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Tanz: Ballett – zwischen Faszination und Empörung

Die Welt des klassischen Balletts ist eine eigene. Nur wenige sprechen ihre Sprache. Doch ist man einmal in sie eingetaucht, kommt man nur schwer wieder raus. Wir begeben uns auf einen Tauchgang in die faszinierende Welt, in der die Zeit stehen zu bleiben scheint und die ebenso viele Schattenseiten, wie Rampenlicht mit sich bringt.

Von Leila Alder

Die Geschichte des klassischen Balletts

Die Geburtsstunde des klassischen Balletts liegt viele Jahre zurück. Aus Schauspiel und tänzerischen Spielen entwickelte es sich im 15. und 16. Jahrhundert, an den französischen und norditalienischen Fürstenhöfen. Damals war es aber noch weit entfernt von der präzisierten Form, die wir heute kennen und wurde vor allem an Festen, zur eigenen Freude oder zur Unterhaltung getanzt. Die erste Ballettakademie wurde 1661 vom französischen König Ludwig XIV gegründet, wodurch es eine eigenständige Kunstform wurde, die seither von Berufstänzer:innen ausgeführt wird.

Um 1700 wandelten sich die Tanztechniken und die Form des Aufführens. Es wurden erste Tanzstücke mit Handlung geschrieben, die stark an die Oper angelegt oder Teil davon waren. Mit der von Jean-Baptiste Lully erfundenen «Tragédie lyrique» bildete sich eine kunstvolle Gegenwelt zur wirtschaftlichen Realität, die jedoch immer weniger Anklang beim Publikum fand und als nicht mehr zeitgemäss empfunden wurde. So entwickelten sich die französische und die italienische Tanzkunst weiter und verbreiteten sich immer mehr im restlichen Europa. Es wurden anspruchsvollere Stücke geschrieben, von Ballettmeistern, die sich mit der Darstellung von Handlung und Gefühlen durch Tanz auseinandersetzten. Einer von ihnen war der französische Ballettmeister und Choreograf Jean Georges Noverre (1727-1810). Er gilt als Begründer des Handlungsballetts. Aus dieser Zeit stammt auch das noch immer aufgeführte Stück «La Fille mal gardée» (1789) von Noverres Schüler Jean Dauberval.

Die Entstehung der Kompanien und die Entwicklung des Balletts

Bild von Unsplash / Kazuo Ota

In der französischen Revolutionszeit wurden in allen wichtigen Städten Europas Ballettkompanien gegründet. Jede von ihnen lehrte eigene Techniken und Stile. So wurde die Entwicklung des klassichen Balletts von verschiedene Choreografen, Meistern, Ballerinas und Ballerinos beeinflusst und geformt. So wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Beispiel das romantische Ballett geboren, welches mit dem Aufkommen des Spitzentanzes verbunden war. Hauptfiguren waren meist Geister oder Seelen verstorbener Mädchen, die mit ihrem faszinierenden Wesen Männer um den Verstand brachten. Ein besonders bekanntes Stück dieser Gattung ist das Werk «Giselle». Zum Ende des 19. Jahrhunderts verschob sich das Zentrum der Ballettwelt von Frankreich nach Russland. Ein Mann, der diese Verschiebung besonders geprägt hat, war der Tänzer, Choreograf und Ballettmeister Marius Petipa (1818-1910). In der Rolle des ersten Ballettmeisters des Balletts in St. Petersburg schuf er weltbekannte Werke wie «Schwanensee», «Nussknacker» oder «Dornröschen». Für die Musik wurde der Ballettfan und junge Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowski beauftragt. Auch heute gelten diese Stücke noch als einige der wichtigsten der Ballettgeschichte.

Doch die beeindruckende und hochspezialisierte Technik des klassischen Balletts traf bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Kritik von Bewegungspädagogen wie François Delsarte. Und so erlebte der Ausdruckstanz einen Aufschwung, durch den zahlreiche Ballettkonventionen angegriffen und abgeschafft wurden. Es entwickelten sich neue Darstellungsformen. Bildende Künstler:innen wie die Dadaistin Sophie Taeuber-Arp versuchten sich auch als Bühnentänzer:innen und stellten das klassische tänzerische Handwerk in Frage.

Mit dem Ausdruckstanz und dem verwandten Modern Dance, der sich vor allem in den Staaten verbreitete, begann man das klassische Ballett immer mehr zu hinterfragen und zu erneuern. Nebst den daraus entstandenen zeitgenössischen Tänzen, existiert das klassische Ballett in seiner ursprünglichen Form aber noch immer und erlebte einige Jahre später einen Aufschwung.

