Die Beziehung zwischen Jaclyn, Laurie und Kate, drei Freundinnen seit Kindertagen, wird während ihres Aufenthalts in Thailand auf eine harte Probe gestellt. Was einst unerschütterlich war, zeigt nun Risse – nicht nur in der Freundschaft, sondern auch in der Frage, was es bedeutet, sich verbunden zu fühlen, wenn der gemeinsame Weg vielleicht längst hinter ihnen liegt.
Beste Freundinnen für immer – ein Wunsch, der tief in vielen verankert ist. Und wie sollte es auch anders sein? Unsere Gesellschaft zeichnet in Filmen, Serien und Erzählungen ein Idealbild: Man ist erst ganz, wenn man diese eine oder zwei Vertrauten hat, mit denen man über alles sprechen kann. Die einen auffangen, unterstützen – bedingungslos. Dieses Bild war für mich lange ein Ideal, ein Versprechen von Zugehörigkeit. Doch wie viele dieser langjährigen Freundschaften sind am Ende wirklich so unkompliziert, wie wir sie uns in Kindheitsträumen ausmalen?
Ich habe zwei solcher langjährigen Freundschaften. Lange waren wir ein Trio, das sich durch genau diese Dreierkonstellation definierte. Unzertrennlich. Die Wahrheit ist jedoch: Dreierfreundschaften sind wunderschön – und hochkomplex. Sie können Nähe schaffen, die mit keiner anderen Beziehungsform vergleichbar ist. Und gleichzeitig Dynamiken erzeugen, die tiefer unter die Haut gehen als jede Liebesgeschichte.
Vielleicht hat mich genau deshalb die dritte Staffel von «The White Lotus» so bewegt. Und wie die Resonanz in den sozialen Medien zeigt, war ich damit nicht allein. Nicht wegen der Krimihandlung oder der satirischen Gesellschaftskritik – sondern wegen der humorvollen, feinfühligen und darin manchmal schmerzhaft ehrlichen Darstellung der Beziehung zwischen Jaclyn, Laurie und Kate, drei Frauen, seit Kindheitstagen befreundet. Ihr gemeinsamer Urlaub im White Lotus Resort auf Koh Samui wird zur Reise in die Tiefenschichten einer Verbindung, die einst selbstverständlich war – und nun an vielen Stellen Risse zeigt.
Freundschaften sind Beziehungen, die in unserer Gesellschaft oft unter den Tisch fallen. Sie werden selten mit der gleichen Tiefe und Bedeutung behandelt wie romantische Partnerschaften – obwohl sie genauso formend, genauso verletzend und genauso lebensverändernd sein können. In Filmen und Serien stehen meist Liebesgeschichten im Mittelpunkt. Freundschaften, vor allem zwischen Frauen, sind oft nur Nebenschauplätze. Wir sind es gewohnt, Frauen in Filmen über ihr Verhältnis zu Männern definiert zu sehen, und wenn Frauenfreundschaften gezeigt werden, dann oft entweder als belanglose Sidekick-Story oder als giftige Konkurrenz. Frauen dürfen dann bestenfalls nett oder loyal sein – selten jedoch widersprüchlich, wütend oder widerspenstig. Und noch seltener dürfen sie all das auf einmal sein.
Was die dritte Staffel von «The White Lotus» also besonders macht (abgesehen von Aimée Lou Wood und Charlotte Le Bons fantastischer Schauspielleistung und Zähnen – die mich dazu brachten, meine eigenen plötzlich ein wenig mehr zu schätzen – fand ich die Staffel mittelmässig) war also nicht nur, dass sie die Freundschaft von drei Frauen über vierzig in den Mittelpunkt stellt – sondern wie.
Jaclyn, die erfolgreiche Schauspielerin mit der unterschwelligen Dominanz. Kate, die religiöse Hausfrau aus Texas. Und Laurie, die intellektuelle, geschiedene Anwältin in New York, die man vielleicht am wenigsten durchschaut – und mit der man sich doch am ehesten identifiziert. Diese drei Frauen reisen gemeinsam in den Urlaub, um sich wieder näherzukommen. Doch es dauert nicht lange, bis klar wird: Die Nähe von einst hat sich verschoben. Was sie noch verbindet, ist nicht mehr ein gemeinsames Leben, sondern vor allem eine geteilte Vergangenheit. Und unter dem Wunsch nach Quality Time brodelt eine fragile Mischung aus Rivalität, Enttäuschung und jahrzehntelang nicht ausgesprochenen Erwartungen.
