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Sexuelle Gewalt im Rap-Milieu

Letzte Woche machte eine Influencerin Vergewaltigungsvorwürfe an einen Deutschrapper öffentlich. Daraufhin löste sich eine Flut von Support, aber auch enorm viel Hass und Wut für die Frau los. Wie sich Universal Music, Beteiligte und grosse Hip-Hop-Medien äusserten, oder eben nicht und warum sexuelle Gewalt in der Rap-Szene mehr thematisiert werden muss.

Von Sina Schmid

Triggerwarnung: Sexuelle Gewalt

Nika Irani, 22 Jahre jung, auf Instagram und Youtube bekannt, äusserte sich zu Vorfällen, welche vor ca. einem Jahr stattgefunden haben sollen. Im Studio des Rappers Samra soll sie trotz mehrfacher Zurückweisungen zu Sex gezwungen worden sein. Dabei spricht sie von zerrissenen Unterhosen, groben Griffen bis hin zu Würgen. Nach den Ereignissen soll sie sich in Psychotherapie begeben und einem HIV-Test unterzogen haben. Während ihrem Statement erwähnt sie auch, dass sie von einem Mitglied der 187 Strassenbande fast vergewaltigt worden wäre, jedoch durch ihre lauten Schreie und einen anderen Mann vor dieser Grausamkeit bewahrt worden sei.

Nach ihrem Statement meldeten sich zahlreiche Frauen, teils sogar mit «Beweisfotos» in Form von Screenshots und anderen Aufnahmen, und berichteten was auch ihnen mit Rappern der Deutschrap-Szene widerfahren sei.

In der letzten Woche hat sich unter dem Hashtag #deutschrapmetoo ein neues Movement entwickelt, Frauen berichten von Misshandlungen und sexuellen Übergriffen, andere zeigen ihren Support für die Opfer. Gewisse Stimmen blieben aber lange still.

Shirin David, hellster weiblicher Stern am Deutschrap-Himmel, äusserte sich als erste auf ihrer Instagam-Story laut und deutlich und sprach Irani ihren Support aus. Sie führte zudem weiter aus, dass zwar ein Lied mit einer Line über Samra kurz vor der Veröffentlichung stand, dieses jedoch nun abgeändert wird. Auch sprach sie die Stummheit grosser Medienhäuser an, welche sonst jede kleinste Lappalie ansprechen und nun aktiv die Vorwürfe ignorierten. Kurz darauf erschien der erste Artikel bei Diffusmag.de, danach auch einer bei Juice.de, beides Musikmagazine, Juice.de spezifisch Hip-Hop-Magazin, beide Artikel wurden seither gelöscht. So ist es auch mit anderen Zeitschriften, welche erst nach Shirin Davids Äusserungen etwas veröffentlichten, um es dann kurz darauf wieder zu löschen. Der Druck von oben scheint gross, die Angst vor Konsequenzen und der Wut vom Rapper und seinen Supportern wahrscheinlich noch grösser. Spannend, dass Artikel wie «Rapper*innen unterstützen antirassistisches Klopapier», «Döner Inc.- Ja Rule macht jetzt Werbung für Gyros», in einem sogenannten Hip-Hop-Magazin (juice.de) erscheinen, aber die Konfrontation mit sexueller Gewalt eines ganzen Milieus auf taube Ohren beziehungsweise Finger stösst.

Auch Universal Music, das Label bei welchem Samra gesignt ist, liess auf sich warten. Dann das nüchterne Statement in Form eines Posts auf Instagram: «Universal Music verurteilt auf das schärfste jede Form von Gewalt. Wir stehen für eine offene, tolerante, vielfältige Gesellschaft und begegnen allen Menschen ohne Vorurteile und mit Respekt.» Diplomatischer könnte man nicht sein. Das Label kassierte daraufhin einen regelrechten Shitstorm, stellte auch die Kommentare unter dem Post ein. Einen Tag später, wahrscheinlich auch dank dem Druck von Irani und ihrer Unterstützer*innen folgender Post: «Universal Music und das gesamte Team verurteilen jede Form von sexueller Gewalt auf das schärfste und solidarisieren sich jederzeit ausnahmslos mit den Opfern. Gegen einen unserer Künstler wurden auf Social Media schwere Anschuldigungen erhoben. Konkret geht es um den Vorwurf der sexuellen Gewalt. Die Vorwürfe erschüttern uns sehr. Aufgrund der Schwere der Anschuldigungen haben wir uns dazu entschlossen, die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Künstler bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen. Dieser Schritt dient dem Schutz aller Beteiligten und ist keine Vorverurteilung. Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst und behalten uns vor, in Abhängigkeit von weiteren Erkenntnissen weitreichendere Konsequenzen zu ziehen.»

