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«Take Your Life in Your Own Hands» – Eine ästhetisierte Untersuchung von digitalen Erfolgsversprechen

Der Künstler Mindaugas Matulis beschäftigt sich in seiner neusten Ausstellung mit modernen Vorstellungen von Erfolg, Zugehörigkeit und materiellem Reichtum – und liefert damit einen performativen Kommentar zur Identitätsbildung in digitalen Räumen. Ein Interview. 

Von Joshua Amissah

Getreu dem Leitmotiv «Fake It Till You Make It» präsentiert Mindaugas Matulis seine neueste Ausstellung «Take Your Life in Your Own Hands». Matulis, geboren in Litauen und derzeit in Zürich lebend, hat sich darauf fokussiert, narrative Bildwelten zu erschaffen, die Betrachter:innen in teils absurde, faszinierende und zugleich kühle Szenerien eintauchen lassen. Mit einem Faible für Populärkultur und akribischer Inszenierung bewegt sich der Künstler in den Disziplinen Fotografie, Video, Collage und Malerei.

Eingebettet in ein altes Bürogebäude am Paradeplatz in Zürich und als Pop-Up-Ausstellung konzipiert, verkörpern die Räumlichkeiten unternehmerische Machtstrukturen, die Matulis in seinem aktuellen Projekt erforscht. Thematisiert wird eine aktuelle Bewegung in den sozialen Medien, bei der sich vornehmlich junge Männer als erfolgreiche Trader inszenieren, die angeblich durch Forex- und Kryptowährungshandel binnen kürzester Zeit immense Reichtümer anhäufen. Diese neuen «Geschäftsleute» propagieren ein Lebensmodell, das Disziplin, das richtige Mindset und teure Coaching-Kurse als Schlüssel zum Erfolg verkauft. Begeistert vom Potenzial des Kapitalismus, formiert sich eine Gemeinschaft von Anhänger:innen, die das verführerische Versprechen von Wohlstand als äusserst attraktiv empfinden. Matulis taucht partizipativ in diese Szene ein, um die Ambivalenz zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Realität dieser jungen Individuen offenzulegen.

Mit «Take Your Life in Your Own Hands» erweitert Matulis seine künstlerische Praxis um eine dokumentarische Ebene, die tiefere Einblicke in die soziokulturellen und moralischen Werte einer jüngeren Generation ermöglicht. Die Ausstellung lädt dazu ein, die übermütigen Träume und Unsicherheiten dieser jungen Menschen zu reflektieren und das Phänomen der digitalen Erfolgsversprechen aus einer ästhetisierten Perspektive zu betrachten. Wir haben mit dem Künstler gesprochen. 

Mindaugas, deine Arbeiten durchdringen oft die Grenzbereiche von Realität und Fiktion. Was reizt dich an diesem Spannungsfeld, respektive an dieser Wechselwirkung? 

Mindaugas: Grundsätzlich würde ich Inszenierungen generell als Fiktion einordnen. In meiner Arbeit versuche ich, diese so zu gestalten, dass es einen Moment der Verwirrung provoziert. Es ist ein langer Prozess mit vielen detaillierten Entscheidungen verbunden, die getroffen werden müssen, damit ein Bild diesen Effekt hervorruft. In «Take Your Life In Your Own Hands» hingegen widme ich mich vollständig der Realität. 

Ich finde es auch interessant, dass du ja schon seit 2019 mit Linus Stiefel in eurem gemeinsamen Projekt «Mendog & Stevil» die Inszenierung fiktiver Lebenswelten erkundest. Mit «Take Your Life in Your Own Hands» bringst du nun einen dokumentarischen Ansatz ein, der deine Arbeit um eine zusätzliche Ebene erweitert. Inwiefern bereichert dieser dokumentarische Zugang dein Verständnis und deine Darstellung von Identität?

Ich wollte diesmal aktiv in eine bestehende Welt eintauchen und mich nicht wie in vergangenen Projekten selbst fiktiv in Szene setzen. Somit hat sich auch ein dokumentarischer Ansatz eingeschmuggelt, aber ich habe nicht den Anspruch, dokumentarische Arbeit im klassischen Sinne zu leisten. Im Prozess gebe ich Anweisungen und biege die Bilder zurecht. Es ist ein Spiel aus Inszenierung, Performance und Content Creation. Die Herausforderung besteht darin, das richtige Mass zu finden zwischen dem, wie die Leute gesehen werden möchten, und dem, was ich als Fotograf zeigen möchte.

Und inwiefern siehst du deine fotografischen Inszenierungen als kritischen Kommentar zur modernen Identitätsbildung in digitalen Räumen?

