Erst kürzlich fiel mir auf, dass das Wort Fan vom lateinischen Wort «fanaticus» abgeleitet wurde, was so viel bedeutet wie «von der Gottheit ergriffen» oder «in rasende Begeisterung versetzt». In der Antike wurden so Menschen beschrieben, die sich übermässig euphorisch ihrer Religion hingaben. Später entwickelte sich daraus das englische «fanatic», kurz: «fan». Die Bedeutung des Begriffs ging mit der Zeit weit über den Religionsbezug hinaus und beschreibt heute Personen, die meist eine langfristige, emotionale Verbundenheit und starke Affinität für jemanden oder etwas entwickelt haben. Oftmals bezieht sich diese Zuneigung auf eine Person, Gruppe oder auch Mannschaft (im Sport) des öffentlichen Lebens. Als begeisterte Anhänger:innen investieren sie zudem Ressourcen wie Zeit und/oder Geld in das Idol. Die Intensität kann dabei stark variieren und bis zur sogenannten Stan-Kultur führen. Das durch Eminem geprägte Wort «stan» geht noch einen Schritt weiter und beschreibt die Besessenheit eines Stalker-Fans. Fakt ist: Bei jeder noch so kleinen Ausprägung des Fan-Seins stellt man eine Person auf ein Podest und schaut zu dieser auf, als sei sie etwas besseres. Man ordnet sich automatisch unter, was nicht sehr gesund sein kann.
Ich bin mittlerweile der Meinung, dass wir diese Art der Verehrung von Berühmtheiten dringend überdenken sollten. Denn gerade im Zeitalter von Instagram und Co wird das Phänomen der real wirkenden Bindung zu einer absolut fremden Person verstärkt: Die sozialen Medien haben es geschafft, die Distanz zwischen Fans und Stars zu minimieren. Zumindest scheint es auf den ersten Blick so. Das lädt, vor allem in sehr vulnerablen Lebensphasen, dazu ein, sich Personen extrem nah zu fühlen, die man nicht kennt. Nicht im geringsten. Null. Man glaubt nur, sie zu kennen und identifiziert sich mit ihnen. Der Algorithmus checkt schnell, wo ein Bedürfnis ist, alles mögliche von bestimmten Prominenten zu konsumieren. Die Suchttendenz ist dabei extrem hoch. Und selbst, wenn der auserwählte Star für den Fan ein Vorbild darstellt, findet die gefühlsgeladene Bewunderung auf absolut irrealer Ebene statt und erfüllt den Zweck, einen Mangel auszugleichen.
Und here we go, Stichwort Mangel: Kürzlich, durch viel Shadow-work, Breathwork und Introspection, wurde mir meine fanatische Tendenz bewusst. Und ganz ehrlich, für diese Self-Awareness muss ich mich absolut nicht schämen und auch nicht entschuldigen. I did it, I honor and own it now! Lange habe ich mich als «grössten Fan von…» bezeichnet, bis mir die Wortbedeutung klar wurde – und ein Fanatic will ich definitiv nicht mehr sein. Ich will keine anderen Personen mehr auf ein Podest stellen.
Doch warum habe ich so lange unerreichbare Personen angehimmelt? Seit ich mich tiefer der eigenen Innenschau widmete, kam so einiges ans Licht. Immer wieder stellte ich mir die Frage «Warum?», um eine noch ehrlichere Antwort aus mir herauszubekommen. Dabei fiel mir auf, dass sich dieses Fan-Sein schon seit jungen Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben zog. Zuerst war es Aaron Carter, dann irgendwann Lil Wayne, Eminem, und zuletzt waren es Teddy Teclebrhan und Patrice. Aber warum? Weil ich mich in den jeweiligen Zeiträumen durch sie verstanden gefühlt habe. Warum? Weil ich durch sie Zugang zu mir selbst gefunden habe. Warum? Weil ich mich in ihren Ansichten und Werten wiederfinden konnte. Warum? Weil mein inneres Ich etwas an ihnen begehrt hat, was ich auch gern hätte. Warum? Weil ich glaube, dass ich es nicht habe. Warum? Weil ich glaube, dass ich nicht gut genug bin. Warum? Weil ich nicht die Anerkennung bekomme, die ich mir wünsche. Warum? Weil ich mir das, was ich brauche, anscheinend nicht selbst geben kann und ich es stattdessen unbewusst an Personen outgesourct habe, die mich nicht kennen. Warum? Weil es sich irgendwie sicherer angefühlt hat und einfacher war, meinen Fokus auf meine Lieblingsstars zu legen, vor allem in Zeiten, in denen es mir extrem schlecht ging. Warum? Weil ich diese Phasen anders nicht bewältigen konnte. Warum? Weil ich nie gelernt habe, für mich selbst da zu sein und unangenehme Gefühle zuzulassen. Und so weiter und so fort. Immerhin wusste ich mir mit einer relativ harmlosen Bewältigungsstrategie zu helfen.
Hier bin ich also mit meiner vulnerablen Realität. Es gab viele Momente, in denen ich mich versteckt habe oder mich nicht getraut habe, einfach ich selbst zu sein. Warum? Weil in Bezug auf das Fan-Sein die Chance bestand, dass mich dann diese unnahbaren Menschen, die ich lange Zeit angehimmelt habe, vielleicht nicht mögen. Mal ganz abgesehen davon, dass sie mich sowieso nicht wirklich kennen und höchstens von mir wissen, dass ich sie feiere und liebe. Das ist aber keine Grundlage für eine echte, authentische Verbindung. Sie würden vielleicht sagen: «Okay, du magst all das an mir, aber was ist denn alles grossartig an dir?» Und noch vor etwa einem halben Jahr hätte ich keine sonderlich gute, echte Antwort darauf gehabt. Doch das ist genau der Punkt. Erst jetzt verstehe ich, dass es mir gar nie um die Anerkennung von aussen ging. Es ging mir um meine eigene. Es ging mir darum, mich von mir selbst verstanden zu fühlen und mir selbst Raum zu geben. All diese Menschen haben mir also einen Hinweis auf die Notwendigkeit innerer Heilung gegeben. Die Credits dafür gebe ich jetzt ganz bewusst und ausschliesslich mir und nicht ihnen, weil ich letztendlich diejenige bin, die den Hinweis verstanden hat. Fakt ist jetzt: Ich will in meinem Leben immer der einzige Mittelpunkt sein und vor allem für mein authentisches Ich gemocht werden – oder eben nicht. Ich möchte dieses Gut-genug-sein nicht weiter an äussere Bedingungen knüpfen. No more of this bullshit! Ich bin hier und jetzt gut genug, so wie ich bin. Das ist der neue Vibe.
Selbstverständlich kann ich immer noch Songs oder Serien etc. von bestimmten Stars feiern und auch lieben. Doch was ich nicht mehr mache, ist, meinen Fokus in Situationen, in denen ich mich unkomfortabel fühle, von mir weg zu lenken. Alles, was ich fühle, ist okay und ich kann selbst für mich da sein. Ich kann mir selbst Pep-talks und vor allem die besten Weisheiten und Ratschläge geben. Ich hole also alle Menschen, die ich je imaginär auf ein Podest gestellt habe, von dort runter, auf Augenhöhe und schätze sie für das, was sie in die Welt bringen. Gleichzeitig weiss ich, dass ich genauso einen wunderbaren Anteil leiste, einfach nur dadurch, dass ich ich bin.
01. Oktober 2024