Am Tag der ersten Social Media-Vorwürfe seitens Nika Irani äusserte sich Samra wie folgt: Er postete eine Story, darauf zu sehen er mit Mittelfinger. Dazu deaktivierte Kommentarfunktion unter seinen Bildern. Wie man merkt; sehr einsichtig. Danach war es ruhig um den Rapper, bis er vier Tage nach den Beschuldigungen in einer ewig langen Story wütend auf Irani losging, die Tat vehement abstritt, meinte dass seine Familie und er nicht mehr schlafen können, er aber trotzdem friedlich schlafen kann, weil er sie nicht vergewaltigt habe (?), zudem verurteile er solche Menschen die andere vergewaltigen, auch ist er sich bewusst, dass er vielleicht kein Gentleman war, aber wie schon erwähnt, trotzdem kein Vergewaltiger sei. Auch scheisse er auf Universal, auf die Presse und all diese Leute, seine Familie und Fans stehen hinter ihm. Zudem wird laut ihm Irani ihre Strafe nicht nur vom Richter, sondern auch von Gott kriegen. Solche Frauen die Lügen sollen übrigens nicht unterstütz werden. Seine Fans sollen rausgehen und der ganzen Welt zeigen, dass diese Frau lügt.

Das Video wurde kurzerhand gelöscht. Danach postete er, etwas ruhiger, dass er niemanden vergewaltigt habe, weiter auch «den Sachverhalt von der Staatsanwaltschaft klären lassen will, um den Vorwürfen nicht nur zu widersprechen, sondern eine unabhängige Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft und Polizei herbeiführen möchte», diejenige, die ihn beschuldigt, soll zudem nicht mehr als Prostituierte oder ähnlich beleidigt werden.

Irgendwie paradox, dass ein sogenannter Gangster-Rapper plötzlich auf Freund und Helfer Polizei bzw. Staatsanwaltschaft setzt, wo seine Texte oft andere Parolen aufweisen.

Miriam Davoudvandi, Podcasterin und Aktivistin, postete auf Twitter «Leute sind ACAB (all cops are bastards), bis es darum geht, dass die traumatischen Erlebnisse einer Frau erst valide sind, wenn sie Anzeige erstattet hat.»

Des Weiteren ist der Rapper trotzdem aktiv auf Social Media unterwegs, postet Stories als wären nicht mehrere Frauen mit weiteren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen. Und auch wenn er seither nicht persönlich erneut Stellung genommen hat, teilt er gerne was seine Kollegen zur Situation zu sagen haben.

Beispielsweise sein Kumpel Ano (Anonym), der lautstark auf Shirin David los ging. Nach typisch misogyner Maniere probiert der Rapper für Samra zu argumentieren. In einem Text mit Sätzen wie «Du solltest dich schämen eine Frau, die eine Vergewaltigung vorgetäuscht hat, als Aushängeschild für eine Frauenbewegung in Szene zu setzen. Du hast dafür gesorgt, dass tausende Frauen die tatsächlich häusliche Gewalt und Vergewaltigung erlebt haben, von euch einen verbalen Schlag ins Gesicht bekommen haben! Und das nur, um deinen kommenden Song zu promoten und den Hype der Medien mitzunehmen. Du versprühst die Message, dass jede Frau sich lieben soll wie sie ist, musstest aber selbst mit zahlreichen OPs nachhelfen, um dir selbst zu gefallen. Das du dadurch das Anschauungsbild der Menschen verändert hast und dafür sorgst, dass sich Frauen nicht mehr wohl in ihrem Körper fühlen, ist dir scheissegal. Man sollte dir all deine Auszeichnungen abnehmen, denn deine Fassade bröckelt genau so wie dein Make-up bei diesem Wetter!» Abgeschlossen wird das ganze mit: «Aber Gott ist gross und die Wahrheit wird dich schneller einholen als dir lieb ist.» Was jetzt Shirin Davids Unterstützung für Irani mit ihren selbstbestimmten Veränderungen an ihrem eigenen Körper zu tun hat, bleibt weiter ein Rätsel.

Shirin David nahm zu dem Text Stellung, erwähnte zudem, dass sie seit ihrer ersten Stellungnahme von «einer bekannten Grossfamilie» bedroht wird.  Ano hingegen teilte ein altes Video von Samra wie er Zivilcourage bei einer alten Dame bewies, weil das ja ganz klar die Vergewaltigungsvorwürfe widerlegt, denn wie könnte so jemand je zu etwas wie einer Vergewaltigung fähig sein?