Dreierfreundschaften aktivieren oft tiefe Bindungsmuster: Wer bleibt aussen vor? Wer bleibt neutral, um die Gruppe zusammenzuhalten? Unbewusst entstehen Rollen: die Anführerin, die Vermittlerin, das dritte Rad. Niemand entscheidet sich bewusst dafür – doch das Rollenspiel scheint unausweichlich und die Dynamiken laufen meist subtil ab. Sie äussern sich nicht in offenen Konflikten, sondern in Blicken, Auslassungen, Codes. In Gesprächen, die geführt werden, wenn eine fehlt. In Komplimenten, die mehr über die Sprechende sagen als über die, die sie hören soll. Und manchmal auch in der leisen Erleichterung, nicht diejenige zu sein, die gerade aussen vor ist. In Laurie, Kate und Jaclyn wird eine Urangst sichtbar, die viele kennen – und die in Dreierkonstellationen fast unausweichlich aufscheint: die Angst, diejenige zu sein, die nicht mitgemeint ist. In «The White Lotus» ist es Laurie, die immer wieder in diese Randposition gedrängt wird. Nach einem gemeinsamen Abend, an dem vor allem Kate und Jaclyn sich gegenseitig Komplimente machten, sieht man Laurie in ihrem Zimmer weinen – mit 40 Jahren. Und denkt sich dabei so: relatable as fuck. Und spürt auch: Der Schmerz, nicht ganz Teil einer Verbindung zu sein, verliert mit dem Älterwerden nicht an Intensität.
Während man die drei beobachtet, fragt man sich unweigerlich: Warum sind sie überhaupt noch befreundet? Warum sagt Laurie nicht einfach, was sie denkt? Warum geht sie nicht? Und gerade als man denkt, das sei der Moment für ihren Befreiungsschlag – das grosse, wütende Plädoyer – passiert etwas anderes. Der wahre Plot-Twist der Staffel ist nicht dramatisch.
In der letzten Folge, beim Abschiedsessen, wird Laurie zum ersten Mal brutal ehrlich – und zwar sich selbst gegenüber. Jaclyn und Kate schwärmen von der Woche. Alles sei wunderbar gewesen, sie seien sich wieder so nahe wie früher. Und Laurie? Laurie sagt Folgendes:
«That’s funny, ’cause if I’m being honest, all week I’ve been so sad. I just feel like my expectations were too high, or…I just feel like as you get older, you have to justify your life, you know? And your choices…and when I’m with you guys, it’s just so transparent what my choices were, and my mistakes.»
Kein Drama. Kein Aufbegehren. Sondern ein Monolog, der unter die Haut geht. Laurie sagt, sie hätte kein Glaubenssystem mehr, das alle Goals, die ihr von der Gesellschaft verkauft worden sind, nicht die Karriere, nicht die Ehe und auch nicht die Mutterschaft, sie der Erleuchtung nähergebracht hätten. Doch hier in Thailand hätte sie realisiert, dass es die Zeit ist, einschliesslich der Langlebigkeit ihrer Freundschaft mit Jaclyn und Kate, die ihrem Leben einen Sinn gibt.
Die Geschichte von «The White Lotus» ist irgendwann auserzählt. Denn trotz des Grande Finale, der Schiesserei und der Toten liegt der wahre Höhepunkt der dritten Staffel in einem viel leiseren Moment: Lauries Monolog. Denn dieser Moment wirkt über das Geschehen der Serie hinaus. Er räsonniert auf einer tieferen Ebene – einer gesellschaftlichen, kollektiven, menschlichen.
Denn was Laurie dort sagt, ist mehr als ein persönliches Eingeständnis. Es ist eine Frage an uns alle – ein gesellschaftlicher Spiegel: Wie spricht man über eine gemeinsame Vergangenheit, ohne sich in ihr zu verlieren? Was verbindet uns in einer Zeit, in der Individualität, Selbstverwirklichung und Autonomie dominieren? Und wie lässt sich Kollektivität überhaupt denken – jenseits von Harmonie, jenseits von Gleichklang?
Langjährige Freundschaften – und besonders Dreierfreundschaften – lehren uns etwas, das wir im Alltag gerne vergessen: dass Beziehungen nicht nur dann wertvoll sind, wenn sie reibungslos funktionieren. Im Gegenteil – gerade ihre Reibung eröffnet Räume. Sie zwingt uns, uns selbst zu befragen. Sie fordert uns heraus, im Gespräch zu bleiben, auch wenn es unbequem wird. Vielleicht liegt genau darin ihr Wert: nicht in der Beständigkeit, sondern in der Fähigkeit, Wandel zuzulassen.
Ich weiss heute: Diese Dreierkonstellationen fordern uns heraus. Sie lassen uns wachsen. Und manchmal lehren sie uns Bescheidenheit – nicht, weil alles harmonisch ist, sondern weil wir in ihnen lernen, mit Disharmonie zu leben. In dieser Reibung liegt manchmal eine besondere Art von Nähe. Und vielleicht, nur vielleicht, unser grösstes Entwicklungspotenzial.
15. April 2025