Ein paar Wochen später war ich mittendrin im Programm, da tauchte dieses Interview mit Doechii auf – in dem sie erzählte, dass sie «The Artist’s Way» gemacht habe, worauf sie anschliessend einen Grammy gewonnen hat. Und zack: Das Buch war überall. Ich scrollte durch mein Handy, sah den Hype – und dachte: Na toll, ich hab’s nicht wegen des Grammys gemacht, aber gut zu wissen, dass es theoretisch möglich ist.
Was viele nicht wissen: «The Artist’s Way» ist kein klassisches Buch, das man einfach liest. Es ist ein Zwölf-Wochen-Programm, ein Prozess, in dem man sich – ja, wirklich – selbst begegnet. Ich weiss, das klingt ein bisschen kitschig. Aber ich wüsste nicht, wie ich es treffender sagen könnte. Es geht nicht darum, plötzlich ein* grosse*r Künstler*in zu werden. Es geht darum, sich selbst und seine Kreativität wieder neugierig zu betrachten.
Jede Woche beinhaltet drei Elementen: den Morning Pages, einem Artist-Date und einem neuen Kapitel mit mehreren Aufgaben für jede der 12 Wochen. Die Morning-Pages bestehen aus drei Seiten freiem Schreiben – direkt nach dem Aufstehen, ganz ungefiltert. Der Kopf leert sich einfach aufs Papier. Dann das Artist-Date: ein wöchentliches Solo-Date mit dir selbst, bei dem du tust, worauf du Lust hast – allein ins Museum gehen, ziellos durch die Stadt laufen, Kinderfotos anschauen, Steine sammeln. Das klingt alles harmlos, fast albern, aber mit der Zeit verschieben sich kleine Dinge im Inneren. Und dann sind da noch die Aufgaben: «Schreib einen Brief an dein jüngeres Ich», «Erinnere dich an deinen ersten kreativen Impuls», «Richte dir eine Ecke zuhause ein, die nur dir gehört» – manche inspirierend, manche seltsam, manche überraschend persönlich und herausfordernd.
Was ich in diesen zehn Wochen gelernt habe, lässt sich schwer in wenige Sätze pressen. Aber ich versuch’s trotzdem.
Erstens: Zeit ist ein ernstzunehmendes kreatives Material. Dieser Prozess lässt sich nicht in fünf Minuten zwischen Kaffee und Kalender quetschen. Das Schreiben am Morgen, das Lesen, die Reflexion – all das braucht Präsenz. Und genau das ist das erste kleine Geschenk: Ich habe angefangen, mir wieder bewusst Zeit für mich selbst zu nehmen. Und ja, meine Hand hat in der ersten Woche vom vielen Schreiben verkrampft, weil ich die letzten Jahre kaum noch von Hand geschrieben habe . Aber selbst das fühlte sich irgendwie toll an, zumal mittlerweile meine Hand keinen Krampf mehr kriegt.
Zweitens: Es lohnt sich, sich selbst zuzuhören. Anfangs schienen meine Morning-Pages nur ein chaotischer Gedankenhaufen zu sein. Aber als ich später zurückblätterte, entdeckte ich plötzlich Muster. Themen. Richtungen. Es war, als hätte mein Unterbewusstsein längst gewusst, wo es hingehen will – und ich musste nur still genug werden, um es zu hören. Also: Schreibt leserlich, ihr werdet euch selbst darin wiederfinden.
Drittens: Es gibt da diese Stimme. Diese leise, aber hartnäckige Stimme, die alles kommentiert. Die sagt, das ist doch Quatsch. Dass du kein Talent hast. Keine Zeit. Keine Berechtigung. Es ist nicht leicht, ihr zu begegnen – aber es ist wichtig. Denn man merkt irgendwann: Diese Stimme ist nicht man selbst. Sie ist nur laut. Und meistens hat sie Unrecht. Das Buch spricht immer wieder von diesem inneren Saboteur, diesem Kritiker, den wir alle haben. Es gibt Wege, ihn zu erkennen, ihn leiser zu machen – und sogar zu sehen, wann er uns vielleicht auch schützt.
Was mir aber am meisten geblieben ist: Nicht alles, was ich erschaffe, muss irgendwo hinführen. Ich habe mir so oft eingeredet, eine Idee sei nur dann wertvoll, wenn sie zu etwas wird – ein Post, ein Projekt, ein Job. Aber «The Artist’s Way» erinnert einen daran, dass Kreativität nicht immer ein Ziel braucht. Man darf einfach tun, was Freude macht. Ohne Zweck. Ohne Applaus. Man darf wieder Kind sein. Malen, spielen, spinnen – ganz für sich.
In den letzten Wochen habe ich Dinge gemacht, die ich sonst niemals ausprobiert hätte. Ich war in einem Opern-Schnupperkurs, habe einen Schauspielkurs besucht und wieder angefangen, Mundharmonika zu üben. Und ich habe Orte besucht, Ausstellungen gesehen und Räume betreten, die ich sonst als nichts für mich abgestempelt hätte. Jetzt sind sie total für mich.
Ich weiss nicht, ob dieses Programm für jede*n funktioniert. Aber ich kann für mich sagen, dass ich anders mit mir selbst spreche, seit ich damit begonnen habe. Dass ich mir öfter zuhöre. Und dass ich mich auf diese Dates mit mir selbst tatsächlich freue – auch wenn die Dates manchmal komisch, traurig oder einfach nur still sind.
Es geht nicht darum, den Grammy zu gewinnen. Es geht darum, die eigene Stimme wiederzufinden. Und das, finde ich, ist vielleicht sogar mehr wert – nicht nur für seine Kreativität, sondern für das ganze Leben.
23. März 2025