Samra teilte noch ein Video mit einem körperlich beeinträchtigten Fan, den er in einem Sportwagen mitnahm und dem jungen Mann so eine Freude bereitet hat. Samra der Gutmensch.

Was auffällt: die ganze Angelegenheit wird so auf den Sozialen Medien ausgetragen, dass es schwierig ist den Überblick zu behalten. Jeder gibt noch seinen Senf dazu, oft unüberlegt, um es dann wieder zu löschen. Wenn wir schon beim Thema löschen sind: 

Rapper Nimo veröffentlichte vor drei Tagen auch einen neuen Song: «Komm mit». Mit Lines wie: «Sie sagte: «Fick bitte meine dicken Silikontitten, Spritz bitte auf meine-» ach , du weisst schon, Spuck in ihren Mund, pack sie am Hals und gib ihr deep, sie will es deep, die Nutte will es deep, […] Deine Ex-Freundin ist aus der Fassung ich fick sie fast tot, sie liegt im Wachkoma». Geschmacklos trifft es irgendwie am besten. Kurz darauf wurde das Lied auf allen Plattformen wieder gelöscht, nicht aber bevor es schon gespeichert und geteilt worden ist (und weiterhin kursiert). Nimo veröffentlichte daraufhin ein Statement: «Aufgrund der aktuellen Entwicklungen habe ich mich dazu entschlossen meine aktuelle Single «Komm mit» von allen Plattformen zu entfernen. Die Schritte dafür wurden bereits eingeleitet. Ich möchte mich an dieser Stelle auch persönlich von jeglicher körperlichen Gewalt an Frauen und Missbrauch distanzieren und mich bei denjenigen entschuldigen, die meine Worte verletzt haben. Meine Herangehensweise bezüglich diesem Thema werde ich trotz künstlerischer Freiheit in Zukunft ebenfalls ändern, da spätestens jetzt klar wurde wie existent dieses Problem tatsächlich ist und ich dies keinesfalls befürworte.» Auch Universal Music bzw. Urban bittet um Entschuldigung und verspricht, den internen Diskurs zu inakzeptablem Inhalten zu revidieren.

Bei all diesen Sticheleien, komischen Argumentationen, Versuchen, den Ruf eines Menschen zu retten und verfehlte Musik-Veröffentlichungen scheint vergessen zu gehen, um was es wirklich geht: die problematische Behandlung von Frauen, mit besonderem Fokus auf die Musikindustrie und Deutschrap. Enorm viele Frauen veröffentlichen seit Iranis mutigem Post, ob nun wahr oder nicht, auch ihre vermeintlichen Erfahrungen mit verschiedenen Rappern und allgemein Männern. Unter vielen anderen Gzuz, Mitglied der 187 Strassenbande, der wenig überraschend bei vielen Statements von Frauen vorkommt (er wurde erst kürzlich zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil er einer Frau ins Gesicht geschlagen hat).

Besonders wichtig und eindrücklich sind auch die Aussagen von weiblichen Künstlerinnen. Ebow, deutsche Rapperin, postet auch ihre Erfahrung: «An alle die jetzt sagen «ich hab noch nie schlechte Erfahrungen mit Männern im Musikbusiness gesammelt» und so tun als würden alle anderen übertreiben. Ich habe zum Glück auch keine schlechten Erfahrungen im Sinne von abuse gehabt, aber das war einfach Glück! Trotzdem ist es jetzt vor allem wichtig Solidarität zu zeigen, mit denen die sich trauen damit rauszugehen, anstatt Typen auf Grund der eigenen Erfahrungen in Schutz zu nehmen. Ich war als 16/17-Jährige oft in Backstages von Rappern die schon direkt auf dem Tisch Kondome liegen hatten und die anderen Girls waren jünger als ich! Der einzige Grund warum man mich anders behandelt hat war, dass ich mit männlichen Freunden da war vor denen sie Respekt hatten, nicht vor mir. Damals war mir nicht bewusst wie ekelhaft diese Situationen waren. Solche Typen haben genug Leute um sich rum die genau wissen was abgeht und sie in Schutz nehmen. Deswegen seid solidarisch mit allen Betroffenen, statt zu denken ihr müsst eure «Bros» beschützen.»

