Was der Supreme Court, also der Oberste Gerichtshof der USA, entscheidet, gilt landesweit. Nicht nur das, sondern setzen diese sogenannten Landmark Court Decisions die Grundlagen für alle künftigen Klageschriften in ähnlichem Zusammenhang. Kurz gesagt: Landmark Court Decisions vom US Supreme Court sind die wichtigsten Präzedenzfälle, nicht nur im Land selbst, sondern auf der ganzen Welt.
Ob wir es mögen oder nicht, die USA hat politisch und ideologisch einen grossen Einfluss auf den Rest der Welt. Auch wenn viele Länder in den letzten 100 Jahren fortschrittlicher geworden sind, waren die USA 1973 vielen voraus. Das Recht auf sichere Abtreibungen für alle Frauen brachte Steine ins Rollen, die Frauen auf der ganzen Welt das Leben gerettet haben.
Doch was bedeutet diese 5-zu-4 Entscheidung? 5 der 9 Supreme Court Richter:innen, also eine knappe Mehrheit, entschied sich dafür, dass das national gültige Recht auf Abtreibung nicht mehr gilt. Demnach hat jeder Bundesstaat nun die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob Abtreibungen legal bleiben sollen, oder wie im Falle von Texas im September 2021, nach Anzeichen eines ersten Herzschlages illegal werden.
Unabhängig davon, ob man eine Abtreibung will oder nicht, sollte jede Frau das Recht haben, diese lebensverändernde Entscheidung zu treffen. Mit diesem neuen Urteil wird es nicht weniger Abtreibungen, sondern weniger sichere Abtreibungen geben. Wer nicht reich ist, wird illegale Nacht-und-Nebel-Aktionen betreiben müssen, und somit das eigene Leben in Gefahr bringen. Wer sich eine Reise in einen Nachbarstaat oder ins Ausland finanzieren kann, hat Glück.
Zudem wird es gezwungenermassen mehr Kinder im Pflegesystem geben. Eine Reformation davon ist zurzeit kein Thema. Diese Entscheidung wird massgebend dazu führen, dass die Rechte von Frauen eingeschränkt werden. Im schlimmsten Fall legitimiert es andere Länder dasselbe zu tun – wenn die USA diesen Schritt wagt, was haltet andere, weniger liberale Staaten, davon ab, gleich zu handeln? Gleichermassen die Sicherheit Ihrer Bürgerinnen zu vernachlässigen?
Fakt ist: Abtreibungen gab es vor und wird es nach Roe v. Wade geben. Das Schlagwort ist «Sicherheit» – denn sichere Abtreibungen sollten ein Grundrecht jeder Frau sein. Jede Frau sollte selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie in der Lage ist, ein Kind zu gebären. Ob Sie die Zeit, finanziellen Möglichkeiten und den Willen hat, ein Baby auf die Welt zu setzen.
Auch unabhängig von Unfällen in der Schwangerschaftsplanung gibt es den Extremfall: die Vergewaltigung. Auch im Falle, dass eine Vergewaltigung zu Schwangerschaft führt, könnte eine Frau in Texas das Kind nach dem ersten Herzschlag nicht abtreiben. Zur Verdeutlichung: das ist nach fünf Wochen. Die psychologischen Folgen einer Vergewaltigung reichen weitaus über fünf Wochen hinaus, wer kann Rationalität garantieren, um vor der 5. Woche einen Schwangerschaftsabbruch in die Wege zu leiten?
Wer keine Abtreibung will, muss diese nie haben. Genau gleich wie bei der Ehe: wer keine will, heiratet nicht. Doch diese Entscheidung auch für andere treffen zu wollen, ist egozentrisch und gefährlich.
Die Folgen dieser Entscheidung sind noch nicht eindeutig, doch dass sie gravierend sein werden, ist klar.
26. Juni 2022