In «Super einsam» erzählt Anton Weil von Vito, der nach einer Trennung nur noch raus will aus Berlin – am liebsten Richtung Frankreich an die Atlantikküste. Doch bevor es dazu kommt, nimmt er uns auf einen Höllenritt in die Abgründe seiner Psyche mit und stellt sich dabei seiner eigenen Einsamkeit.
«Super einsam» ist dein erstes Buch – war der Prozess des Schreibens ein einsamer?
Anton: Das Schreiben war für mich eher ein Ventil gegen die Einsamkeit. Die Prozesse davor waren einsam, aber das Schreiben war mein Ausprobierfeld. Meine langjährige Therapie hatte mir geholfen, meinen Themenkomplex zu begreifen. Dadurch konnte ich Abstand gewinnen, mich in die Geschichte vertiefen und gleichzeitig die Distanz des Autors wahren.
Welche Themen waren dir dabei wichtig?
Beim Aufwachsen fehlte mir oft die Repräsentation von Themen wie Einsamkeit, Verlust, Trauerarbeit, Männlichkeit oder Queerness in Literatur und Film. In meiner Jugend dominierte in Männerfreundschaften häufig die Fassade von Stärke und Erfolg. Ich wollte «Super einsam» nicht zu einem weiteren Roman über einen unglücklichen Mann machen, der eigentlich nur auf der Suche nach Liebe ist.
Und trotzdem spielst du damit.
Ich glaube, darin, dass «Super einsam» den Anschein machen kann, dass es Just another cool Berlin Story sei, liegt auch grosses Potenzial. So erreiche ich vielleicht auch Menschen, die sonst wenig Berührungspunkte mit Themen wie Queerness, Sexualität oder Trauer besitzen.
Berlin scheint in deinem Buch fast wie ein eigener Charakter. Wie beeinflusst die Stadt deine Geschichte?
Einsamkeit ist ein universelles Gefühl, das überall stattfinden kann. Doch Berlin ist zusätzlich zu meiner eigenen Biografie ein guter Ort, um über Klasse, Gentrifizierung und Turbokapitalismus zu sprechen, welcher uns eigentlich davon abhält, eine Verbindung zu anderen herzustellen, die nicht nur darauf basiert, dass man denselben Job hat und in denselben Bars abhängt oder im selben Fussballverein ist.
Auf dem Cover steht: «Super einsam» wäre eine Irrfahrt durch die Psyche einer ganzen Generation. Siehst du das auch so?
Das habe ich nicht selbst geschrieben (lacht). Ich glaube, die Themen, die Vito beschäftigen, sind auf jeden Fall generationenübergreifend und werden auch immer wieder weitergegeben, wenn sie unausgesprochen bleiben. Jedoch war die Nachkriegsgeneration aufgrund von Kriegs- und Trauma-Erfahrungen vor allem mit Überleben beschäftigt. Deswegen glaube ich, dass diese Reflexion über gewisse Themen der Generation davor gar nicht so möglich war. Dieses «Hey, du musst auch emotional da sein, bring deinem Kind bei, dass es okay ist, da und darüber zu reden.» Diese Forderung kann überfordern, und trotzdem ist es wichtig, dass sie formuliert wird.
Es geht also vor allem darum, eine andere Art von Empathie oder von Verbindungen zu finden, ohne sich nur darüber zu definieren, dass es einem nicht gut geht.
Anton Weil
Also geht es dir auch um eine Suche nach Gemeinschaft?
Absolut. Für mich geht immer eine Tür auf, wenn sich jemand öffnet und sich mir anvertraut. Ich weiss jedoch, dass die Möglichkeit, sich so intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen – die Zeit, Kapazität und den Zugang zu therapeutischer Unterstützung zu haben – ein grosses Privileg ist. Es geht also vor allem darum, eine andere Art von Empathie oder von Verbindungen zu finden, ohne sich nur darüber zu definieren, dass es einem nicht gut geht.
Wie spiegeln Vitos eigene Fluchtgedanken seine innere Krise wider, und was bedeutet seine Sehnsucht nach dem Atlantik in diesem Kontext?