Es ist sicherlich ein Kommentar, aber auch Teilnahme am Spiel. Ich will, dass alle wissen, dass ich eine gute Zeit habe. 

Für dein neuestes Projekt hast du dich dazu entschieden, aktiv in eine junge «Trading»-Szene einzutauchen, um umfassendere Einblicke in dieses Phänomen zu gewinnen. Wie beeinflusste diese Partizipation deine Sichtweise auf die performative Dynamik von Erfolg und Männlichkeiten innerhalb dieser Community?

Ich bin in dieses Business eingestiegen, um herauszufinden, wie man online Geld verdient. Ausserdem hat mich die Ästhetik und Bildsprache, die vermittelt wird von dieser Szene, stark angezogen. Im Laufe der Zeit eröffnete sich durch mein «skill set» die Möglichkeit, mit Leuten zu kollaborieren in dem ich ihnen meine Dienste als Fotograf anbiete. Dies ermöglicht mir nicht nur zusätzliches Einkommen, sondern auch die aktive Mitgestaltung dieser Bildwelten.

Die Werkserie zeugt ja auch von einem sehr voyeuristischen Blick auf ein eher subkulturelles Phänomen. Inwiefern sind die abgebildeten Protagonist:innen in deinen Bildwelten über dein intrinsisches Interesse, wie auch über die Verwendung der Portraitaufnahmen aufgeklärt? 

Als Fotograf baue ich eine Beziehung mit meinen Subjekten auf. Die Leute kommen auch auf mich zu, weil sie Bilder für Flyer, Announcements und Social Media benötigen. Daher ist es in den meisten Fällen klar, dass die Bilder auf verschiedenen Kanälen veröffentlicht werden sollen. Die meisten Bilder entstehen also in aktiver Zusammenarbeit. Wenn ich auf Events oder Veranstaltungen Schnappschüsse und «Moods» einfange, dann gehört dies zum Programm. Ebenso pushe ich meine Position als Fotograf auf meinem Instagram Kanal, damit allen klar ist, was ich genau mache. 

Wie navigierst du als Künstler zwischen einer ethischen Darstellung und der voyeuristischen Neugierde in deinen Projekten?

Meine Arbeit dreht sich seit mehreren Jahren häufig um Inszenierungen, Luxus, die Geschäftswelt und Ihre Facetten. Die Zusammenarbeit mit der Trader-Szene deckt viele meiner Interessen ab und passt sehr gut in mein «Universum». Es entsteht wie beschrieben eine wertvolle Beziehung, die auf gegenseitigem Interesse basiert. Es gehört zur Szene dazu, eine attraktive Ausstrahlung auf Social Media zu entwickeln, und es freut mich umso mehr diese kreieren zu können. Als Künstler erweitert es meine eigene Bildwelt enorm, ohne fiktive Welten inszenieren zu müssen. 

Das Publikum spielt schliesslich eine ebenso entscheidende Rolle in dieser Dynamik und beeinflusst, wie diese Bilder interpretiert werden. Als Bild-Produzent bin ich daran gewöhnt, visuelle Codes zu verwenden und zwischen verschiedenen Bildsprachen und Settings zu alternieren. Dadurch können sich natürlich bestimmte Elemente auch auf andere Bereiche übertragen. Am Ende entstehen Bilder, die für Betrachter:innen je nach Kontext unterschiedlich interpretierbar sind, und das finde ich auch gut so.

Und wie definierst du die Grenze zwischen authentischem Selbstausdruck und bewusster Inszenierung in deiner fotografischen Praxis?

Ich finde nicht, dass man diese zwei Bereiche gegeneinander ausspielen muss. Am spannendsten ist es, mit Leuten zu arbeiten, die eine Ausstrahlung mitbringen, ob diese authentisch oder inszeniert ist, spielt keine Rolle, Hauptsache, it’s a vibe.

Die Übermütigkeit und die grossen Träume der jungen Protagonist:innen, die du abbildest, stehen in einem Kontrastverhältnis zu den traditionellen Vorstellungen von einem beruflichem Werdegang. Wie reflektiert deine Arbeit die Spannungen zwischen diesen divergierenden Lebensentwürfen und was sagt das über die Werte und Ambitionen der Generation Z aus?

In der Gen Z gibt es verschiedene Bubbles wie auch bei den Millennials, Xs und Boomers. Sie sind da, sie zeigen Präsenz und sind bereit viele Stunden an Arbeit und Mühe zu investieren, damit Ihr Traum irgendwann mal in Erfüllung geht.

10. Juli 2024

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