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Stühle ade, back to basics: Auf dem Boden sitzen ist gesund.

Beim Essen bequem auf dem Boden zu sitzen ist in vielen Ländern der Welt – wie beispielsweise in Indien, Japan oder Korea – das Normalste überhaupt. Stühle und Esstische in unserer gängigen «westlichen» Höhe sind schliesslich unnatürlich und ungesund. Trotzdem hat sich diese Lebensform hier bei uns durchgesetzt. Warum es für Körper, Geist und Seele besser ist, wenn wir daran etwas ändern.

Von Janine Friedrich

Manchmal braucht es eine Veränderung, um Dinge zu hinterfragen, die für alle als Standard gelten. Bei mir war es der bevorstehende Umzug in eine Dreizimmerwohnung. Endlich würde ich mehr Platz haben und zwar so viel, dass ich mein minimalistisches Hab und Gut doch etwas aufstocken wollte. Das erste, was ich zu brauchen glaubte, war ein grosser Tisch mit Stühlen. Beim Einrichten vor meinem inneren Auge störte mich aber genau das: Der gewohnte hohe Tisch und die Stühle – Möbelstücke, die die Gesellschaft hierzulande nun einmal in jedem Zuhause erwartet. Sie wirkten für mich plötzlich merkwürdig gekünstelt, irgendwie zu erdfern. Ich fragte mich, warum wir nicht einfach auf dem Boden sitzen und ob das nicht sowieso viel gesünder wäre. Ein bisschen Recherche später wurde mir genau das bestätigt und mir war klar, dass in meine Wohnung nur ein Bodentisch käme, mit Kissen ringsherum. Irgendwer muss ja den Anfang machen und Konventionen brechen, vor allem, wenn sie uns nicht gut tun oder gar schaden. 

Kaum ein Organ wird durch das Sitzen nicht geschädigt. Jede Minute, die man weniger sitzt, ist eine gewonnene.

Dr. Thomas Filipitsch

Der Chirurg, Phlebologe und Proktologe Dr. Martin Oswald geht sogar so weit, dass er Stühle als Feinde betrachtet, da sie Ursache vieler moderner Zivilisationskrankheiten sind. Laut ihm sollten wir das Sitzen auf Stühlen oder ähnlichen Sitzmöbeln so oft es geht oder besser noch komplett vermeiden. Schon seit über 20 Jahren hat der vielgereiste Augsburger auf keinem Stuhl mehr gesessen. Anstoss war eine Forschungsreise nach Äthiopien, bei der er feststellte, dass viele Völker, die noch ein ursprüngliches Leben «auf dem Boden» führen, keine Krampfadern, Thrombosen oder Verstopfung haben. Statt sich von Stühlen unnatürlich verbiegen zu lassen, begeben sie sich zum Essen oder für andere ruhige Tätigkeiten meist in den Schneidersitz (Sukhasana) auf den Boden. Auch der Fersensitz, der Schmetterlingssitz oder die Hocke sind sehr gut geeignet. Für längere Pausen ist Liegen die bessere Option für den Körper. Das Problem beim Sitzen auf einem Stuhl (o.Ä.) liegt nämlich darin, dass dieser unseren Muskeln die komplette Arbeit abnimmt. Daher führt Oswald auch Haltungsprobleme, Arthrose, Bindegewebsschwäche und sogar Dickdarmkrebs darauf zurück, dass wir in der westlichen Welt zu viel Zeit auf Sitzmöbeln verbringen (von den für unseren Darm unvorteilhaften Toiletten hierzulande brauche ich gar nicht erst anfangen).

Mit diesem Satz wechsle ich kurzerhand auf den Boden und kehre dem Stuhl (hoffentlich ebenso endgültig wie Dr. Oswald) im Schneidersitz den Rücken zu.

Doch wie sitzt man richtig im Schneidersitz (Sukhasana)?