Vito ist an einem Scheidepunkt angekommen und fragt sich: «Warum bin ich hier? What the fuck? 30.» Eine ausgewachsene Krise, aus der er nur noch raus will – dieser Drang bildet die Triebfeder des Romans. Irgendwann will man eigentlich nur noch lesen, dass er endlich nach Frankreich aufbricht. Doch Vito befindet sich in einem Zustand der Verarbeitung, der nicht linear ist. Bevor er sein Leben weiterführen kann, muss er sich mit seinen Traumata auseinandersetzen – eine Reise, die sich nie ganz abschliessen lässt.
Was war dir wichtig beim Erzählen von Vitos Innenleben?
Mir war es wichtig, Vito menschlich und ambivalent darzustellen. Er ist sympathisch und unsympathisch, weich und zugleich hart – ein sogenannter unreliable Narrator. Diese Graubereiche interessieren mich, denn wir sind alle nicht eindeutig. Ich verstehe auch uns Menschen niemals als fertige Version. Aber es gibt einen immer grösser werdenden Erfahrungsschatz an Verarbeitung. Und diesen Zustand als eine Irrfahrt oder eine Flucht zu bebildern, fand ich reizvoll. Es gibt diesen Satz: Du kannst erst gehen, wenn es keine Flucht mehr ist.
Trotzdem flüchtet Vito auf seine Art, weshalb Wahrheit und Fiktion oftmals verschwimmen. Welche Rolle spielte dabei das Fantastische für dich?
Ich hatte nie den Anspruch, eine hundertprozentige Authentizität zu erzählen. Ich fand die Romanform deshalb so passend, weil ich da die Realität ganz anders aufbrechen kann, ausgehend von mir und meinen Themen. Weshalb sollte es nicht realistisch sein, dass auf einmal eine Sturmflut die Bahn entgleisen lässt? Ich wollte eine Welt abbilden, die aufgrund der eigenen erlebten schmerzhaften Realität plötzlich ganz anders wahrgenommen werden kann. Ausserdem wusste ich, dass ich trotz der Schwere mithilfe eines gewissen Tempos und Humors unterhalten möchte.
Bereits als Kind hatte ich also das Gefühl, dass die Tage und die Nächte, Realität und Traum, gleichwertig sind. Mit dieser Verschmelzung wollte ich auch im Roman spielen.
Anton Weil
Kennst du diese fantastischen Momente auch aus deinem eigenen Leben?
Ich habe bereits sehr früh fast jede Nacht luzid geträumt. Das war wahrscheinlich auch von Kindergeschichten beeinflusst, wie Anton und der kleine Vampir. Diese Geschichten waren viel abenteuerlicher und schöner als die Realität, in der man prekär versucht hat, irgendwie gross zu werden. Bereits als Kind hatte ich also das Gefühl, dass die Tage und die Nächte, Realität und Traum, gleichwertig sind. Mit dieser Verschmelzung wollte ich auch im Roman spielen.
Du bist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Musiker und Schauspieler. Inwiefern beeinflussen und bereichern dich diese verschiedenen Kunstformen?
In der lateinamerikanischen Literatur gibt es das Konzept des magischen Realismus, welches erlaubt, magische Elemente als selbstverständlich zu betrachten, ohne sie erklären zu müssen. Ich glaube, dass die europäische Kultur oft nach Authentizität und eindeutigen Wahrheiten sucht, obwohl jede Geschichte total subjektiv ist. Deshalb strebe ich danach, ein authentisches Beispiel für Widersprüchlichkeit zu sein. Beim Schreiben inspirierte mich insbesondere die Musik; ich habe zu jedem Kapitel Playlists erstellt, um andere Tempi zu kreieren. Musik besitzt eine Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit, die Vitos Erlebniswelt gut ergänzt hat. Music is the only place that immediately makes you feel at home. Diese Sehnsucht ist äquivalent zu Vitos Gefühl, irgendwie angenommen zu werden, anzukommen und sich zu Hause zu fühlen.
Anton Weil, geboren 1989 in Berlin, ist Schauspieler, Sprecher und Musiker. Er studierte Schauspiel an der Universität der Künste und tritt regelmässig als Gast an verschiedenen Theatern auf. 2021 veröffentlichte er unter dem Künstlernamen WEIL sein Debütalbum «Groll». Sein Debütroman «Super einsam» ist am 25.09.2024 bei Kein & Aber erschienen und ist überall im Handel oder online verfügbar.
04. November 2024