Die Unschuldsvermutung gilt übrigens für beide Parteien: Sie gilt für den Beschuldigten aber auch das vermeintliche Opfer. Eine Aussage zu diskreditieren, weil jemand gerne knapp bekleidet auf den Sozialen Medien postet, beweist erneut die internalisierte Misogynie unserer Gesellschaft. Der Wert einer Frau oder ihrer Worte kann und darf nicht anhand ihres Aussehens bestimmt werden. Im Übrigen ist es auch fragwürdig, wieso man seinen Idolen oft blind vertraut beziehungsweise so viel mehr Vertrauen schenkt, denn schlussendlich sind auch sie, wie die vermeintlichen Opfer, bloss Fremde. Des Weiteren sind laut einer erhobenen Statistik in 11 EU-Ländern (unter anderem Deutschland und Österreich) nur 3% der Beschuldigten unschuldig beziehungsweise die Beschuldigungen falsch. Auch diese 3% sind zu viele, dennoch Beweis genug, dass 97% der Frauen die Wahrheit sagen und solche Anschuldigungen nicht einfach von Grund auf als Lüge abgetan werden dürfen. Zu oft wird den Frauen eingeredet, dass sie das Leben eines Mannes zerstören können und sich gut zu überlegen haben, ob sie das wirklich möchten. Dass ihr Schicksal für sie schon durch die Taten anderer entschieden wurde, scheint irrelevant.

Zusätzlich wichtig zu erwähnen ist, dass tendenziell wenig angeklagte Vergewaltigungen auch in einer Verurteilung enden, teils wegen der Unschuldsvermutung und teils, weil eine Vergewaltigung sehr schwer nachzuweisen ist, besonders wenn das Opfer nicht genug aufgeklärt ist oder wird, was nach einer Vergewaltigung zu beachten ist.  

Die medizinische Untersuchung direkt nach einer Vergewaltigung ist eine psychische Zumutung und dennoch zur Beweissicherung unumgänglich. Auch das Polizeiverhör, oft durchgeführt von zu wenig sensibilisiertem Personal, eine zusätzliche Belastung. Wenn ein Opfer dann auch noch mitbekommt, dass Täter in unserer Gesellschaft auch heute generell mehr Vertrauen erfahren als sie selbst, und eine öffentlich gemachte Anschuldigung mit sozialer Demütigung und Victim Blaming Hand in Hand geht, ist es wenig überraschend, dass die Mehrheit der Frauen schweigt.

Statistisch gesehen ist es dennoch so, dass in der Schweiz die Anzahl angezeigter Vergewaltigungen seit 2016 stetig steigt. Im Jahr 2019, ein Jahr nach dem Höhepunkt der #metoo-Bewegung, waren es 53 mehr Anklagen als im Vorjahr. Ob das jetzt daran liegt, dass sexuelle Übergriffe zunehmen, oder weil gesamtgesellschaftliche Bewegungen wie #metoo ihre Wirkung zeigen ist unklar.

Wichtig ist auf jeden Fall Aufklärung, besonders die von Männern. Was sich gehört und was eben nicht.

Aber auch Frauen müssen darüber aufgeklärt werden was im Falle einer Nötigung oder Vergewaltigung zu beachten ist, um eine Überführung und Verurteilung des Täters besser zu sichern.

Dazu gehören:

  • Nach der Tat nicht duschen, bevor DNA am Körper sichergestellt werden kann.
  • Getragene Kleidung nicht wegwerfen oder waschen: auch das dient der Spurensicherung.
  • So schnell wie möglich Anzeige erstatten.
  • Nach 3-6 Monaten ein HIV-Test, um eine positive Ansteckung auszuschliessen oder im schlimmsten Fall früh zu erkennen (andere sexuell übertragbare Krankheiten können und sollten vorher schon getestet werden.)
  • Psychologische Unterstützung herbeiziehen wo möglich.

All diese Pfeiler sind eine absolute Zumutung für Opfer, und dennoch ist es wichtig, dass wir sie kennen.

Weitere Hilfe bieten folgende Stellen: www.opferhilfe-schweiz.ch www.frauenberatung.ch www.147.ch

Für den Rest der Gesellschaft sind folgende Pfeiler von Bedeutung:

  • Opfern Unterstützung aussprechen.
  • Aktive Auseinandersetzung mit der Thematik.
  • Personen mit Bildungslücken aufklären (fängt im engsten Kreis an aber hört dort nicht auf)
  • Mutmassliche Täter nicht übertrieben in Schutz nehmen: der Staat übernimmt diese Aufgabe.

23. Juni 2021

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