Sukhasana ist eine grundlegende Sitzhaltung aus dem Yoga, die auch angenehme oder freudvolle Sitzhaltung genannt wird. Dabei sitzt man mit gekreuzten Beinen und geradem Rücken auf dem Boden. Die Schultern zieht man dabei zurück, lässt sie aber trotzdem entspannt nach unten fallen, während die Arme an den Seiten ruhen. Eine gerade Wirbelsäule ist dabei wichtig: Rumpf, Nacken und Kopf bilden eine Linie. Diese Haltung massiert nicht nur unsere inneren Organe, sondern stärkt auch Brust-, Bauch-, Rücken- und Hüftmuskulatur. Bei verspannten Hüften oder Schmerzen im unteren Rücken können einfache Hilfsmittel wie ein Kissen, eine zusammengerollte Decke oder ein Yogablock unter dem Gesäss entlasten.

Wer in dieser Haltung auf dem Boden sitzt, muss man sich auch von dort aus wieder erheben, was mehr Kraft erfordert. Für die Menschen (egal welchen Alters), die das aufgrund ihrer Lebensweise gewohnt sind, ist das gar kein Problem. Der menschliche Körper ist schliesslich dafür gemacht. Doch für uns in der westlichen Welt ist die Bewegung vom Boden in den Stand so gut wie gar nicht mehr von Nöten: Von hohen Stühlen, Sesseln oder Sofas aufzustehen, erfordert ja nun wirklich kaum Muskelkraft. Optimierungsbedarf gibt es demnach mehr als genug.

Was sind die Vorteile vom Bodensitzen beim Essen?

Die traditionelle Art zu leben, die genauso gut als intuitives und natürliches menschliches Verhalten bezeichnet werden kann, bringt laut der indischen Nutriologin Rujuta Diwekar viele gesundheitliche Vorteile mit. Besonders beim Essen im Schneidersitz am Boden sind die positiven Wirkungen vielfältig: Egal, ob der Teller direkt auf dem Boden oder auf einem Bodentisch steht, man nimmt ihn des Öfteren in die Hand und stellt ihn auch wieder ab. Dafür muss man beweglich bleiben und sich aus der Sukhasana-Pose hin und wieder etwas hoch und runter bewegen. Dadurch wird die Durchblutung gefördert und die Magenmuskulatur stimuliert, was für eine bessere Verdauung und eine erhöhte Aufnahme von Mikronährstoffen sorgt. Sich bis ins Food-Koma zu essen, funktioniert so also gar nicht, da die Nahrungsaufnahme bewusster und aufmerksamer vonstattengeht. Das sorgfältigere Kauen und Schicken kann zudem Verdauungsbeschwerden verringern; tiefes und achtsames Atmen kann all die Vorteile noch verstärken. 

Welche weiteren Benefits hat das Bodensitzen in Sukhasana?

Die aufgerichtete Wirbelsäule und die lockeren Schultern wirken sich auch positiv auf unsere Körperhaltung aus. Neben der angenehmen Mobilisierung des Hüftgelenks und der Knie, dehnt die Pose ausserdem die Beckenmuskulatur, die Leistengegend und die Beine. Das macht unseren gesamten Körper stabiler und flexibler und beugt Verletzungen vor. Auch unser Unterleib findet in dieser erdenden Haltung Entspannung. Auf geistiger und seelischer Ebene sorgt Sukhasana für innere Ruhe, Gelassenheit, Gleichgewicht und Klarheit. Durch die Öffnung im Brustkorb wird zudem der Herzraum geweitet, was dabei hilft, Ängste und Stress zu lösen. 

Wer es also schafft, zumindest eine Mahlzeit am Tag im Schneidersitz zu verbringen und auch öfter beim Arbeiten am Laptop ins Stehen oder eben auf den Boden auszuweichen, tut Körper, Geist und Seele schon mal sehr viel Gutes.

Und, sitzt du gerade noch auf einem Stuhl oder hat dich dieser Artikel im wahrsten Sinne des Wortes bewegt? 

24. September 2024

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