrainer zu versorgen, die Teil waren von Nazi-Netzwerken. Ich schalte Twitter wieder aus. Es klingt wie eine Dystopie, ist aber bei genauer Betrachtung alles noch viel irrer: Denn gleichzeitig sitzt seit Monaten eine Studentin aus Leipzig in Untersuchungshaft, weil sie einen Neonazi zusammengeschlagen haben soll. Verdacht der Justiz, die mit den hunderten Ermittlungspannen rund um die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) offenbart hat, auf welchem Auge sie blind ist: Gründung einer kriminellen Vereinigung. Mehr zu dieser Sache in der nächsten Kolumne. In der Schweiz, nach unzähligen schrägen Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen, wissen wir wenigstens schon, dass die Polizei am 1. Mai mit aller Härte gegen Linke vorgehen wird, während man rechte Verschwörungstheoretiker demonstrieren lässt, obwohl diese gegen jegliche Demonstrations-Auflagen verstossen. Man weiss, man könnte solche Aufmärsche verhindern, wenn gegen Auflagen verstossen wird. Aber man will es offensichtlich nicht, wenn es sich dabei um Rechte und Steiner-Schul-Lehrerinnen handelt. Aber ein System, das auf die einen einprügelt, demonstrierende linke Frauen am 8. März etwa, und die anderen mit Samthandschuhen streichelt, verspielt die Rechtssicherheit, verspielt das Vertrauen, und das ist dann der Anfang vom Ende.
Eigentlich wollte ich hier über Tillie Kottmann schreiben, eine 21-jährige Hackerin aus Luzern, welche die USA für mindestens zwei Jahre aber vermutlich eher für zwanzig Jahre ins Gefängnis werfen wollen, weil sie einerseits Bauanleitungen für Chips der Firma Intel ins Netz gestellt haben soll, andererseits sich darüber mit Journalist*innen aktiv ausgetauscht hat («Verschwörung», so der Vorwurf) und zudem zu einem späteren Zeitpunkt, im März 2021, ein riesiges privates Überwachungssystem entlarvt hat: Beim Silicon-Valley Start-Up Verkada kann man sich als Kund*innen, als Firma, als Spital, als Gefängnis, hochaufgelöst zentralisiert überwachen lassen. Was man heute halt so braucht. Und weil der Überwachungskapitalismus rentieren muss, lagen die Zugangsdaten für dieses riesige, hochaufgelöste Überwachungssystem – 150’000 Kameras insgesamt – offen im Netz. Kottmann, die queere Hackerin und Anarchistin aus Luzern, spazierte in das offene Überwachungs-Haus hinein und spielte die Daten einem Journalisten von Bloomberg zu (die somit in Gefängnishöfe blicken konnten, in eine Tesla-Fabrik, in Spitalbetten): Weltweite Schlagzeilen waren die Folge. Die «Washington Post» schrieb, die Luzernerin habe aufgezeigt, wie der um sich greifende Überwachungswahn zur eigentlichen Bedrohung für unsere Sicherheit werde. Statt Kottmann zu danken, verfolgt sie nun das FBI und eine Bundesstaatsanwältin: Sie wird die Schweiz in den nächsten Jahren nicht mehr verlassen können. Und weil sie mit ihrem Aktivismus in der Tradition des Hackers Jeremy Hammond steht, der nach einem Schuldeingeständnis zehn Jahre in einer Bundeshaftanstalt absitzen musste, weiss man auch: Das ist kein Spiel. Edward Snowden, der uns gezeigt hat, dass dieser Staat, der Hacker mit aller unverhältnismässigen Härte verfolgt, uns gleichzeitig selber hackt, überwacht, ausspioniert, ist gezwungen, in Russland zu leben. Julian Assange drohen 175 Jahre Haft dafür, weil er Kriegsverbrechen der US-Armee im Irak aufgedeckt hat – die selber nie verfolgt wurden. «Shooting Heroin», «Wein und Haschisch» – alles in Trümmern.
Ich porträtierte Kottmann für die «Republik», wo sie mir zu den Motiven ihres Hackerkollektivs sagte: «Letztlich wollen wir den Kapitalismus überwinden. Und bis dahin zumindest für ein bisschen mehr Transparenz sorgen.» Weiter sagte sie (und fasste damit gleich auch ziemlich gut zusammen, warum die US-Behörden Menschen wie sie so massiv verfolgen): «Die Artikel in den Medien auch über meine Aktionen sind häufig positiv, und das ist sicherlich ein Problem für die Amerikaner oder das kapitalistische System. Weil wir oft Missstände aufzeigen. Oder einen Einblick geben, wie diese Computersysteme überhaupt funktionieren. Wir werden mit jedem Tag von diesen Systemen abhängiger, wir werden jeden Tag mehr überwacht, und wir wissen praktisch nichts über das Innenleben der Systeme. Was sich darin verbirgt. Wie die Algorithmen programmiert werden. Was mit unseren Daten passiert, wer alles mitliest und mitschaut. Oder dass ärmere Länder keine Möglichkeit haben, gewisse Dinge ebenfalls zu produzieren, weil man die Bausätze nicht kennt. Ich kämpfe für Open Source. Und für Transparenz.»
Für ihre Verteidigung konnte Kottmann in den USA inzwischen den umtriebigen und umstrittenen und als furchtlos bekannten New Yorker Anwalt Stanley Cohen gewinnen, der schon verschiedene Anonymous-Hacker*innen verteidigte aber auch islamische Fundamentalisten, weil er der Meinung ist, dass jeder Mensch das Recht auf ein faires Verfahren und eine anständige Verteidigung hat. Eine solche anständige Verteidigung wird sie brauchen können. Die US-Bundesstaatsanwältin Tessa Gorman sagte gegenüber «Reuters» über die junge Luzernerin: «Ein angeblich selbstloses Motiv vor sich herzutragen, das wird den Gestank des Kriminellen nicht von dieser Art von Einbruch, Diebstahl und Betrug waschen.»
Der konstruierte Betrug um nicht vom politischen Inhalt der Aktion reden zu müssen: Kottmann habe ihren Ruhm als Hackerin zu Geld gemacht, so die US-Anklage, weil sie ein paar selbstgedruckte T-Shirts verkauft habe. Allein darauf stehen in den USA mehrere Jahre Haft.
Für ihren Prozess begann Tillie Kottmann im Netz Geld zu sammeln. Da passiert dann folgendes: Beim Stand von fünftausend Dollar wurde ihr Go-Fund-Me-Account suspendiert. So wie auch ihr Twitter-Account, jedes Mal, wenn sie wieder rund fünftausend Follower erreicht hat.
Inzwischen läuft eine neue Spendensammlung. Ein guter Ort also, um zum Beispiel ein paar von seinen hochspekulativen Krypto-Münzen loszuwerden.
Spenden kannst du hier.
28. April 2021
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