Das (un)moderne Ballett und die Frage der Diversität

Ballett ist ein Spitzensport. Der wohl ästhetischste und gefühlsvollste – aber immer noch Spitzensport. Gerade die gewichtete Ästhetik macht die Ballettwelt umso härter: Wer über keinen schlanken, weissen Körper mit schönen Linien verfügt, hat wenig bis keine Chancen auf Erfolg. Was bestimmt auch in früheren Zeiten problematisch war, scheint mit der fortschreitenden Sensibilität fürs Anderssein aber beinahe unvorstellbar. Die in Ballettstudios und auf den Bühnen getragenen Strümpfe sind weiss, die Spitzenschuhe der Tänzerinnen hellrosa. Als ein englischer Fabrikant 2019 begann, Spitzenschuhe in dunkleren Tönen herzustellen, hagelte es Kritik: «Ballett war schon immer mit der Farbe Rosa verbunden, Ballett muss rosa bleiben». So überrascht es auch nicht, dass erst 2015 Misty Copeland die erste afroamerikanische Primaballerina am American Ballet Theatre und damit eine der ersten PoC Primaballerinas überhaupt wurde. Doch auch sie ist schlank, filigran, bildhübsch – wann und ob wir die erste Primaballerina sehen werden, die eine andere Tutu-Grösse trägt oder nicht die klassischen Schönheitsideal bedient, steht in den Sternen. Etwas problematisch, denn besonders die Tänzerinnen leiden oftmals unter dem krassen Druck, ihre Körper so schlank wie möglich zu halten.

Bild von Unsplash / Gez Xavier

Ein weiteres Thema, das im Ballett aussen vor gelassen wird, ist die Identitätspolitik: Punkto sexuelle Orientierung herrscht zwar hinter den Kulissen eine Vielfalt und Offenheit, auf der Bühne und in den klassischen Stücken sieht dies jedoch anders aus. Oftmals müssen sich homosexuelle Tänzer:innen in die Rolle eines hetero Prinzen oder einer hetero Königin begeben. An der Tradition wird nicht oder nur sehr widerwillig gerüttelt. «Irgendwie ist es schlimm, aber irgendwie auch schön, dass etwas einfach so bleibt, wie es ist. Nicht alles hinterfragt und verändert wird. Sondern einfach die heile Ballettwelt bleibt, in die man flüchten kann», so eine ehemalige Tänzerin. Doch, war Ballett einst nicht eine Kunstform, die sehr wohl gesellschaftliche Themen reflektierte und immer weiterentwickelt wurde? Und wie heil ist die Ballettwelt wirklich? Ist sie nicht gefüllt mit Schmerz, Melancholie, Blut, Schweiss und Tränen?

Alexander Jones, Solist des Balletts Zürich, hat mit uns über diese Problematik, die Welt des Balletts und die Liebe zur Verausgabung gesprochen.

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Was ist das Schönste und was das Schlimmste an deinem Beruf?

Alexander: Es ist schwierig, das Schönste und das Schlimmste zu benennen. Aber eines der schönsten Dinge ist, das Publikum mit deiner Performance zum Mitfühlen zu bringen. Wenn sie bei deiner Version von «Romeo und Julia» weinen, weisst du, dass du den Punkt getroffen hast.

Ich glaube, für eine/n Tänzer:in ist es das Schlimmste, wenn man in einer bestimmten Rolle gefangen ist oder in eine Box gesteckt wird. Wenn man das Gefühl hat, dass man als Tänzer:in mehr zu bieten hat, es aber es nicht zeigen darf. Fortschritt ist Wachstum, Wachstum ist Fortschritt, und wenn wir als Mensch und Tänzer:in nicht wachsen können, ist das meiner Meinung nach das Frustrierendste.

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Warum wolltest du Balletttänzer:in werden?

Ich wollte eigentlich gar nicht Tänzer werden. Ballett war für mich eine Chance, aber definitiv keine Wahl. Mit 11 Jahren wusste ich noch nicht, was ich werden wollte, aber meine Eltern sahen es als Chance für mich, um aus der Gegend, in der sie lebten, herauszukommen und auf eine sehr gute Schule zu gehen. Wenn ich nicht Tänzer werden würde, so hätte ich da wenigstens eine gute Schulbildung. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, jemals davon geträumt zu haben, Tänzer zu werden. Ich war sehr aktiv und habe vor dem Tanzen viel Sport getrieben. Ich bin der festen Überzeugung, dass man umso mehr Erfolgschancen hat, je breiter man in verschiedenen Bereichen aufgestellt ist, wenn man sich dann schlussendlich auf eine bestimmte Disziplin konzentriert.

