Manchmal sind es wohl die Geschichten, die uns am tiefsten berühren, wenn sie aus den Lebensrealitäten der Alltäglichkeit schöpfen und es gleichsam auch schaffen universelle Fragen aufzuwerfen. «Schwarze Früchte», die neue Dramedy-Serie, die ab nächster Woche in der ARD-Mediathek zu sehen sein wird, wagt genau diesen Balanceakt. Zwischen Trauer, Ehrgeiz und Selbstzweifeln stehen Lalo und Karla – zwei junge Schwarze, queere Menschen in ihren Zwanzigern, die inmitten von Karriereambitionen und der Suche nach Zugehörigkeit ihren ganz eigenen Weg im heutigen Deutschland navigieren.


Die Serie, die auf subtile und gleichzeitig schonungslose Weise Themen wie Freundschaft, Liebe, mentale Gesundheit, Rassismen und gesellschaftliche Erwartungen verhandelt, nimmt uns mit auf eine kinematografische Reise durch die Widersprüchlichkeit des modernen Lebens. Gänzlich realitätsnah lässt «Schwarze Früchte» seine Figuren kläglich scheitern, lachen und wachsen, ohne jemals nur einfache Antworten liefern zu wollen. Was hier entsteht, ist eine feinfühlige Mischung aus Drama und Komik – die Absurdität des Alltags, gepaart mit der Tragik von Verlust und der ständigen Suche nach sich selbst.
Mit insgesamt acht Folgen à 30 Minuten erzählt die Serie nicht nur Geschichten mit eigenbewahrender Leichtigkeit, die viel zu selten im Mainstream gezeigt werden, sondern gibt ihnen auch eine markante Stimme. Eine, die authentisch und ungeschönt ist und Schwarze und queere Figuren in ein nachhallendes Zentrum ihrer ganz eigenen Erzählungen stellt. Was das divers aufgestellte Produktionsteam hier mit viel Engagement schafft, ist nicht nur eine horizontale Erzählung über Identitäten, sondern eine Reflexion darüber, was es bedeutet, in einer hierarchischen Welt zu navigieren, die von Machtstrukturen, Fremdzuschreibungen und unaufhörlicher Anpassung geprägt ist.
Wir haben mit dem Headautor, Showrunner und Hauptdarsteller Lamin Leroy Gibba über Authentizität, Storytelling, Diskurshoheit und weitere Hintergründe gesprochen.
Eure neue Serie bietet einen spezifischen und ich würde sagen einen sehr authentischen Einblick in eine Vielzahl an Lebensrealitäten in Deutschland. Was bedeutet Authentizität für dich?
Lamin Leroy Gibba: Authentizität in Geschichten bedeutet für mich, trotz der inhärenten Fiktion, ehrlich zu erzählen, wie man die Welt wahrnimmt und welche Themen und Fragen einen beschäftigen, sowie Figuren in ihrer Vielschichtigkeit und Spezifität zu verhandeln. Für mich ist Geschichtenerzählen auch sehr mit Neugier und Empathie verbunden. Diese Annäherung an eine Erzählung, ob als Autor oder Schauspieler, fühlt sich für mich voll aufregend an: nie eine Figur zu verurteilen und Fragen zu stellen, die oft keine einfachen Antworten haben. Im Kontext von «Schwarze Früchte» war es für uns sehr wichtig, dass die Schwarzen, POC, queeren und weiblichen Perspektiven vor der Kamera auch massgeblich hinter der Kamera vertreten sind und diejenigen sind, die Entscheidungen treffen. Dadurch, dass die Serie in der ARD-Mediathek läuft, befindet sich «Schwarze Früchte» im Mainstream, was ich voll wichtig finde. Die Serie ist dadurch natürlich für alle, die einschalten, aber in der Erzählweise wird ein Publikum adressiert, dass sich mit den Lebensrealitäten der Figuren identifiziert, was bedeutet, dass die Details der unterschiedlichen Lebensrealitäten und Perspektiven innerhalb der Serie nicht erklärt, sondern einfach miterlebt werden. Ich glaube, desto spezifischer Geschichten erzählt werden, desto universeller sind sie.

