Doch wie unterscheiden sich die Kriege der letzten Jahre mit dem Ukraine Krieg? Die Antwort ernüchternd: der Krieg findet in Europa statt. Das reicht, um mit Geflüchteten wie mit Menschen umzugehen. Das reicht, um in der Schweiz kurzerhand 60’000 Geflüchtete aufzunehmen.
Eigentlich ist das schön. Nicht eigentlich, es ist schön. Aber das Ganze wird überschattet, wenn wir beobachten, wie bisher mit Geflüchteten umgegangen worden ist. Als im Sommer 2021 10’000 geflüchteten Afghan:innen Asyl geboten werden sollte, weigerte sich die Schweizer Bevölkerung viel zu unternehmen, Politiker:innen fanden die Zahl unrealistisch. Zu viele Männer, zu viel Fremdes. Auch im Fall von Syrien, Yemen, Eritrea: Diese «falschen» Geflüchteten sind es offensichtlich nicht würdig, die Hilfe von Westeuropa zu erfahren.
Das bringt uns auf aktuelle Missstände in der Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Ukraine Krieg. Denn nicht nur die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten an den Grenzen ist schlimm und gefährlich, auch die Wortwahl der Journalist:innen, die über den Krieg berichten ist es.
David Sakvarelidze, ein ukrainisch-georgischer Politiker meinte in einem Interview mit BBC News, wie emotional er sei, weil hier «europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren täglich umgebracht werden.» Die Wortwahl erinnert irgendwie an einen vergangenen Krieg.
Charlie D’Agata, Auslandskorrespondent für CBS News, beurteilt die Lage anhand von «Zivilisation»: «Das ist nicht ein Ort wie Irak oder Afghanistan, wo seit Jahrzehnten Konflikte wüten. [Kiev] ist eine relativ zivilisierte, relativ europäische Stadt». Dieser Krieg ist also schlimmer, als an anderen Orten, weil das Leben von Europäer:innen wertvoller ist?
Kelly Cobiella, Korrespondentin der NBC, begründete die Offenheit Polens gegenüber ukrainischen Geflüchteten neben der geografischen Nachbarschaft auch damit, dass das «nicht Geflüchtete aus Syrien sind, und krass gesagt sind das auch Christ:innen, sie sind weiss, sie sind sehr ähnlich wie die Pol:innen.» Was indessen die schlechte Behandlung von früheren Geflüchteten zu legitimieren scheint, weil diese ja oft nicht weiss oder christlich waren, und demnach die Verschlossenheit okay war.
Doch auch die NZZ macht vor offenkundigem Rassismus und Ignoranz keinen Halt. Marc Felix Serrao, Chefredaktor der NZZ Deutschland, gab kurz nach Beginn des Krieges seinen Senf dazu. Diesmal sind es «echte Flüchtlinge, deren Gefahr niemand leugnen kann.» Übrigens kann ihm auch kein Rassismus vorgeworfen werden, da ein zitierter Interviewpartner «selbst als äthiopischer Flüchtling nach Europa kam.» Erinnert an Sätze wie «ich bin nicht rassistisch, ich habe einen schwarzen Arbeitskollegen» und ist gleichermassen peinlich. Zudem meint er auch, dass wir das Leid dieser Menschen jetzt wirklich sehen.
Das stimmt. Aber das konnten wir auch bei allen vorherigen Kriegen, nur war und ist es einfacher wegzusehen. Wir müssen uns nicht damit auseinandersetzten, weil auch unsere Medienhäuser lieber über anderes berichten.
Dass westliche Regierungen wegen Eigeninteresse für das Leid von Millionen von Menschen verantwortlich waren und sind, durch Kriege, die eben nicht auf europäischen Hoheitsgebieten geführt werden, das können und dürfen wir ignorieren. Es trifft uns nicht, also betrifft es uns nicht. Jetzt ist es «nahe», die Menschen brauchen unsere Hilfe.
Es ist richtig, wie mit Ukrainer:innen umgegangen wird. Es ist richtig, dass wir über diesen Krieg sprechen und diskutieren. Aber gleichzeitig hätten wir vorher andere Kriege genauso offen und hilfsbereit behandeln müssen.
Wer diese doppelten Standards und Ambivalenz bei der Berichterstattung und Behandlung der Geflüchteten anspricht, wird oft mit Hetze und pro-Russland Vorwürfen konfrontiert. Dass «jetzt nicht der richtige Zeitpunkt» sei. Doch der richtige Zeitpunkt liegt schon lange in der Vergangenheit. Es ist peinlich, ein wenig Komplexität, vernetztes Denken und kritische Auseinandersetzung mit schwierigen Themen nicht erwarten zu dürfen.
Es bleibt weiterhin wichtig, Rassismus und Diskriminierung zu benennen und diese aktiv zu bekämpfen. Dazu gehört auch das Diskutieren und Hinterfragen. Wir sind es allen Opfern von Kriegen und Gewalt schuldig, gleichermassen zu helfen, wo wir können.
15. März 2022