Wie denkst du über die fehlende Diversität im Ballett? Hautfarben, Körperformen oder auch über den Fakt, dass in keinem klassischen Stück Homosexualität thematisiert wird?

Natürlich würde ich in der Ballettwelt gerne so eine starke Bewegung zu mehr Diversität sehen, wie in anderen Bereichen. Es geht aber langsam in die richtige Richtung. Mein Bruder hat zum Beispiel eine gemeinnützige Organisation «Artists Alliance for Africa» gegründet, deren langfristiges Ziel es ist, eine Berufsschule für Kinder aus ganz Ostafrika zu gründen. Sie wird ihren Sitz in Nairobi, Kenia, haben. Ich bin zudem Botschafter einer gemeinnützigen Organisation namens «What Dance Can do Project», die sich zum Ziel gemacht hat, Tanz und Kunst in Gegenden zu bringen, die von Armut oder Unglück betroffen sind und die oft übersehen oder ausgelassen werden, wenn es um Kunst geht.

Es ist dennoch wichtig, dass wir, egal wie wir versuchen, den Tanz in anderen Kulturen zu integrieren, ihnen nicht unsere westliche Geschichte oder unsere westliche Kultur aufzwingen. Jede Kultur hat ihre eigenen Geschichten zu erzählen, und die Möglichkeiten kreativ zu sein, sind endlos!

Und punkto Homosexualität ist es meiner Meinung nach sehr spannend, denn ich glaube, dass es zum Beispiel in «Schwanensee» Anspielungen auf Homosexualität gibt. Es gibt offensichtliche Momente, je nach Version, in denen Benno und der Prinz Intimitäten austauschen. Sie sind zwar nur angedeutet, aber sie sind da – und ich hoffe, dass sie künftig noch sehr viel klarer da sein werden.

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Diskutiert ihr diese Themen untereinander?

Klar, wir diskutieren diese Punkte immer wieder. Ich denke, es ist auch eine ganz andere Awareness da, als vor einigen Jahren, und dass kein/e Direktor:in eine/n Tänzer:in aufgrund der Hautfarbe nicht in eine Kompanie aufnehmen würde – ich hoffe es zumindest schwer!

Was machst du, wenn du nicht mehr tanzen kannst?

Gute Frage, und damit beschäftige ich mich zurzeit gerade. Nicht, dass ich nicht mehr tanzen könnte, aber ich glaube nicht, dass der Körper erschöpft sein muss, bevor man sich entscheidet, aufzuhören. Es ist besser, vorher aufzuhören.

Ich persönlich würde gerne als Motivational-Speaker arbeiten. Ich finde, es gibt so viele übertragbare Fähigkeiten von einem/einer Balletttänzer:in, die in der Geschäftswelt, in der Welt der Führungskräfte und in so ziemlich jedem anderen Bereich angewendet werden können. Wenn man als Tänzer:in erfolgreich war, hat man schon so viel durchgemacht und geopfert, dass man, egal was man danach macht, höchstwahrscheinlich wieder erfolgreich sein wird. Es ist die Disziplin und die Hartnäckigkeit, die so tief in uns verwurzelt ist.

Natürlich gibt es eine Reihe von Dingen, die man noch tun kann, die direkt mit der Ballettwelt zu tun haben. So arbeite ich momentan an einem Motivations-Blog mit dem Namen «The Transitioning Dancer». Der Inhalt soll Menschen, vor allem Tänzer:innen, bei einem Karrierewechsel unterstützen und inspirieren.

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Was wünschst du dir für die Ballettwelt?

Ich wünschte, die Leute wüssten, was für eine Arbeit dahinter steckt. Vielleicht würden wir dann besser behandelt werden: Bessere Betreuung und Investitionen in die Tanzwissenschaft und die Körpererhaltung, bessere Gehälter, da wir nur bis ca. 40 tanzen können, wenn wir Glück haben – sehr viel Glück.

Mehr Freiheit, um uns weiterzuentwickeln, wenn wir darum bitten. Freie Wochenenden, stärkere Gewerkschaften, respektiert und behandelt zu werden wie andere Künstler:innen. Zum Beispiel Musiker:innen, die in Orchestern spielen oder Sänger:innen.

13. März 2022

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