Du bist nicht nur der Headautor, sondern auch der Hauptdarsteller und Creator der Serie. Wie hast du es geschafft, diese unterschiedlichen Rollen miteinander zu vereinen?
Die verschiedenen Rollen haben zwar unterschiedliche Handwerke, aber für mich sind sie miteinander verbunden und unterschiedliche Arten Geschichten zu erzählen. Von der ersten Idee für «Schwarze Früchte» bis zum Punkt, dass die Serie jetzt gestreamt werden kann, hat es fünf Jahre gedauert. Ich hatte immer wieder Zeit mich aufs Schreiben, Produzieren und Spielen einzeln zu konzentrieren, wobei in manchen Phasen, zum Beispiel während des Drehs, natürlich alle drei gleichzeitig gefordert waren. Ich bin extrem dankbar, dass ich diese Geschichte mit einem so tollen Team von Filmschaffenden umsetzen konnte, die die Vision für die Serie so bereichert haben.
Die Protagonist:innen Lalo und Karla stehen beide an entscheidenden Punkten in ihrem Leben. Wie siehst du die Herausforderungen, mit denen Schwarze und queere Menschen in Deutschland konfrontiert sind, im Hinblick auf Karriere, Identität und Selbstverwirklichung?
Finde die Frage voll schwierig zu beantworten, weil es da so viel Unterschiedliches, Strukturelles und Persönliches zu sagen gibt. In Bezug auf «Schwarze Früchte» ist es auch wichtig zu erwähnen, dass die Serie nicht die allgemeingültigen Herausforderungen von Schwarzen und queeren Menschen in Deutschland abbilden kann. In der Serie geht es um spezifische Figuren mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen, Lebensentwürfen und Ansichten.
Gewissermassen kritisieren verschiedene Handlungsstränge der Serie aber auch die Erwartungshaltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten, dass genau von jenen erwartet wird sich mit dieser vermutlichen «Andersartigkeit» zu identifizieren und darüber zu berichten. Wird diese Erwartungshaltung mit der inhaltlichen Ausrichtung dieser Produktion nicht auch reproduziert?
Erwartungshaltungen weisser Figuren gegenüber Schwarzen Figuren werden in der Serie zwar verhandelt, aber meiner Meinung nach auf der Metaebene nicht reproduziert oder erfüllt. Ich finde bei Gesprächen über Machtstrukturen und Diskriminierung ist es sehr wichtig, wer entscheidet, in welchem Kontext diese besprochen und verhandelt werden und wo letztendlich die Deutungshoheit liegt. Ich finde es essenziell, dass Filmschaffende, die durch Rassismus, Sexismus, Heterosexismus und andere Strukturen diskriminiert werden, den Raum haben, diese Systeme aus ihren Perspektiven in Geschichten zu verhandeln und zu untersuchen. In «Schwarze Früchte» beeinflussen diskriminierende Strukturen zwar die Lebensrealitäten der Figuren, aber sie sind weder der Fokus der Geschichte, noch versucht die Serie diese Systeme der sogenannten Mehrheitsgesellschaft zu erklären. Wir wollten komplexe Schwarze und queere Figuren erzählen, die die Deutungshoheit über ihre Lebensrealitäten innehaben und dabei im Zentrum ihrer eigenen Geschichten stehen.

Es verbindet sich hier ebenfalls Drama und Comedy auf eine sehr feine Weise. Was bedeutet dir der Humor in der Serie und wo liegt das mögliche Potential, um schwierige Themen zu verarbeiten?
Für mich ist diese Mischung von Drama und Comedy, was sich am nächsten zum tatsächlichen Leben anfühlt. Humor in schwierigen Situationen zu finden ist natürlich auch eine Überlebensstrategie. Auch für die Figuren. Sie bewegen sich oft auf Mienenfeldern von Grenzüberschreitungen und um sie navigieren zu können, brauchen sie eine Menge Einfallsreichtum, Optimismus und Verdrängungsmechanismen. All das hat in seiner Absurdität natürlich auch Humor. Ich glaube auch, dass der Humor von «Schwarze Früchte» einem Publikum die Chance gibt, sich auf die Geschichte einzulassen und sich dadurch auch mit den schwierigeren Themen der Serie wie mentaler Gesundheit, Verlust, Selbstwert und Scham auseinanderzusetzen. Die Serie ist zum Teil auch Cringe-Comedy. Was ich besonders spannend an dem Cringe Aspekt finde, ist, wie aktiv es das Publikum macht. In dem Genre reden Zuschauer:innen im Idealfall durch den Bildschirm mit den Figuren oder schreien sie vielleicht sogar an, dass sie etwas nicht oder ganz anders machen sollen – vielleicht gerade weil sie sich in den Figuren selbst wiedererkennen.
Mentale Gesundheit, Trauer und Erschöpfung, besonders im Kontext von marginalisierten Gruppen, sind wichtige Themen in «Schwarze Früchte». Wie hast du diese Thematik entwickelt und welche Botschaft möchtest du den Zuschauerinnen diesbezüglich vermitteln?
Ich versuche mit meiner Arbeit immer eher Fragen hervorzurufen, statt Botschaften zu kommunizieren. Aber wenn ich mich für eine Botschaft entscheiden müsste, wäre es vielleicht: «Schwarze und queere Figuren gehören ins Zentrum ihrer eigenen Geschichten.» Dazu gehört auch mentale Gesundheit und für Lalo und Karla sind Trauer und Erschöpfung natürlich zentrale Hürden. Wie die beiden damit umgehen, wird ein Publikum an verschiedenen Stellen wahrscheinlich herausfordern. Trotz der wenigen Geschichten, in denen Schwarze und queere Figuren vorkommen, geschweige denn die Hauptfiguren spielen, war es mir, den anderen Autor:innen des Writers Rooms sowie der Regie voll wichtig, keine idealisierten, sondern vielschichtige Figuren zu erzählen, die alle auf ihre eigene Art und Weise versuchen das Beste mit den Karten zu machen, die ihnen ausgeteilt wurden und dabei viele Ungereimtheiten und Widersprüche in sich tragen dürfen.
Was erhoffst du dir, dass das Publikum von «Schwarze Früchte» mitnimmt – sowohl in Bezug auf die spezifischen Geschichten der Figuren als auch auf die universellen Themen, die angesprochen werden?
Ich hoffe, dass Zuschauer:innen sich von der Serie und den Figuren, in all ihren guten, messy und komplizierten Eigenschaften, gesehen fühlen.
10. Oktober 2024